Mai 2023 |
230503 |
ENERGIE-CHRONIK |
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck teilte am 17. Mai mit, dass er tags zuvor mit seinem Staatssekretär Patrick Graichen in einem persönlichen Gespräch übereingekommen sei, diesen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Der Grund dafür sei allerdings nicht die sogenannte Trauzeugen-Affäre, die seit Ende April von der rechtsextremistischen AfD und der Union mit Hilfe eines Teils der Medien zum Pseudo-Skandal aufgebauscht wurde (230413). Vielmehr hätten sich bei peniblen Nachforschungen, die vor dem Hintergrund dieser Kampagne eingeleitet wurden, zwei Verstöße gegen die "Compliance"-Regeln einer korrekten Amtsführung herausgestellt. "In der Gesamtschau" habe sich Graichen damit "zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können".
Bei dem einen neuen Sachverhalt handelt es sich um Fördergelder für drei Projekte, die Graichen am 30. November 2022 billigte. Eines dieser Projekte stammte vom Landesverband Berlin des BUND und betraf eine Fördersumme von knapp 600 000 Euro. Das wäre an sich ein völlig normaler Vorgang gewesen, wenn es nicht einen familiären Haken gäbe: Graichens Schwester Verena ist beim BUND Berlin seit 2013 Vorstandsmitglied und war bis Mai 2022 die Landesvorsitzende.
Habeck sieht hier einen Verstoß gegen die korrekte Amtsführung: "Diese Vorlage hätte Patrick Graichen laut Compliance-Regeln weder vorgelegt werden dürfen noch hätte er sie abzeichnen dürfen. Es muss allein schon der Anschein der Parteilichkeit vermieden werden, und das ist hier nicht eingehalten worden."
Außerdem gebe es noch einen "zweiten Vorgang, der in einem Graubereich liegt, und den wir deshalb im Zuge der Prüfungen noch mal ausgeleuchtet haben". Es handele sich um die im Herbst 2022 erfolgte Berufung von Felix Matthes in die vierköpfige Expertenkommission zum Energiewendemonitoring. Auch hier hätte nach Habecks Worten "der Anschein der Parteilichkeit besser vermieden werden sollen". Nähere Ausführungen machte er dazu nicht. Anscheinend geht es ebenfalls um Verwandtschaftsbeziehungen: Der von Graichen berufene Felix Matthes ist Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik beim "Öko-Institut", für das auch Graichens Schwester Verena sowie sein Bruder Jakob als "Senior Researcher" arbeiten.
Noch Anfang Mai hatte Habeck gegenüber den maßlos überzogenen, zu einer Hetzkampagne wegen angeblicher "Clan-Kriminalität" gesteigerten Vorwürfen der Oppositionsparteien Union und AfD erklärt, dass er an Graichen festhalten werde. Graichen habe selber eingeräumt, einen Fehler gemacht zu haben, als er Mitglied der dreiköpfigen Findungskommission blieb, die über sechs ausgewählte Kandidaten für den Chefposten bei der "Deutschen Energie-Agentur" (Dena) zu entscheiden hatte, unter denen sich sein Parteifreund und einstige Trauzeuge Michael Schäfer befand und den Zuschlag erhielt. Die "Substanz dieses Fehlers" habe durch eine neue Ausschreibung korrigiert werden können. Die Berliner Staatsanwaltschaft, bei der verschiedene Strafanzeigen eingegangen waren, sah auch keinen Anfangsverdacht für eine strafbare Handlung.
Den Entschluss zur Trennung von Graichen fasste Habeck erst, als sich bei peniblen Nachforschungen herausstellte, dass der Staatssekretär nicht nur hinsichtlich seines Trauzeugen eine erstaunliche Naivität gezeigt hat, was mögliche Angriffsflächen wegen angeblicher Vetternwirtschaft betrifft, selbst wenn er er die Entscheidung zur Besetzung des Dena-Chefpostens in erster Linie unter sachlichen bzw. politischen Gesichtpunkten getroffen haben sollte. Zum Beispiel hat er nach eigenem Bekunden vier der sechs Bewerber für den Posten persönlich gekannt und beim Empfang an der Tür mit "Du" begrüßt, beim anschließenden offiziellen Gespräch aber alle mit "Sie" angesprochen. Anscheinend nahm er an, dass damit das Dilemma bereits gelöst sei, anstatt sich von vornherein aus der Kommission zurückzuziehen.
"Die Fehler sind unterschiedlich gravierend, und stünde jeder dieser Fehler für sich allein, würde er eine solche dramatische Konsequenz, wie wir sie heute ziehen, nicht nötig machen", begründete Habeck am 17. Mai den ihm sichtlich schwer gefallenen Entschluss zur Trennung von Graichen. "Aber die Fehler stehen eben nicht allein, sondern sind in der Gesamtschau zu sehen. Ich habe mich in den letzten Wochen trotz des schweren Fehlers bei der Dena-Neubesetzung vor Patrick Graichen gestellt. Menschen machen Fehler, jeder und jede von uns. Aber um mit dem einen schweren Fehler umzugehen, muss ich sicher sein, dass die Compliance-Brandmauer, die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse gezogen wurde, keine Risse hat. Diese Risse hat sie nun."
