August 2024 |
240813 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Vorstandsvorsitzende der Syntellix AG und frühere Chef der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Utz Claassen, wird von zahlreichen Beschäftigten des Unternehmens wegen nicht gezahlter Gehälter und anderer Ansprüche verklagt. Er weigert sich jedoch, einer Anordnung des Amtsgerichts Hannover Folge zu leisten, vor Gericht persönlich über seine Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben und zu diesem Zweck von seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort Singapur nach Hannover zu kommen. Und das nicht nur einmal, sondern in über 70 Fällen. Auf Antrag des Hannoveraner Obergerichtsvollziehers erließ das Amtsgericht deshalb in bisher mindestens 49 anhängigen Verfahren jeweils einen zivilrechtlichen Haftbefehl. Parallel dazu ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Claassen und seine Syntellix AG wegen Verdachts der Insolvenzverschleppung.
An dieser Situation änderte auch nicht viel, dass das Landgericht Hannover in fünf Fällen die Haftbefehle wieder aufhob, weil es das Argument gelten ließ, dass Claassen aus gesundheitlichen Gründen die Flugreise nach Deutschland nicht zugemutet werden könne. Dagegen entschied am 29. Juli das Vollstreckungsgericht Hannover, dass ein Haftbefehl vom 15. April bestehen bleibt: Das von Claassen vorgelegte ärztliche Attest eines ausländischen Arztes erfülle nicht die strengen Anforderungen an eine solche Bescheinigung. Es enthalte lediglich eine Diagnose ohne eine konkrete Beschreibung des Gesundheitszustands des Patienten. "Es ist nicht begründet worden, warum eine Beförderung per Flugzeug nicht möglich sein soll", heißt es in dem Beschluss. "Hinzu kommt, dass es zweifelhaft erscheint, ob der ausstellende Arzt ein Verständnis für die Relevanz der abzugebenden Vermögensauskunft besitzt."
Beim zivilrechtlichen Haftbefehl handelt es sich um ein übliches Instrument der Zwangsvollstreckung nach § 802g der Zivilprozessordnung, um den Schuldner zu einer Auskunft über seine Vermögensverhältnisse zu zwingen. Diese muss er im Wege einer eidesstattlichen Versicherung abgeben und macht sich deshalb bei falschen Angaben strafbar. Die Verhaftung erfolgt gemäß § 802g nicht durch die Polizei, sondern durch den Gerichtsvollzieher. Die Haft dauert höchstens so lange, bis der Schuldner seiner Verpflichtung zur Vermögensauskunft nachgekommen ist. Allerdings funktioniert eine solche Verhaftung nur im Inland problemlos, sofern der Wohnsitz des Schuldners bekannt ist und er sich dort auch aufhält. Schon innerhalb der EU wäre sie im Wege der Amtshilfe nur über ein polizeiliches Fahndungsersuchen möglich. Und in Singapur, wo sich Claassen bis auf weiteres aufhält, funktioniert sie praktisch gar nicht.
In Singapur befindet sich der zweite Firmensitz der von Claassen gegründerten Syntellix AG, die seit 2008 im Hannoveraner Handelsregister eingetragen ist. Die Firma stellt Schrauben für chirurgische Eingriffe her, die sich später im Körper auflösen sollen. Allem Anschein nach handelt es sich bei dem mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Geschäftszweig aber um einen Flop. Laut "Handelsblatt" (9.8.) ist das Unternehmen seit seiner Gründung durchgehend defizitär. Mit weniger als zwei Millionen Jahresumsatz sei es nicht nur ein Kleinstunternehmen geblieben, sondern überdies ein unverlässlicher Geschäftspartner, der in Hannover nach Einschätzung des Amtsgerichts nicht einmal mehr über eine zustellfähige Adresse verfüge. Im Bonitätsindex der Auskunftei Creditreform habe Syntellix den schlechtesten aller Werte. Im August 2021 habe Syntellix sogar die Leasingraten für Claassens Dienstwagen nicht mehr zahlen können. Das Fahrzeug – ein Maserati Quattroporte S Q4 Gran Lusso – sei deshalb auf Betreiben eines Inkassounternehmens zur Fahndung ausgeschrieben und schließlich abgeschleppt worden. Ende Juni 2023 habe die Techniker-Krankenkasse ausstehende Sozialversicherungsbeiträge von November 2022 bis Mai 2023 angemahnt. Zwei Monate später habe eine Anwaltskanzlei wegen 17 offenbar unbezahlter Rechnungen die Zusammenarbeit mit Claassen beendet. Am 15. August durchsuchte die Staatsanwaltschaft Syntellix-Lagerräume in Seelze bei Hannover nach Beweismitteln für Betrug und Insolvenzverschleppung.
Das jetzige Verhalten des Syntellix-Chefs fügt sich durchaus in das Bild eines total überschätzten und genauso überbezahlten Managers, das Kritiker schon zu seiner Amtszeit als Chef der Energie Baden-Württemberg gewonnen hatten. Im Unterschied zu damals wird er nun aber nicht mehr auf Kosten der Energieverbraucher mit fürstlichen Bezügen und Pensionsansprüchen überschüttet, sondern ist ziemlich klamm und kann sich nicht mal mehr einen Maserati als Dienstfahrzeug leisten.
Allerdings wird der 61-jährige wohl bald die Pension von jährlich 400.000 Euro beanspruchen können, die ihm seinerzeit der EnBW-Aufsichtsrat zugestanden hat. Soweit bekannt, hat Claassen 2009 nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der neuen EnBW-Führung lediglich auf die fürstliche Frührente verzichtet, mit der ihm 2007 nach nur vier Jahren das "freiwillige" Ausscheiden bei der EnBW versüßt wurde. Obwohl als "Übergangsgeld" deklariert, wären ihm die 400.000 Euro bis zum Erreichen der normalen Pensionsgrenze von 63 Jahren gezahlt worden, falls er keine andere hauptberufliche Tätigkeit aufnimmt. Nur dann wären die neuen Einkünfte auf die Frührente anzurechnen gewesen. Indessen wollte sich Claassen weitere Pfründen nicht entgehen lassen. Zunächst war das die Solar Millenium AG, die ihm schon für den bloßen Amtsantritt neun Millionen Euro zahlte, bevor er nach 74 Tagen wieder kündigte und die gezahlten Millionen behalten wollte (100516, 100716). Deshalb verzichtete er auf die EnBW-Frührente – aber nur gegen eine einmalige Abfindung von 2,5 Millionen Euro (091016).