November 2022 |
221108 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die in Deutschland verfügbaren Importmengen an Erdgas (rot) sind durch den Wegfall der russischen Lieferungen im zweiten Halbjahr stark zurückgegangen. Trotzdem bleibt der Sockel aus inländischer Förderung (schwarz) vergleichsweise minimal. An der erdrückenden Importabhängigkeit bei Erdgas würde auch das umweltgefährdende Fracking nicht viel ändern. Vor allem könnte es wegen der langen Vorlaufzeiten gar nichts zur Verringerung der aktuellen Versorgungsengpässe beitragen. |
Nach dem mühsam beigelegten Konflikt um längere Laufzeiten für die drei letzten Kernkraftwerke (221103) hat die FDP ein neues Thema entdeckt, um die Koalition mit Grünen und SPD zu belasten, ohne dass ihr in diesem Fall vorgeworfen werden kann, den Koalitionsvertrag zu verletzen: Beim "SZ-Wirtschaftsgipfel" – einer von der "Süddeutschen Zeitung" organisierten Diskussionsveranstaltung in Berlin – plädierte der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner am 23. November für die Zulassung der umweltschädlichen "Fracking"-Technologie, um aus dem geringen Beitrag der inländischen Förderung zum deutschen Erdgas-Verbrauch mehr herauspressen zu können. Im Koalitionsvertrag vom November 2021 wurde dieses Thema nicht erwähnt, da es nach dem faktischen Fracking-Verbot, das der Bundestag am 24. Juni 2016 beschloss (160603), als erledigt gelten konnte. Auch die Union hat damals dem Gesetz zugestimmt, während die FDP wegen ihres Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Parlament vertreten gewesen war.
In seinem Diskussionsbeitrag behauptete Lindner, dass die Förderung von Schiefergas und Nordseeöl mittels Fracking einen wirtschaftlich relevanten Beitrag zur Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leisten könne. Die Warnungen vor Umweltschäden seien längst nicht mehr berechtigt. Zugleich beteuerte der FDP-Chef, dass es ihm nicht darum gehe, sich mit dem grünen Koalitionspartner anzulegen. Einen derartigen Verdacht wies er mit demonstrativer Empörung zurück: "Glauben Sie wirklich, dass es in dieser aktuellen Situation einer fundamentalen Krise unseres Landes meine Hauptsorge ist, wie ich die Grünen ärgern kann?"
Tatsächlich geht es Lindner nicht um den Konflikt als Selbstzweck. Vielmehr teilt und unterstützt er damit die Position des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Am 20. Oktober hatte sich BDI-Präsident Siegfried Russwurm für die Zulassung von Fracking ausgesprochen, weil Deutschland auf diese Weise unabhängiger von Rohstoffexporten werden könne. Bisher sei die deutsche Haltung, Fracking-Gas aus den USA zu importieren, aber im eigenen Land diese Technologie abzulehnen. Der bei diesem BDI-Kongress mitanwesende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekräftigte demgegenüber die geltende Rechtslage. Eine Anhebung der inländischen Erdgasförderung mittels Fracking sei sowieso nur langfristig zu realisieren und dann nicht mehr sinnvoll. Die Energiepolitik dürfe nicht auf Forcierung der Erdgasförderung ausgerichtet sein, sondern müsse auf "grünen" Wasserstoff orientieren, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Beim "SZ-Wirtschaftsgipfel" war Habeck ebenfalls mitanwesend. Er widersprach dem von Lindner vertretenen Standpunkt unter Hinweis auf die Probleme, die in Großbritannien entstanden sind, nachdem die kurzlebige Regierung der Ministerpräsidentin Liz Truss das 2019 verfügte Fracking-Moratorium aufgehoben hatte: Weil es bei Testbohrungen zu Mikro-Erdbeben und zum Absinken von Erdreich gekommen war, kündigte der neue konservative Premier Rishi Sunak Ende Oktober an, die alte Rechtslage wieder herzustellen.
Die vom BDI und ihm geneigten Medien (wie der FAZ) seit einiger Zeit geführte Kampagne für das Fracking nahm das Bundesumweltministerium zum Anlaß, um auf seiner Internetseite einen aktuellen FAQ-Katalog mit 18 Fragen zum Fracking zu veröffentlichen. Zum Beispiel findet man dort auf die Frage "Hat Fracking Vorteile für den Klimaschutz?" die folgende Antwort: "Erdgas-Fracking kann in Deutschland, anders als in den USA, keinen substanziellen Beitrag zur Energieversorgung leisten; weder kann Deutschland durch das Fracking unabhängig von Energieimporten werden, noch lassen sich unsere Klimaziele durch den Aufbau einer Fracking-Infrastruktur besser erreichen. Für beide Ziele bedarf es langfristig vielmehr eines konsequenten Ausbaus der erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz."
Während die inländische Erdgas-Förderung in der Grafik oben den Eindruck eines scheinbar gleichbleibenden Sockels erweckt, macht diese Vergrößerung deutlich, dass sie kaum weniger schwankt als der Importsaldo. Bemerkenswert ist dabei, dass sie im ersten Quartal, als die Versorgung mit Importgas noch fast ungestört blieb, mit durchschnittlich 137 GWh/Tag besonders hoch war. Dagegen ging sie in der zweiten Jahreshälfte auf 110 GWh/Tag zurück, anstatt den Wegfall der russischen Lieferungen durch eine maximale Nutzung der inländischen Erdgasvorkommen wenigstens ein bißchen auszugleichen. |