Udo Leuschner / Geschichte der FDP (27) |
11. Bundestag 1987 - 1990 |
Die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland zog auch einen Schlußstrich unter den vierzigjährigen Krieg der Geheimdienste zwischen beiden deutschen Staaten. Zugleich lieferte sie interessantes Material über bislang unentdeckte Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes in der Bundesrepublik. Das "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) hatte sich in den Tagen der "Wende" zwar alle Mühe gegeben, die vorhandenen Unterlagen zu vernichten. Aus der Fülle des Materials blieb aber genug übrig, um aufschlußreiche Einblicke in die Arbeit des MfS, seines nach Zehntausenden zählenden Personals und seines noch weit größeren Heers von Spitzeln zu ermöglichen.
Wegen ihrer Vorreiterrolle in der Deutschland- und Ostpolitik war die FDP aus Sicht der DDR besonderer Aufmerksamkeit wert. Im übrigen stellte ihre Bearbeitung durch das MfS aber nichts Außergewöhnliches dar. In sämtlichen Bundestagsparteien saßen Agenten des MfS. Einem Bonmot zufolge hätte man allein aus den Bundestagsabgeordneten, die für das MfS arbeiteten, eine eigene Fraktion bilden können.
Das Ministerium für Staatssicherheit entstand 1950, wobei der sowjetische KGB als Geburtshelfer wirkte. Seine Tätigkeit als "Schild und Schwert der Partei" richtete sich nach innen wie nach außen. Nach innen besaß das MfS den Status einer Geheimpolizei mit weitgehenden Vollmachten. Nach außen erfüllte es die Aufgaben eines Geheimdienstes, wobei die Aufmerksamkeit der "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA) in erster Linie der Bundesrepublik galt. Alle MfS-Angehörigen führten militärische Dienstgrade.
Wichtiger als die FDP war für das MfS zunächst die LDP im eigenen Land, die nach dem Tod des ersten Parteivorsitzenden Wilhelm Külz im April 1948 in offene Opposition zur SED gegangen war und damit die sowjetische Besatzungsmacht herausgefordert hatte. Das MfS half mit, die Stalinisierung der DDR und Gleichschaltung der "Blockparteien" zu vollenden. Zum Beispiel leitete es 1952 eine Verhaftungswelle gegen über tausend echte oder vermeintliche Regimegegner, deren prominentestes Opfer der Liberaldemokrat Karl Hamann war: Als Minister für Handel und Versorgung hatte er angeblich "Sabotage an der Versorgung" verübt. Offensichtlich sollte er dem Ulbricht-Regime als Sündenbock für die anhaltende Versorgungskrise dienen. Kurz danach wurde auch der Außenminister Georg Dertinger (CDU) verhaftet. In diesem Fall lautete die Anklage auf Spionage. 1954 verurteilte die DDR-Justiz Hamann zu zehn Jahren und Dertinger zu 15 Jahren Zuchthaus.
Die Verhaftung Hamanns und Dertingers erfolgte nach dem Muster der stalinistischen Schauprozesse in der Sowjetunion, bei denen es nicht darauf ankam, ob Vorwürfe wie "Sabotage" oder "Spionage" überhaupt zutrafen. Es ging um Repression, Einschüchterung und demonstratives Vorführen von angeblich Schuldigen. Nicht zuletzt sollten LDPD und CDU endlich bedingungslos auf SED-Linie gebracht werden, denn bei Hamann handelte es sich um den ehemaligen Vorsitzenden der Liberaldemokraten und bei Dertinger um den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU.
Ein klassischer Agent scheint dagegen Hermann Kastner gewesen zu sein, der von 1949 bis 1950 als Vorsitzender der LDPD (damals noch LDP) und stellvertretender Ministerpräsident der DDR amtierte. Unter dem Vorwurf der Verschwendungssucht und Korruption mußte er dann von seinen Ämtern zurücktreten und wurde sogar aus der LDP ausgeschlossen. In einer Internet-Auskunft zu seiner Person heißt es, er habe unter dem Decknamen "Helwig" für die "Organisation Gehlen" gearbeitet, die aus dem militärischen Nachrichtendienst des NS-Staats hervorgegangen war und nach dem Krieg im Auftrag der US-Besatzungsmacht weiter operieren durfte, bevor sie 1956 in den "Bundesnachrichtendienst" umgewandelt wurde. Kastner soll alles, was er in seiner hohen Position als stellvertretender Ministerpräsident der DDR erfuhr, der Organisation Gehlen im bayerischen Pullach übermittelt haben. Den Kurierdienst habe seine Frau übernommen, wenn sie zum Einkaufen nach Westberlin fuhr.
