Juni 2014 |
140604 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Berliner Senat will die Konzession für die Gasversorgung der Hauptstadt, die 2013 auslief, dem landeseigenen Unternehmen "Berlin Energie" übertragen. Dies teilte Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) am 3. Juni mit. Der Senatsbetrieb habe sich mit 311 von 315 möglichen Punkten durchgesetzt, während der bisherige Netzbetreiber Gasag nur 299 Punkte erreichte. Am 24. Juni billigte auch die aus SPD und CDU bestehende Landesregierung die Entscheidung des Finanzsenators. Was jetzt noch aussteht, ist die Zustimmung des Abgeordnetenhauses.
Der bisherige Versorger und Netzbetreiber Gasag ließ am 17. Juni wissen, daß er die Vergabeentscheidung beim Landgericht anfechten werde. Die Klage sei aktienrechtlich zum Schutz des Unternehmens und von über 600 Arbeitsplätzen geboten, die im Falle einer Umsetzung der Entscheidung des Finanzsenators auf dem Spiel stünden, erklärte der Vorstandsvorsitzende Stefan Grützmacher. Er bedauere, daß dieser Schritt nötig geworden sei. Die Klage-Einreichung schließe aber eine spätere gütliche Einigung nicht prinzipiell aus.
In der Tat dürfte die Konzessionsvergabe an "Berlin Energie" nur der erste Schritt zu einem Gemeinschaftsunternehmen mit der Gasag sein, die sich über ihre Netztochter NBB an der Ausschreibung beteiligt hat. Der Finanzsenator deutete dies bereits an: "Das landeseigene Unternehmen könnte sich die Gasag auch als Partner ins Boot holen", hieß es in seiner Pressemitteilung. Andernfalls seien rund eine Milliarde Euro erforderlich, um der Gasag das Netz abzukaufen.
Die Gasag gehörte einst hundertprozentig dem Land Berlin. Sie wurde dann aber in den neunziger Jahren von der damals regierenden CDU/SPD-Koalition erst teilweise und schließlich komplett privatisiert. Ein ähnliches Schicksal erlitt die einstige Bewag als Berliner Stromversorger (051113).
Mit je 11,95 Prozent wurden 1994 zunächst RWE und Ruhrgas private Minderheitsaktionäre der Gasag (940212), ehe vier Jahre später Bewag und Gaz de France die restliche Landesbeteiligung von 51,5 Prozent übernahmen (980209). Im Jahr 2000 verkaufte RWE im Zuge der Fusion mit VEW seine Beteiligung an den Veba-Konzern. Vor diesem Hintergrund gehört die Gasag heute zu 36,85 Prozent E.ON (vormals Veba und Ruhrgas) sowie zu jeweils 31,57 Prozent der GDF Suez (vormals Gaz de France) und Vattenfall (vormals Bewag). Vor vier Jahren scheiterten E.ON und Vattenfall mit dem Versuch, ihre gemeinsame Mehrheitsbeteiligung an den Miteigentümer GDF Suez, die russische Gazprom oder die neue Thüga zu verkaufen (100510).
Unter dem Eindruck einer starken Bewegung zugunsten einer Rekommunalisierung der Energieversorgung gründete die vormalige Senatskoalition aus SPD und Linken im März 2012 die "Berlin Energie". Erklärter Zweck dieses landeseigenen Unternehmens ist es, "die Teilnahme des Landes Berlin am Interessebekundungsverfahren für die Gas- und Stromkonzessionen zu ermöglichen". Rechtlich gesehen handelt es sich um eine Abteilung der Senatsverwaltung, in der bisher gerade mal sieben Mitarbeiter tätig sind. Sie verfügt damit aktuell sicher nicht über den notwendigen Personalbestand und das Knowhow für die Übernahme des Netzbetriebs, aber über hinreichende finanzielle Ressourcen, um notfalls die Gasag-Netztochter samt deren Mitarbeitern zu übernehmen. Ihr Geschäftsleiter Wolfgang Geldner kündigte denn auch bereits an, daß man von der Gasag nicht nur deren Netz, sondern auch das Betriebspersonal "ohne Einschränkungen" zu übernehmen gedenke. Faktisch dürfte die "Berlin Energie" aber allenfalls eine Mehrheitsbeteiligung anstreben, während die Gasag mit ihrer Anfechtungsklage bezweckt, den Preis dafür möglichst hoch zu treiben.
Die "Berlin Energie" hatte ihr Angebot erst am 7. April dieses Jahres eingereicht, an dem die Bewerbungsfrist ablief. Am 2. Juni folgte auch eine Bewerbung um die Konzession für das Berliner Stromnetz, die 2015 neu vergeben wird und bisher Vattenfall gehört. Ein weiterer Interessent für das Berliner Gasnetz war zunächst der niederländische Verteilnetzbetreiber Alliander, der sich aber Anfang April wieder zurückzog.
Die Billigung der Konzessionsvergabe durch den SPD/CDU-Senat erfolgte in Abwesenheit des Justizsenators Thomas Heilmann (CDU), der die Vergabe an "Berlin Energie" kritisiert hatte. Der Finanzsenator Ulrich Nußbaum erklärte daraufhin Heilmanns Fernbleiben mit einem "möglichen Befangenheitsgefühl" des Kabinettskollegen. Heilmann ließ deshalb Nußbaum eine Unterlassungserklärung zustellen. Am 26. Juni gab der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bekannt, daß Heilmann sein Vorgehen bedauere und die Unterlassungsforderung zurückgezogen habe.
Zeitungsberichten zufolge begann der Konflikt in einer Kabinettssitzung, bei der Nußbaum von Heilmann wissen wollte, ob er geschäftliche Beziehungen zu E.ON bzw. zur Gasag unterhalte. Er bezog sich dabei auf eine jener undurchsichtigen Geschichten, die sich 2003 bei den außergerichtlichen Einigungen abspielten, mit denen E.ON die Klagen von Konkurrenten gegen die Ministererlaubnis zur Fusion mit Ruhrgas aus dem Weg räumte (030101). Heilmann ist nämlich zugleich Miteigentümer des Energie-Dienstleisters Ampere AG, den er 1998 mit zwei weiteren Aktionären gegründet hat (980714). Die Ampere AG gehörte 2003 zu den Klägern gegen die umstrittene Ministererlaubnis, die vor Gericht keinen Bestand hatte (021201). Die Rücknahme dieser Klage wurde für die Ampere-Eigentümer zu einem lukrativen Geschäft. Soweit bekannt, erwirkten sie von E.ON nicht nur günstige Konditionen für Strom- und Gaslieferungen, sondern auch die Rückübertragung der Mehrheitsbeteiligung an ihrem Unternehmen, die inzwischen beim E.ON-Partner Stadtwerke Hannover gelandet war (030606).
Laut "Tagesspiegel" (26.6.) ist der damals geschlossene Vertrag allerdings vor fünf Jahren ausgelaufen. Beteiligungen von Ampere oder deren Gesellschaftern an weiteren Energieunternehmen seien nicht bekannt. Wie das Blatt in diesem Zusammenhang berichtete, zählte auch der heutige Tagesspiegel-Mitherausgeber und -eigentümer Sebastian Turner von Anfang an zu den Ampere-Eigentümern. Sowohl Turner als auch Heilmann gehörten damals zur Führungsspitze der Werbeagentur Scholz & Friends.