Habeck ist sich bewusst, dass der von AfD und Union mit Unterstützung der Springer-Medien entfachte Pseudo-Skandal um Graichen eigentlich auf seine Person zielt. Vor allem soll damit die verbreitete Verunsicherung und Unzufriedenheit geschürt werden, die das geplante Heizungsgesetz (230402) ausgelöst hat. "Ich weiß, dass es Widerstand gegen das Gesetz gibt", erklärte Habeck am 10. Mai bei einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft und Klima /Energie, die auf Antrag der Opposition zustande kam. "Aber ich denke, man sollte die Debatte um die erneuerbare Wärme vs. Öl/ Gas-Wärme nicht über Angriffe auf die Personen führen, sondern in der Sache."
Wie am 22. Mai inoffiziell bekannt und vom Ministerium auf Anfrage bestätigt wurde, soll der 57-jährige Philipp Nimmermann die Nachfolge Graichens antreten. Nimmermann war bisher Staatssekretär im hessischen Wirtschaftsministerium. Zuvor war er Staatssekretär im ebenfalls grün geführten schleswig-holsteinischen Finanzministerium. Aus dieser Zeit kennt ihn Robert Habeck, der in der aus CDU, Grünen und FDP gebildeten Kieler Landesregierung bis 2018 als Minister für Energiewende und stellvertretender Ministerpräsident amtierte.
Eine ähnliche Nonchalance wie bei der säuberlichen Trennung von privaten und dienstlichen Beziehungen scheint Graichen bei der Abfassung seiner vor zwanzig Jahren eingereichten Dissertation gezeigt zu haben, die unter dem Titel "Kommunale Energiepolitik und die Umweltbewegung" auf ungefähr der Hälfte von rund 300 Seiten die "Stromrebellen von Schönau" (960308) behandelt. Im Auftrag des Springer-Mediums "Bild" (20.5.) hat der bekannte Plagiate-Spezialist Jochen Zenthöfer nun diese Doktorarbeit überprüft und fand dabei "30 Plagiatsfragmente, die teilweise aus mehreren Sätzen bestehen". Diese Textbruchstücke stammten aus zwei Aufsätzen des Umweltsoziologen Karl-Werner Brand, die Graichen zwar auch anführe, ohne aber die wörtlich übernommenen Stellen hinreichend als Zitate kenntlich zu machen. Es handele sich dabei um "Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis", und auch "Täuschungsabsicht" sei naheliegend.
Zumindest den zweiten Vorwurf will Graichen nicht auf sich sitzen lassen. Auf Anfrage von "Bild" erklärte er, die beanstandeten Stellen würden alle aus dem ersten Teil der Arbeit stammen, der nur "eine historische Hinleitung zum eigentlichen wissenschaftlichen Kern-Thema" der Dissertation darstelle. Dieser wissenschaftliche Kern - anscheinend meint er damit die im Untertitel erwähnte "Public-Choice-Analyse der 'Stromrebellen von Schönau'" - sei von der geäußerten Kritik nicht betroffen. Er habe aber aufgrund von Zenthöfers Kritik die Universität gebeten, die Doktorarbeit einer Überprüfung durch die Universität Heidelberg zu unterziehen.
Im Zusammenhang mit der Kampagne gegen Habecks Ministerium sind auch Recherchen des Internet-Magazins "Business Insider" (22.5.) zu sehen, wonach der für Startups zuständige Staatssekretär Udo Philipp im August vorigen Jahres einen Mitgründer des Fonds First Momentum Ventures, der neu gegründete Firmen mit Wagniskapital ausstattet, in den Beirat "Junge Digitale Wirtschaft" berufen habe, obwohl er an diesem Fonds seit 2018 selber beteiligt sei. Das Ministerium bestätigte, dass diese Berufung auf dem üblichen Dienstweg und im Verantwortungbereich von Philipp zustande kam. Philipp erlange dadurch aber keinen Einfluss auf den Finanzfonds und das 28-köpfige Gremium habe lediglich beratende Funktion. Beteiligungen an Fonds seien nach den Regelungen für die Bundesregierung zulässig und nicht anzeigepflichtig.
Zuvor hatte das Internet-Magazin am 15. Mai über "Geheime Investments in Startups" berichtet, die Philipps nicht preisgeben wolle. Das Ministerium veröffentlichte daraufhin am 18. Mai vier kleinere Minderheitsbeteiligungen des Staatssekretärs an derartigen Unternehmen, die er bereits als Deutschland-Chef des Private Equity Fonds EQT getätigt hat, bevor er im März 2019 Staatssekretär im Finanzministerium Schleswig-Holstein wurde. Bei seinem Amtsantritt habe er dem Ministerium mitgeteilt, dass er Fonds, Aktien und Unternehmensbeteiligungen besitzt.