Geheimdienstler des SED-Regimes hätten dann Verdacht geschöpft, weil immer wieder Informationen aus den Kabinettssitzungen nach außen drangen. Die sowjetische Besatzungsmacht habe Kastner jedoch vertraut und ihre schützende Hand über ihn gehalten. Er sei noch bis 1953 in der Lage gewesen, der Organisation Gehlen umfassend zu berichten. Erst als ein westlicher Doppelagent ins östliche Lager übergelaufen sei und dadurch die Enttarnung gedroht habe, sei er im Oktober 1956 von Gehlen-Agenten über die Grenze in die Bundesrepublik geschleust worden, wo er 1957 im Alter von 71 Jahren einem Herzinfarkt erlag.
Einer anderen Darstellung zufolge war der LDP-Vorsitzende ein Doppelagent der Sowjets. Am 8. Juli 2002 berichtete die "Frankfurter Allgemeine" über ein Papier mit dem Titel "Deckname Hellwig oder Warum Doktor Walter Linse sterben mußte", das der Bundesnachrichtendienst (BND) verfaßt habe. Demnach war Kastner, der schon für die SS den Zuträger gemacht habe, als Agent der Sowjets zu seinen diversen Ämtern in der DDR gekommen. Später sei er vom MfS unter Erich Mielke geführt worden. Die Sowjets hätten Kastner, der als Lebemann und vorsichtiger Kritiker des SED-Regimes auftrat, für den Fall einer Neutralisierung Deutschlands als "Ersatzministerpräsidenten" bereithalten wollen. Zusätzlich sei Kastner von der Staatssicherheit in die Organisation Gehlen eingeschleust und unter dem Decknamen "Hellwig" zu einer von ihr gesteuerten Quelle gemacht worden. Im Rahmen der vom BND ausgelösten Operation "Herbststurm" sei er dann - seiner Rolle als Gehlen-Agent getreu - in den Westen "geflüchtet".
Die Kernaussage des erwähnten BND-Papiers besteht darin, daß wegen Kastner eines der brutalsten Agentenstücke des Kalten Kriegs stattgefunden habe. Und zwar irrtümlich: Dem MfS-Chef Erich Mielke sei die falsche Nachricht hinterbracht worden, daß die Enttarnung seines hochkarätigen Agenten durch den Westberliner "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen" (UfS) drohe. Dort befasse sich Walter Linse, der früher Bezirksvorsitzender der LDP in Chemnitz war, mit Ungereimtheiten im Lebenslauf und Lebenswandel des ehemaligen Parteifreunds. Der UfS, für den Linse arbeitete, stand seinerseits mit dem amerikanischen CIA in Verbindung. Mielke habe deshalb den Auftrag erteilt, Linse unschädlich zu machen. Tatsächlich wurde Linse am 8. Juli 1952 im Auftrag des MfS aus Westberlin in den Ostsektor verschleppt und später in der Sowjetunion umgebracht.
