November 1995 |
951101 |
ENERGIE-CHRONIK |
In dem seit Jahren währenden Rechtsstreit um die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich hat das Oberlandesgericht Koblenz am 21.11. die neugefaßte Genehmigung aus dem Jahr 1990 in wesentlichen Teilen erneut aufgehoben. Das Gericht sah, durch mehrere Gutachter bestätigt, erhebliche Prüfungsdefizite im Bereich der Erdbebensicherheit. Dem Kernkraftwerk fehlt damit weiterhin eine rechtskräftige Genehmigung, so daß es nicht in Betrieb genommen werden darf. Die Entscheidung läßt keine Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Sie wurde deshalb von Kernkraftgegnern als "engültiges Aus" für den 1300-MW-Reaktor gefeiert. Der Rechtsdirektor der RWE Energie, Ulrich Mutschler, kündigte dagegen eine Fortsetzung des Rechtsstreits an, weil das Urteil mehrere Rechtsfehler aufweise und von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche (FR, 22.11.; Handelsblatt, 22.11.; FAZ, 22.11.).
Die ursprüngliche erste Teilerrichtungsgenehmigung von 1975 war im September 1988 vom Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt worden, weil sie eine Erdfalte nicht berücksichtigte, auf der ursprünglich der Reaktordruckbehälter errichtet werden sollte, und auch nach einer anderen Plazierung von Reaktor und Maschinenhaus nicht entsprechend korrigiert worden war. Die damalige Mainzer Landesregierung erteilte daraufhin im Juli 1990 eine neue Teilerrichtungsgenehmigung. Diese wurde vom Oberverwaltungsgericht Koblenz im Mai 1991 ebenfalls aufgehoben, weil sie grundsätzlich ungeeignet sei, den Mangel der ersten Genehmigung zu korrigieren. Das Bundesverwaltungsgericht war aber im März 1993 nicht dieser Ansicht: Es hob das Urteil auf und verwies das Verfahren an das Oberlandesgericht zurück, mit der Maßgabe, die Erdbebensicherheit des Kernkraftwerks und mögliche Auswirkungen des Eifelvulkanismus erneut zu prüfen (siehe 910712, 920314, 930302, 930511).
Wegen dieser juristischen Auseinandersetzung ist das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich seit sieben Jahren nicht ans Netz gegangen, obwohl es erfolgreich den Probebetrieb absolvierte. Im Zusammenhang damit läuft ein Schadenersatzprozeß, in dem die RWE Energie vom Land Rheinland-Pfalz eine Entschädigung dafür verlangt, daß die von der früheren Mainzer CDU-Regierung gewählte Genehmigungsprozedur vor Gericht keinen Bestand hatte. Nach einem Urteil des Landgerichts Mainz vom Juni 1992, das vom Oberlandesgericht Koblenz im April 1995 weitgehend bestätigt wurde, steht der RWE Energie ein solcher Schadenersatz in Milliardenhöhe zu (siehe 920607, 940611, 950403).
Nach Ansicht der Süddeutschen Zeitung (22.11.) kann nunmehr davon ausgegangen werden, daß Mülheim-Kärlich niemals Strom liefern wird: "Die Zeche zahlen Stromkunden und Steuerzahler. Jahr für Jahr werden Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet, obwohl das Kraftwerk stillsteht. Der Schaden erhöht sich wohl noch durch erhebliche Regreßansprüche der RWE. Was lernt man daraus? Korrekte Genehmigungspraxis kann lästig sein, inkorrekte kann teuer zu stehen kommen."
Das Handelsblatt (22.11.) begrüßte dagegen die Absicht der RWE Energie, das Urteil nicht als endgültig hinzunehmen. Die Entscheidung des Gerichts sei "ein Schlag gegen die Zukunft des Hochindustrielandes Deutschland und damit gegen den Wohlstand seiner Bürger". Es sei ein "Scheinargument", daß der Reaktor nicht gegen Erdbeben gefeit sei.
Die Stuttgarter Zeitung (22.11.) meinte: "Das entscheidende Wort hat jetzt der Bundesgerichtshof. Er muß entscheiden, ob ein höchst anfechtbares Urteil des Oberlandesgerichts Bestand haben kann."