August 2022

220807

ENERGIE-CHRONIK


AfD trommelt für Inbetriebnahme von Nord Stream 2

Die AfD will am 8. Oktober in Berlin eine Großkundgebung unter dem Motto "Nord Stream 2 statt Gasumlage" veranstalten. Außerdem kündigte ihr Vorsitzender Tino Chrupalla am 23. August wöchentliche Demonstrationen an, die ab Herbst jeden Montag stattfinden sollen. Die im Bundestag mit 80 Sitzen vertretenen Rechtsextremen erweisen sich damit erneut als die wichtigste politische Hilfstruppe des Kreml, der auch in anderen Ländern rechtsradikale Parteien unterstützt, während er gleichzeitig seinen Überfall auf die Ukraine mit dort regierenden "Neonazis" begründet, die beseitigt werden müssten.

Chrupalla kündigte an, dass bei den Veranstaltungen auch Fahnen oder Parolen zugelassen würden, die nicht von der AfD stammen. "Alles was erlaubt ist an Fahnen in Deutschland, das unterstütze ich." Das durfte als Einladung an noch weiter rechts stehende neonazistische Gruppen gewertet werden, soweit sie darauf verzichten, mit Hakenkreuz-Fahnen zu erscheinen. Oder auch an Anhänger der Linkspartei, unter deren teilweise sektiererischen Mitgliedern es ebenfalls starke Neigungen gibt, die Ablehnung der Gasumlage mit einer völlig unkritischen Haltung gegenüber dem Regime in Moskau zu verbinden. Eine gewisse Abgrenzung gegenüber dieser Partei hielt Chrupalla dann aber doch für nötig: Das politische Angebot der Linkspartei widerspreche dem eigenen fundamental, stellte er fest. Außerdem trete diese Partei im Unterschied zur AfD nicht geschlossen für die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland ein.

Fraktionschef der Linken hält die Forderung für "Quatsch", aber dennoch für "legitim"

Der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärte in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" (24.8.), die Forderung nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 sei innerhalb der Partei "eine Minderheitenposition, die ich nicht teile, die aber gleichwohl legitim ist". Persönlich halte er sie in der gegenwärtigen Situation für politisch unverantwortbar: "Man bedient damit zudem ein Narrativ, das insbesondere im Kreml aufgebaut wird, nämlich, dass man einfach nur den Hahn öffnen muss und dann strömt das Gas. Das ist aber Quatsch." Auch seine Ko-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali habe nicht explizit die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verlangt. Sie habe lediglich gesagt, dass dies kein Tabu sein dürfe und man darüber nachdenken müsse, bevor es zu Gasausfällen kommt.

"Einfach zu sagen, jetzt lassen wir mal den Preis wirken, ist eine Sauerei", entgegnete Bartsch auf die Frage, weshalb auch seine Partei zu Protesten gegen die Gasumlage aufruft. Die mit der Umlage verbundene Senkung der Mehrwertsteuer sei zwar richtig, reiche aber bei weitem nicht aus. Besser sei ein kostengünstiges Grundkontingent für alle Verbraucher sowie eine Deckelung der Gaspreise. Ferner müsse eine Übergewinnsteuer für die Profiteure der Krise eingeführt werden.

Der FDP-Vize Kubicki lässt sich ebenfalls für die russische Propaganda einspannen

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki plädierte am 19. August in einem Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" der Madsack-Gruppe ebenfalls für die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die bei Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine sofort auf Eis gelegt worden war (220201). "Wir sollten Nord Stream 2 jetzt schleunigst öffnen, um unsere Gasspeicher für den Winter zu füllen", meinte er. Wenn Putin dann doch nicht mehr Gas liefere, habe Deutschland nichts verloren. Andernfalls könne das aber "helfen, dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt". Es sei sogar oberste Pflicht der Bundesregierung, dies so zu sehen.

Empörung und Entsetzen über die "ungeheuerliche Naivität" eines Spitzenpolitikers

Damit stieß Kubicki allerdings auf Empörung und entschiedenen Widerspruch, nicht zuletzt in der eigenen Partei. "Die Öffnung von Nord Stream 2 wäre ein katastrophaler Vertrauensbruch mit unseren Verbündeten", erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae. "Das würde Putin nur in die Hände spielen." Die Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, zeigte sich entsetzt über Kubickis Naivität: "Putin führt einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine und erpresst Europa mit dem Zudrehen des Gashahns. Sich ausgerechnet jetzt mit Nord Stream 2 noch abhängiger von Putin machen zu wollen ist ungeheuerlich naiv." Mit solchen Forderungen disqualifiziere sich Kubicki sowohl energiepolitisch als auch außenpolitisch. Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin stellt fest: "Es liegt nicht an fehlenden Kapazitäten, dass Putin nicht mehr liefert, sondern daran, dass er nicht mehr durchlässt." Der stellvertretende FDP-Vorsitzende sei "das Gegenteil eines aufrechten Liberalen, für den sich viele in der FDP schämen".

Wie die AfD griff Kubicki eine Scheinalternative auf, die Putin neuerdings in eher höhnischer Weise ins Gespräch gebracht hat, indem er auf die mögliche Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verwies, damit die von ihm gedrosselten Gasflüsse aus Russland wieder stärker werden. Dabei weiß der Kreml-Diktator selber am besten, dass es keineswegs an Leitungskapazitäten mangelt, sondern auf seine höchstpersönliche Entscheidung zurückzuführen ist, wenn die Gasflüsse aus Russland zu Rinnsalen geschrumpft sind. Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde diese Konstellation in keiner Weise verändern, sondern durch einen weiteren Kotau vor den erpresserischen Methoden des Kreml noch verstärken. Man dürfe nie so tief sinken, von dem Kakao auch noch zu trinken, durch den man gezogen wird, gab Erich Kästner einst zu bedenken. Genau das tat aber Kubicki mit diesem Vorstoß, der nur von der rechtsextremen AfD sowie der irrlichternden Linken Sarah Wagenknecht Beifall erhielt.

Links (intern)