Beide Darstellungen sind vermutlich mit Vorsicht zu genießen. Wenn aber zumindest stimmt, daß Kastner für Gehlen spioniert hat, wirft der Zeitpunkt seines Wechsels in die Bundesrepublik Fragen auf: Er flüchtete nämlich just, als sich im Oktober 1956 eine Delegation der FDP zu Gesprächen mit der LDPD in Weimar aufhielt. "Wir wollen in der Frage der Wiedervereinigung Unruhe in die deutsche Politik bringen", begründete der FDP-Parteivorsitzende Thomas Dehler damals diese erste offizielle Kontaktaufnahme mit der LDPD seit 1948. Dem Bundeskanzler Konrad Adenauer, der eben erst die Koalition mit der FDP wegen deren Unbotmäßigkeit in der Deutschlandpolitik aufgekündigt hatte, war dieses Treffen mit Sicherheit ein Dorn im Auge. Die Organisation Gehlen mit ihren 4000 Agenten war aber seit August 1955 der direkten Kontrolle des Bundeskanzlers unterstellt. Es wäre deshalb der Nachforschung wert, ob das Zusammentreffen von Kastners Flucht in den Westen mit den Gesprächen in Weimar wirklich reiner Zufall war. Schließlich pflegte sich Adenauer auch sonst ziemlich ungeniert der Geheimdienste zu bedienen (so soll er den FDP-Minister und Vizekanzler Blücher, als dieser am Kabinettstisch aufmuckte, mit detaillierten geheimdienstlichen Erkenntnissen zum Schweigen gebracht haben: "Sachen se mal, Herr Blücher, weiß ihre Frau überhaupt eigentlich von ihrer schwarzen Freundin in Paris?").
Sicher kein Zufall war es, daß eine Woche nach dem Gespräch zwischen FDP und LDPD der frühere LDP-Vorsitzende und Minister Karl Hamann vom DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck begnadigt wurde. Zuvor hatte Thomas Dehler einen entsprechenden Antragt beim DDR-Generalstaatsanwalt eingereicht - "in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt", wie die FDP betonte, um jedem Verdacht auf eine Kumpanei mit der DDR vorzubeugen.
Am 26. September 1952 erließ das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) eine spezielle Dienstanweisung zur Beobachtung der LDPD und zur Bekämpfung des Ostbüros der FDP, das Kontakt zu Regimegegnern in der LDPD hielt. Das Ostbüro war 1948 vom Westberliner FDP-Landesvorsitzenden Carl-Hubert Schwennicke nach der Abspaltung von der LDP gegründet worden. Seit 1950 befand es sich als "Hilfsdienst Ost" am Sitz der Bundespartei in Bonn. Ähnliche Ostbüros unterhielten auch SPD und CDU. Ein Mitarbeiter dieses FDP-Ostbüros, Hans Füldner, wurde am 9. Oktober 1953 von der DDR-Staatssicherheit entführt und am 14. Juni 1954 im Rahmen eines Schauprozesses mit anderen Angeklagten zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Verhör gab Füldner die Namen etlicher Kontaktleute in der DDR preis, die umgehend ebenfalls verhaftet wurden.
In das Ostbüro schleuste das MfS mehrere Spitzel ein, so daß es bestens über dessen Aktivitäten informiert war. Zum Beispiel brauchte es die Briefe mit Flugblättern, die das Ostbüro an Empfänger in der DDR sandte, gar nicht mehr abzufangen, weil sie ihm vom zuständigen Sachbearbeiter der Westberliner Zweigstelle direkt übergeben wurden. Ebenso bekam es Besucherlisten, Deckadressen und andere Unterlagen. Wer als DDR-Bürger den Kontakt zum Ostbüro der FDP suchte, ging ahnungslos ein extrem hohes Risiko ein.
In der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1955 brach die Staatssicherheit in das Berliner Ostbüro und zehn Monate später in die Bonner Zentrale ein. Aufgrund der erbeuteten Unterlagen konnte sie 23 Vertrauensleute der FDP in der DDR festnehmen.
Unter diesen Umständen wuchs innerhalb der FDP die Bereitschaft, dem Kurs des Parteivorsitzenden Thomas Dehler zu folgen, der den politischen Draht zu den Machthabern der DDR suchte, statt diese durch einen genauso aussichtslosen wie verlustreichen Kampf im politischen Untergrund stürzen zu wollen. Als Ersatz für den noch verpönten offiziellen Kontakt zum DDR-Regime dienten Gespräche mit der LDPD, der ehemaligen Schwesterpartei, die inzwischen völlig auf SED-Linie lag und insofern durchaus der richtige Ansprechpartner war. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit der LDPD im Juli 1956 in Garmisch stoppte die FDP ihre Ballon-Aktionen zur Verbreitung regimefeindlicher Flugblätter in der DDR. Am 28. September 1956 - kurz vor dem zweiten Gespräch in Weimar - beschloß der Bundesvorstand die Umwandlung des Ostbüros in das "Referat Wiedervereinigung". Als erste der drei Bundestagsparteien hatte damit die FDP ihr Ostbüro faktisch aufgelöst. Die CDU folgte 1959 und die SPD 1967, indem sie ihre Ostbüros in Referate für gesamtdeutsche Fragen umwandelten.
