Januar 2020 |
200103 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Pipeline "Turkish Stream" hat weitgehend denselben Verlauf wie die geplante Schwarzmeer-Querung beim Vorgänger-Projekt "South Stream", das die Russen Ende 2014 abblasen mussten. Der Anlandepunkt befindet sich nun aber nicht mehr in Bulgarien, sondern im europäischen Teil der Türkei. Eine Gasverdichterstation an der russischen Küste bei Anapa erzeugt mit 224 Megawatt den benötigten Druck, um das Erdgas durch beide Stränge über eine Entfernung von 930 Kilometer bis zur türkischen Küste bei Lüleburgaz zu transportieren. |
Die Gazprom nahm am 8. Januar die neue Pipeline "Turkish Stream" in Betrieb, die eine direkte Verbindung zwischen der russischen Schwarzmeer-Küste und dem europäischen Teil der Türkei herstellt. An der Eröffnungszeremonie in Istanbul beteiligten sich neben Kremlchef Putin und dem türkischen Präsidenten Erdogan auch der serbische Präsident Vucic und der bulgarische Ministerpräsident Borissov. Bulgarien will seine Anschlussleitung noch in diesem Frühjahr fertigstellen. Nächster Anwärter auf eine Verlängerung ist Serbien. Anschließend könnte die Leitung bis Ungarn oder Österreich weitergeführt werden. Ferner sind Abzweigungen nach Griechenland und in andere Balkanländer möglich. Soweit es sich dabei um EU-Staaten oder EU-Aspiranten handelt, wird die Gazprom aber nicht zugleich Betreiber der Leitungen sein können. Diese Aufgabe übernehmen dann voraussichtlich staatliche Netzbetreiber.
Mit "Turkish Stream" kann Gazprom nun auch im Süden die Ukraine umgehen, wie dies der Kreml schon seit 2007 beabsichtigte, um das damalige EU-Projekt "Nabucco" zu torpedieren (070612). Die 930 Kilometer lange Trasse durch das Schwarze Meer hat dabei großteils denselben Verlauf wie beim Projekt "South Stream", das die Gazprom Ende 2014 wegen seiner Unvereinbarkeit mit den Entflechtungsvorschriften der Europäischen Union einstellen musste (141201). Der Anlandepunkt der Gaspipeline befindet sich nun aber nicht mehr in Bulgarien, sondern etwas weiter südlich im europäischen Teil der Türkei. Das ermöglicht es der Gazprom, sowohl Eigentümer als auch Betreiber der neuen Leitung zu sein.
Das neue Projekt "Turkish Stream" – auch als "Turkstream" bezeichnet – war Ende 2014 als Ersatz für das gestoppte Vorhaben "South Stream" mit der türkischen Regierung vereinbart worden. Zunächst sollte es aus vier Strängen mit einer Transportkapazität von insgesamt 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich bestehen. Einer dieser Stränge war für die Belieferung der Türkei gedacht und sollte die Pipeline "Blue Stream" ergänzen, die seit 2005 im Osten des Schwarzen Meers bis zu 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland in die Türkei transportieren kann. Der Türkei wurden für diese Lieferungen preisliche Sonderkonditionen eingeräumt.
Im Oktober 2015 gab Gazprom die Reduzierung des Vorhabens auf zwei Stränge bekannt und begründete dies mit der inzwischen beschlossenen Verdoppelung der Kapazität der Ostsee-Pipeline Nord Stream (151009). Die verbliebene Gesamtkapazität von 31,5 Milliarden Kubikmeter entfällt deshalb nun zur Hälfte auf die Belieferung der Türkei, die außerdem weiterhin durch "Blue Stream" mit Gas aus Russland sowie über die Transanatolische Pipeline (Tanap) mit Erdgas aus der Region des Kaspischen Meers versorgt werden kann. Für die Weiterleitung nach Westeuropa bleiben somit vorläufig 15,75 Milliarden Kubikmeter Gas. Eine Ausweitung der Kapazitäten ist aber sicher vorgesehen, falls entsprechender Bedarf bestehen sollte.
Den russischen Plänen für die Belieferung des europäischen Gasmarktes von Süden her droht inzwischen Konkurrenz durch ein neues Projekt: Am 2. Januar unterzeichneten Israel, Griechenland und Zypern in Athen ein Grundsatzabkommen über den Bau der Mittelmeer-Pipeline "Eastmed". Die 1.900 Kilometer lange Pipeline soll von Israel nach Zypern und von dort aus über Kreta bis nach Griechenland führen, um große Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu erschließen. Von Griechenland aus wäre dann der Weitertransport nach Italien möglich.
Das Vorhaben dürfte rund sechs Milliarden Euro kosten und soll für private Investoren ausgeschrieben werden. Es wird von der EU und den USA unterstützt. Entschieden abgelehnt wird es dagegen von der Türkei, und auch dem Kreml ist es aus verständlichen Gründen in Dorn im Auge. Die Türkei erhebt selber Ansprüche auf einen großen Teil der Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Außerdem sieht sie ihre Stellung als "Gas-Drehscheibe" gefährdet, die sie mit den beiden Schwarzmeer-Pipelines und der Tanap erlangt hat. Zumindest will sie erreichen, dass die im östlichen Mittelmeer geförderten Gasmengen durch Anatolien nach Europa fließen, womit sie Transitgebühren kassieren könnte.
Um seine angeblichen Ansprüche auf die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu legitimieren, hat das Regime in Ankara mit den lybischen Machthabern in Tripolis – die nicht viel mehr als die Hauptstadt des völlig zerrütteten Landes beherrschen – ein entsprechendes Abkommen über die beiderseitigen Grenzverläufe im Mittelmeer geschlossen. Es erweitert die Ausschließliche Wirtschaftszone der Türkei nach Süden hin und schafft eine direkte Seegrenze zur lybischen Wirtschaftszone, wobei die Hoheitszonen um Kreta und Zypern weitgehend ignoriert werden. Die EU betrachtet dieses Abkommen als völkerrechtswidrig. Damit verschärft sich auch in dieser Streitfrage ihre Auseinandersetzung mit dem autoritären Regime in Ankara.