März 2024

240305

ENERGIE-CHRONIK


Atomkraftwerk Saporischschja weiterhin "äußerst instabil"

In dem seit zwei Jahren andauernden russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine hat sich die Gefahr einer nuklearen Katastrophe durch das Kernkraftwerk Saporischschja wieder zugespitzt. Am 1. März teilte die Internationale Atomenergieorganisation IAEO mit, dass die Anlage seit zehn Tagen ohne Notstromversorgung sei. Von den insgesamt zehn externen Stromleitungen, die vor der Besetzung verfügbar waren – vier mit 750 Kilovolt und sechs mit 330 Kilovolt – sei nur noch eine einzige 750 kV-Leitung in Betrieb, was nicht ausreiche um die sechs abgeschalteten Reaktoren zu kühlen. Erst am 14. März konnte zusätzlich eine 330-kV-Leitung reaktiviert werden, die am 20. Februar wegen der andauernden Kämpfe ausgefallen war und die Stromversorgung durch ein benachbartes Wärmekraftwerk ermöglicht.

Die Wiederinbetriebnahme der 330-kV-Leitung dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation nach wie vor "äußerst instabil und anfällig für weitere Störungen" sei, erklärte anschließend der IAEO-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi. "Europa größtes Kernkraftwerk hat in den letzten 18 Monaten achtmal einen vollständigen Stromausfall erlitten und war auf Notstrom-Dieselgeneratoren angewiesen. In der Geschichte der Kernenergie ist dies eine noch nie dagewesene Situation, die eindeutig nicht tragbar ist."

"Wir müssen alles tun, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern"

Grossi war Anfang Februar zum vierten Mal zu dem von den Russen besetzten Kernkraftwerk gereist, wobei er zuvor in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Zelensky sprach. Anschließend traf er am 6. März in Sotschi zum zweiten Mal den russischen Präsidenten Putin, mit dem er schon im Oktober 2022 über Maßnahmen zur Abwendung einer Katastrophe in Saporischschja verhandelt hatte. "Wie ich wiederholt erklärt habe, muss ich mit beiden Seiten sprechen, um die Gefahr eines potenziell schweren nuklearen Unfalls, der keine Grenzen kennt, zu verringern", sagte er dazu. "Niemand kann an einer nuklearen Katastrophe interessiert sein, und wir müssen alles tun, um sie zu verhindern."

Gouverneursrat der IAEO fordert erneut Rückgabe des Kernkraftwerks an die Ukraine

Das am rechten Ufer des Dnjepr gelegene Kernkraftwerk war schon kurz nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine von russischen Truppen besetzt worden. Am 4. März jährte sich diese Besetzung zum zweiten Mal. Die Stromerzeugung war seitdem nur noch eingeschränkt und schließlich gar nicht mehr möglich. Im Oktober 2022 hatte der Kreml den ganzen KKW-Komplex zu russischem Eigentum erklärt. Demgegenüber forderte der Gouverneursrat der IAEO am 7. März in einer von der Ukraine beantragten Resolution erneut die Rückgabe an den Betreiber Energoatom und den Rückzug aller Truppen von dem Gelände.

EU erhöht Kapazität für Stromaustausch mit Ukraine und Moldawien auf 550 Megawatt

Seit Juni 2022 haben die kontinentaleuropäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) die für den Stromhandel mit der Ukraine und Moldawien zur Verfügung stehende Kapazität unter Berücksichtigung der Stabilität des Stromsystems und von Sicherheitsüberlegungen regelmäßig erhöht (220903). Wie die ENTSO-E am 28. Februar mitteilte, hob sie die Kapazitätsgrenze ab 1. März auf 550 Megawatt an, nachdem diese Erhöhung um 150 MW "auf der Grundlage von Simulationen zur Systemsicherheit und -stabilität" geprüft worden sei.

Am 16. März jährte sich zum zweiten Mal die Synchronisierung der Stromnetze der Ukraine und Moldawiens mit dem kontinentaleuropäischen Netz (220307). "Die Synchronisierung ist ein Akt der Solidarität der europäischen Übertragungsnetzbetreiber", erklärte aus diesem Anlass der Präsident der ENTSO-E, Zbyněk Boldiš. "Sie war wichtig für die Ukraine und Moldawien, da sie ihnen geholfen hat, ihre Stromsysteme unter extrem schwierigen Umständen stabil zu halten. Wie sich die Dinge entwickelt haben, bietet die Synchronisierung der Ukraine nun die Möglichkeit, ihre Reserven bestmöglich zu nutzen und Strom mit der EU sowohl in Import- als auch in Exportrichtung zu handeln." Der EU-Energiekommissar Kadri Simson lobte die außerordentlichen Anstrengungen und Fähigkeiten, mit denen die Ukraine "angesichts der gezielten Angriffe Russlands auf die Energieinfrastruktur das System am Laufen gehalten und Reparaturen durchgeführt" habe.

Mit den drei verbliebenen KKW erzeugt die Ukraine weiterhin Strom

In den ukrainischen Kernkraftwerken Chmelnyzky, Rowno (Riwe) und "Süd-Ukraine" (220903) wird weiterhin Strom erzeugt, obwohl die Kriegsbedingungen auch dort den normalen Betrieb erschweren. So musste sich ein IAEO-Team bei der Inspektion des KKW Chmelnyzky am 10. und 11. März wegen Luftalarms gleich viermal in den Schutzraum der Anlage begeben. Laut IAEO ist jedoch bei allen drei Kernkraftwerken – anders als im russisch besetzten Saporischschja – die interne Betriebssicherheit bisher nicht gefährdet. Unter Kontrolle sei auch weiterhin das radioaktiv verseuchte Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Tschernobyl, das die Russen gleich zu Beginn ihres Überfalls kurze Zeit besetzt hatten (220306). Die IAEO half dabei mit Unterstützung der EU und Großbritanniens durch bisher 40 Lieferungen von Hilfsgütern wie Strahlungszählsystemen, tragbaren Funkgeräten und persönlicher Schutzausrüstung.

 

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