Nach dem Bau der Berliner Mauer 1963 wurde es vollends sinnlos, auf parteipolitischer Basis in die DDR hineinwirken zu wollen. Außerdem gab es auf Regierungsebene schon seit 1949 das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, das mit Jakob Kaiser und Ernst Lemmer zunächst prominente Politiker der ehemaligen Sowjetzonen-CDU besetzten, bevor es an die FDP-Politiker Mischnick und Mende überging und 1969 in Ministerium für innerdeutsche Beziehungen umbenannt wurde. Dieses Ministerium und das ihm 1969 als Behörde angegliederte Gesamtdeutsche Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA) konnte die noch verbleibenden Aufgaben der politischen Beobachtung und Aufklärung der Verhältnisse im anderen deutschen Staat weit besser leisten. Das Gesamtdeutsche Institut wurde von 1972 bis zu seiner Auflösung 1991 von dem FDP-Mitglied Detlef Kühn geleitet.
Schon 1948 hatte das MfS den Geschäftsführer der FDP in Nordrhein-Westfalen, Lothar Weirauch, als Zuträger angeworben. Weirauch war von 1950 bis 1954 Bundesgeschäftsführer der FDP in Bonn. Dann trat er ins Verteidigungsministerium ein, wo er es zum Ministerialdirigenten brachte. Im August 1964 übernahm er auf Wunsch Erich Mendes im Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen die Abteilung Z mit der Zuständigkeit für Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Zonenrand- und Grenzgebiete. Diese Funktion behielt er auch unter den SPD-Ministern Wehner und Franke bis zu seiner Pensionierung Ende 1973.
Unklar ist, wie lange der 1983 verstorbene Weirauch tatsächlich für das MfS tätig war. Nach Darstellung des ehemaligen Stasi-Offiziers Wolfgang Hartmann hat HVA-Chef Markus Wolf um das Jahr 1967 die Zusammenarbeit mit Weirauch eingestellt, weil Vorwürfe aus der NS-Zeit bekannt geworden seien. Dies klingt allerdings wenig plausibel, da die Staatsanwaltschaft Dortmund ein einschlägiges Ermittlungsverfahren gegen Weirauch wegen Mordes schon 1964 eingestellt hatte. Außerdem haben sich Geheimdienste noch nie um dunkle Punkte in der Vergangenheit ihrer Agenten gekümmert - es sei denn, um sie zu erpressen.
Andere Quellen in der Partei lieferten ihre Informationen unter Decknamen wie "Balka", "Fluß", "Radom", "Fritz" und "Auto". Ein Stasi-Agent war wohl auch Herbert Adolf Willner, Referent der Friedrich-Naumann-Stifung und ehemaliger Mitarbeiter der FDP-Bundesgeschäftsstelle, der 1985 überraschend abtauchte. Mit ihm verschwand seine Frau Herta-Astrid, die bis dahin als Sekretärin im Bundeskanzleramt gearbeitet hatte.
Zielgerichtet auf die FDP angesetzt wurde die in der DDR ausgebildete Agentin Johanna Olbrich, die das MfS 1967 mit einem falschen Lebenslauf in die Bundesrepublik einschleuste. Unter dem Namen "Sonja Lüneburg" wurde sie 1969 zunächst vom FDP-Bundestagsabgeordneten William Borm eingestellt, der seinerseits ein Agent des MfS war. Durch Borms Empfehlung wurde sie 1973 Sekretärin des FDP-Generalsekretärs Karl-Hermann Flach. Ab 1974 saß sie im Vorzimmer des Parteivorsitzenden Martin Bangemann, den sie auch auf seinen weiteren Stationen als Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament und als Wirtschaftsminister begleitete. Im August 1985 verlor sie einen gefälschten Ausweis mit ihrem Lichtbild, weshalb das MfS es für ratsam hielt, sie in die DDR zurückzubeordern.
