März 2021 |
210303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat das Land Berlin am 9. März verurteilt, das Angebot der Netzgesellschaft der Gasag AG für einen Gaskonzessionsvertrag anzunehmen. Damit ist der seit zehn Jahren andauernde Streit um die Vergabe der Berliner Gaskonzession abgeschlossen, ohne dass es dem aus SPD, Linke und Grünen gebildeten Berliner Senat gelungen ist, die Privatisierung der Berliner Gasversorgung rückgängig zu machen, die vor 27 Jahren eine aus CDU und SPD bestehende Koalition eingeleitet hat (940212).
Wie sich der Pressemitteilung des Gerichts entnehmen lässt – das Urteil selber mit dem Aktenzeichen KZR 55/19 lag noch nicht gedruckt vor – begründet der Kartellsenat seine Entscheidung im wesentlichen mit der Schwachbrüstigkeit der im März 2012 ins Leben gerufenen landeseigenen "Berlin Energie". Deren Angebot für die Konzessionsvergabe sei "nach den vom Land Berlin vorgegebenen Vergabebedingungen auszuschließen, weil der Landesbetrieb seine finanzielle Leistungsfähigkeit innerhalb der gesetzten Frist nicht in einer den Vergabebedingungen genügenden Weise dargelegt hatte". Deshalb habe die Netztochter der Gasag als bisherige Inhaberin der Konzession "das einzige annahmefähige Angebot in dem Vergabeverfahren vorgelegt".
Diese Sichtweise ist nicht neu und führte schon 2014 dazu, dass das Landgericht Berlin die Konzessionsvergabe an "Berlin Energie" untersagt hat (141209). Sie ist allerdings gleichermaßen richtig wie falsch, je nachdem wieweit man dabei einer mehr oder weniger formalen Betrachtungsweise huldigt. In der Tat verbarg sich hinter der "Berlin Energie" nur eine kleine Abteilung der Senatsverwaltung, die zur Übernahme des Netzbetriebs gar nicht fähig gewesen wäre. Allerdings sollte von der seit 2006 separat geführten "Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg" (NBB) der Gasag nicht nur deren Netz, sondern auch das gesamte Betriebspersonal übernommen werden. Dieses Konzept war finanziell durchaus abgesichert, vom angestrebten Ergebnis her überzeugend und politisch mehrheitsfähig. Juristisch war es aber von einer erstaunlichen Ungeschicklichkeit, wie das jetzt ergangene Urteil erneut zeigt. Es ignorierte vor allem die hohen Hürden für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung, die der Bundesgerichtshof schon mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2013 errichtet hat (131208).
In dem Ende 2011 eingeleiteten Verfahren zur Neuvergabe der Berliner Gas-Konzession hatten nur der Landesbetrieb und der Gasag-Konzern abschließende Angebote abgegeben. Im Juni 2014 teilte der Senat mit, dass sich der Landesbetrieb mit 311 von 315 möglichen Punkten durchgesetzt habe, während der bisherige Netzbetreiber Gasag nur 299 Punkt erreichte (140604). Nachdem die Gasag/NBB diese Entscheidung erfolgreich vor dem Landgericht angefochten hatte, beantragte sie mit einer weiteren Klage die Neuvergabe der Konzession an sich. Der damalige Gasag-Chef Grützmacher scheint diesen Schritt allerdings nicht mit den Gasag-Eigentümern E.ON, Vattenfall und GFD Suez abgesprochen zu haben, da er im Februar 2015 sein Amt wegen "unterschiedlicher Auffassungen zur Unternehmensführung" niederlegen musste (150212). Inzwischen hatte sich der Senat nämlich mit dem Gasag-Hauptaktionär E.ON über eine Zusammenarbeit verständigt, um bei der ebenfalls anstehenden Neuvergabe der Stromnetz-Konzession nicht wiederum Schiffbruch zu erleiden (160318). Die Gasag-Klage auf Übertragung der Gas-Konzession wurde vom Berliner Kammergericht (Oberlandesgericht) im April 2019 abgelehnt, wobei das Gericht gleichzeitig die Ungültigkeit der Konzessionsvergabe an Berlin Energie bestätigte (190411). Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen und jetzt entschiedenen Revision gegen dieses Urteil hatte die Gasag/NBB erneut beantragt, das Land Berlin zur Übertragung der Konzession an sie zu verpflichten.
Die Gasag wurde vor 174 Jahren gegründet – damals hauptsächlich
zur Versorgung der Berliner Gaslaternen – und gehörte 147 Jahre lang
zu hundert Prozent der Stadt Berlin. Sie wurde dann aber in den neunziger Jahren
von der damals regierenden CDU/SPD-Koalition erst teilweise und schließlich
komplett privatisiert. Ein ähnliches Schicksal erlitt kurz darauf das städtische
Schwesterunternehmen Bewag als Berliner Stromversorger (051113).
Mit je 11,95 Prozent wurden 1994 zunächst RWE und Ruhrgas private Minderheitsaktionäre
der Gasag (940212), ehe vier Jahre später Bewag
und Gaz de France die restliche Landesbeteiligung von 51,5 Prozent übernahmen
(980209). Im Jahr 2000 verkaufte RWE im Zuge der Fusion
mit VEW seine Beteiligung an den Veba-Konzern. Vor diesem Hintergrund gehört
die Gasag bis heute zu 36,85 Prozent E.ON (vormals Veba und Ruhrgas) sowie zu
jeweils 31,575 Prozent der französischen Engie (vormals GDF Suez bzw. Gaz
de France) und Vattenfall (vormals Bewag). Im Jahr 2010 scheiterten E.ON und
Vattenfall mit dem Versuch, ihre gemeinsame Mehrheitsbeteiligung an den Miteigentümer
GDF Suez, die russische Gazprom oder die neue Thüga zu verkaufen (100510).