August 2009 |
090804 |
ENERGIE-CHRONIK |
Rußland hat nunmehr auch die Zustimmung der Türkei für den Bau der Gasleitung "South Stream" durch das Schwarze Meer erlangt. Am 6. August unterzeichneten die Regierungschefs Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in Ankara ein entsprechendes Abkommen. Damit wird es Rußland ermöglicht, die Gaspipeline unter Umgehung der ukrainischen Hoheitsgewässer durchs Schwarze Meer zu führen (siehe Grafik). Vorausgegangen waren ähnliche Abkommen mit Bulgarien, Serbien, Rumänien und Italien (090501). Mit von der Partie war wiederum der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der sogar eigens seinen Urlaub unterbrochen hatte, um an den Gesprächen in Ankara teilnehmen zu können. Der italienische Staatskonzern ENI ist der Hauptpartner der Gazprom bei der Verwirklichung der Pipeline, mit der Rußland seine dominante Rolle als Gasanbieter festigen und das konkurrierende "Nabucco"-Projekt der Europäischen Union aushebeln möchte.
Die Regierungschefs Putin und Erdogan bei einer Pressekonferenz nach ihren Gesprächen, bei denen die Russen die Erlaubnis zur Verlegung der Gasleitung "South Stream" durchs Schwarze Meer erhielten. Pressefoto Reg. RU
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Die EU sieht South Stream inzwischen offiziell nicht mehr als Bedrohung an (090102), sondern hat sich auf die Sprachregelung verständigt, daß alle Pipeline-Neubauten als Vermehrung der Zahl der Transportwege zu begrüßen seien (090201, 090402). Die Türkei, die erst im Juli ein Regierungsabkommen über den Bau von "Nabucco" unterzeichnet hatte (090703), kann sich damit ebenso wie die EU-Staaten Italien, Rumänien und Bulgarien darauf berufen, nicht gegen erklärte Interessen der Gemeinschaft zu handeln. "Man sollte Nabucco und South Stream nicht als Konkurrenten betrachten, sondern als Vielfalt", sagte der türkische Premier Erdogan bei einer Pressekonferenz. "Nabucco wird in der Zukunft den Bedarf Europas nicht decken können."
Die Türkei will ihre Beteiligung an den beiden Projekten "Nabucco" und "South Stream" anscheinend für eine Schaukelpolitik nutzen, um ihre angestrebte Aufnahme in die EU voranzutreiben und auch sonst den politischen Druck auf die Gemeinschaft erhöhen zu können. Nach Fertigstellung besäße sie als Transitland für die Versorgung Europas mit Erdgas eine ähnliche Schlüsselstellung wie heute die Ukraine, die mit den beiden Leitungen umgangen werden soll, weil sie sowohl den Russen wie der EU als Unsicherheitsfaktor gilt.
Neben der South-Stream-Vereinbarung unterzeichneten Rußland und die Türkei 19 weitere Abkommen, die größtenteils ebenfalls energiepolitischer Art sind. Dazu gehört der Bau des ersten türkischen Kernkraftwerks, das schon seit vielen Jahren in Akkuyu nahe dem Mittelmeerhafen Mersin geplant ist (000718) und für das der neuerdings mit Siemens verbündete russische Staatskonzern Atomenergoprom zusammen mit türkischen Partnern den Auftrag erhalten soll (090104). Wie Putin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan sagte, sind noch weitere Berechnungen zur wirtschaftlichen Durchführbarkeit des Projekts erforderlich. Der mit russischen Reaktoren erzeugte Strom sei aber annähernd so billig wie der aus Wasserkraftwerken, während sonst die Kosten von Atomstrom weltweit über denen von Wasserkraftwerken lägen.
Die bereits bestehende Gasleitung "Blue-Stream", die von Rußland durchs Schwarze Meer nach Ankara führt, soll bis nach Syrien, Libanon, Israel und Zypern verlängert werden. Die Pipeline ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Gazprom und ENI. Rußland beteiligt sich auf türkischen Wunsch am Bau einer Ölleitung, die vom Schwarzen Meer durch die Türkei zum Mittelmeer führen soll ("Samsun-Ceyhan-Projekt"). Ferner stellte Putin den Abschluß eines neuen langfristigen Gasliefervertrags mit der Türkei in Aussicht, der eine erhöhte Bezugsmenge vorsieht. Die Türkei bezieht schon bisher etwa zwei Drittel ihres Gasbedarfs aus Rußland.