Erhebliches Aufsehen erregte Ende der sechziger Jahre die Affäre um den Nürnberger Unternehmer Hannsheinz Porst, der eine bundesweite Foto-Filialkette sowie eine Großdruckerei besaß. Am 8. Juli 1969 verurteilte der Bundesgerichtshof den Millionär zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis, weil er "verräterische Beziehungen" zu Angehörigen des MfS unterhalten habe. Zu dem Prozeß in Karlsruhe wurden auch Erich Mende und andere prominente FDP-Politiker vorgeladen, denn Porst spielte eine wichtige Rolle als Mäzen der FDP. So druckte er im Bundestagswahlkampf 1961 kostenlos das gesamte Wahlkampfmaterial der Partei. Als Duz-Freund Erich Mendes erfuhr er manche Interna aus dem Kabinett und aus der Führungsspitze der Partei, die auch für das MfS von Interesse waren. Beispielsweise erhielt er 1976 von Mende aus erster Hand das vertrauliche Schollwer-Papier, das den grundsätzlichen Wandel der FDP-Deutschlandpolitik einleitete. Er ließ es umgehend kopieren und an das MfS weiterleiten.
Porst war ein Gesinnungstäter. Ende der vierziger Jahre hatte ihn sein Vetter Karl Böhm mit kommunistischer Literatur bekanntgemacht. Porst fühlte sich seitdem als "Marxist", wobei er anscheinend die Ersatzreligion des "Marxismus-Leninismus" mit der wesentlich anspruchsvolleren marxistischen Philosophie verwechselte. Er ging aber nicht in die DDR, wie sein Vetter, sondern übernahm 1960 den väterlichen Foto-Versandhandel. Er baute das Geschäft weiter aus und wurde ein überaus erfolgreicher Unternehmer. Zum Vetter Karl Böhm in der DDR hielt er weiter Kontakt. Bei einem dieser Treffen konnte ihn Böhm, der ihn bis dahin nur "abschöpfte", als direkten Mitarbeiter für das MfS gewinnen. Auf Anraten des MfS trat Porst der FDP bei, die als chronisch klamme Partei dankbar für jeden Mäzen war und den Spender entsprechend hofierte. Ein Teil des Geldes, das Porst in die FDP pumpte, kam allerdings direkt vom MfS. Da ihm der Kleinkram des Agentengeschäfts zu lästig war, bekam er ab 1955 den DDR-Agenten Alfred Pilny als persönlichen Helfer zur Seite gestellt, den das MfS in die Bundesrepublik einschleuste. Pilny vertrat Porst auch in Sitzungen des mittelfränkischen Bezirksvorstands der FDP und wirkte an der Herausgabe das Partei-Infos "Das liberale Franken" mit.
Als Agent war Porst zugleich eine Art Schweijk, der die Zunft der Schlapphüte nicht so richtig ernst nahm. Er glaubte vielmehr, die Geheimniskrämerei auf beiden Seiten durchbrechen zu müssen. Er sah sich als gesamtdeutsche Existenz und Grenzgänger zwischen den verfeindeten Welten des Kalten Kriegs. Die Sorglosigkeit, mit der er seine geheimdienstlichen Kontakte pflegte, lenkte bald die Aufmerksamkeit des "Verfassungsschutzes" auf ihn. Anscheinend hat er auch nichts verraten, was das MfS nicht früher oder später den Zeitungen hätte entnehmen können. Dafür brachte er das MfS in Verlegenheit, als er partout in die SED aufgenommen zu werden wünschte, was nach deren Vorschriften eigentlich nicht möglich war. Aber natürlich wurde ein Weg gefunden, und seit 1958 besaß das FDP-Mitglied Porst heimlich auch das Parteibuch der SED.
Zunächst hatte das MfS erwogen, Porst der Union beitreten zu lassen. Zu den "Schwarzen" wollte er aber nicht. Im Grunde paßte der exzentrische Unternehmer mit seiner individualistischen Variante des "Wandels durch Annäherung" auch weit besser in die FDP. Nach der Haftentlassung überraschte Hannsheinz Porst die bundesdeutsche Öffentlichkeit ein weiteres Mal, indem er sein Unternehmen den Mitarbeitern schenkte - eine genauso noble wie betriebswirtschaftlich fatale Entscheidung, denn von da an gingen die Geschäfte bergab. 1982 mußte die Mitarbeitergesellschaft Konkurs anmelden.
Ein psychologisch interessanter Fall war auch der stellvertretende FDP-Landesvorsitzende von Berlin, William Borm, der 1950 von den DDR-Behörden auf der Transitstrecke verhaftet und zwei Jahre später wegen "Kriegs- und Boykotthetze" zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Trotz oder gerade wegen der brutalen Art, in der die DDR mit ihm verfuhr, scheint Borm in der Haft so etwas wie Unrechtsbewußtsein oder zumindest Verständnis für die kommunistischen Machthaber entwickelt zu haben. Noch während der Haft kooperierte er mit der Stasi, indem er ihr über Internas aus FDP-Kreisen berichtete. Als er 1959 im Alter von 63 Jahren endlich freikam, startete er in Abstimmung mit der "Hauptverwaltung Aufklärung" des MfS und deren Chef Markus Wolf eine zweite Karriere als FDP-Politiker.
Nach der Rückkehr aus der DDR-Haft wurde Borm 1960 Berliner Landesvorsitzender der FDP, 1963 Mitglied im Abgeordnetenhaus, 1965 Bundestagsabgeordneter, 1970 Mitglied des Bundesvorstands und 1971 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Auf allen diesen Stationen stand er in engem Kontakt mit dem MfS. Nach dem Zusammenbruch der DDR rühmte sich der Stasi-Oberstleutnant Günter Bohnsack, sogar Borms Bundestagsreden geschrieben zu haben. Die Ansprache, mit der Borm am 20. Oktober 1969 als Alterspräsident den 6. Bundestag eröffnete, soll HVA-Chef Markus Wolf persönlich redigiert haben. Ab 1975 bekam der inzwischen Achtzigjährige mit dem Diplom-Politologen Jürgen-Bernd Runge einen persönlichen Sekretär zur Seite gestellt, den das MfS für ihn ausgesucht hatte.
Borm trat nach dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 aus der FDP aus. Er starb im September 1987 und bekam ein Ehrengrab auf dem Städtischen Friedhof Zehlendorf in Berlin. Bis zu seinem Tod genoß er hohes Ansehen. Er galt als linksliberaler Grandseigneur der Partei. Seine lange DDR-Haft ließ ihn besonders glaubwürdig erscheinen, wenn er für den Ausgleich zwischen beiden deutschen Staaten eintrat. Im September 1985 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig, womit die DDR sichtbar ihre Wertschätzung für ihn zum Ausdruck brachte. Daß er ein Agent des MfS war, hätten aber nicht einmal seine politischen Gegner vermutet.
Vermutlich war Borm - ähnlich wie Hannsheinz Porst - ein Gesinnungstäter, der davon überzeugt war, im geteilten Deutschland eine Mission zu erfüllen*). Und wie Porst scheint er den maroden DDR-Sozialismus für ein zukunftsträchtiges Modell gehalten zu haben. Entscheidend für seine Wandlung vom "Kriegs- und Boykotthetzer" zum Agenten der DDR waren aber wohl die langen Jahre der Haft: Solche psychischen Ausnahmezustände können bekanntlich dazu führen, daß Opfer die Sichtweise ihrer Peiniger übernehmen.
Wie aus den Aufzeichnungen Herbert Häbers hervorgeht, hatte er im Oktober 1979 ein Gespräch mit Borm: Der FDP-Politiker erklärte dem Leiter der Westabteilung der SED damals, daß er trotz der neun Jahre Haft keinen Groll gegen die DDR hege. Im Gegenteil: Die Zeit der Haft habe ihn reif gemacht. Erst danach sei er ein richtiger Mensch geworden. Außerdem bekundete Borm Sympathien für die Ideologie des SED-Staats: Die Kommunisten hätten die richtige Idee. Die Form, in der die SED diese Idee verwirkliche, sei noch nicht attraktiv genug. Er wolle dies aber nicht als Kritik aufgefaßt wissen. Die Idee des Sozialismus sei richtig.