März 2017 |
Hintergrund |
ENERGIE-CHRONIK |
Gorleben wurde seinerzeit hauptsächlich aus politischen Gründen als Standort für ein "nationales Entsorgungszentrum" ausgewählt
(zu 170301)
"Kernbrennstoffe sind staatlich zu verwahren", hieß es in § 5 des ersten Atomgesetzes, das am 1. Januar 1960 in Kraft trat. Im übrigen enthielt das Gesetz keinerlei Bestimmungen, wie mit ausgedienten Brennelementen zu verfahren sei. Das Problem war allerdings auch noch ziemlich weit entfernt, denn erst im November 1960 ging mit dem "Versuchatomkraftwerk Kahl" der erste deutsche Reaktor zur Stromerzeugung in Betrieb.
Aber auch später, als es schon eine zweistellige Anzahl von Leichtwasserreaktoren gab, behandelte man das Problem mit erstaunlicher Unbekümmertheit. Das galt sogar für prominente Kernphysiker, die zwar eine kritische Haltung zur Verharmlosung atomarer Waffen durch die Adenauer-Regierung zeigten (siehe Hintergrund, Januar 2017), aber hinsichtlich der zivilen Nutzung der Kernenergie ziemlich blind der Euphorie des Zeitgeistes huldigten. Typisch dafür war, wie Carl Friedrich von Weizsäcker noch 1969 das Entsorgungsproblem minimierte:
"Dieses ist, soweit ich sehen kann, wenn man es ernstlich behandeln will, überhaupt kein Problem. (...) Ich habe mir in Karlsruhe sagen lassen, daß der gesamte Atommüll, der in der Bundesrepublik im Jahr 2000 vorhanden sein wird, in einen Kasten hineinginge, der ein Kubus von 20 Meter Seitenlänge ist. Wenn man das gut versiegelt und verschließt und in ein Bergwerk steckt, dann wird man hoffen können, daß man damit dieses Problem gelöst hat."
Man unterschätzte nicht nur den Umfang und die Gefährlichkeit des anfallenden Atommülls gewaltig. Die andere große Illusion war die sogenannte Wiederaufarbeitung, die es ermöglichen würde, aus den verbrauchten Brennelementen neuen nuklearen Brennstoff zu gewinnen und so einen "geschlossenen Brennstoffkreislauf" herzustellen. Dieser neue nukleare Brennstoff war das Plutonium, das als hochradioaktives Element in der Natur praktisch nicht vorkommt, aber beim Abbrand der Uran-Brennstäbe entsteht und sich chemisch aus ihnen herauslösen läßt. Vor allem die Chemiekonzerne glaubte hier einen neuen lukrativen Geschäftszweig entdeckt zu haben. Aus ihrem Schulterschluß mit der sich entwickelnden Atomindustrie entstand so die "Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen", die ab 1967 im Auftrag des Kernforschungszentrums Karlsruhe und auf Rechnung des Staates eine Pilotanlage errichten durfte.
Der Öffentlichkeit wurde damit suggeriert, daß sich das Entsorgungsproblem der Kernkraftwerke größtenteils von selber lösen würde. Noch 1979 ließ das Bundesforschungsministerium eine Publikation verbreiten, in der es hieß:
"Durch die Wiederaufarbeitung lassen sich rund 97 Prozent des abgebrannten Brennstoffs wiederverwenden gegenüber nur 3 Prozent tatsächlicher radioaktiver Abfälle. Damit ist in der Kernenergie ein weitgehendes 'Recycling' möglich. Hier spricht man allerdings schlicht von der 'Schließung des Brennstoffkreislaufs'."
Das war schon damals eine Milchmädchenrechnung. Und nicht nur das: Es war eine propagandistische Verfälschung der Tatsache, daß nur das Plutonium und damit höchstens ein Prozent der abgebrannten Brennstoffe wiederverwendet werden konnte. Der Rest war somit kein durch Recycling gewonnener "Wertstoff", sondern hochradioaktiver Abfall. Durch das äußerst aufwendige Verfahren der Wiederaufarbeitung entstand am Ende sogar mehr Atommüll, als wenn man die verbrauchten Brennelemente direkt entsorgt hätte.
Den Begriff der Entsorgung gab es zunächst ebensowenig wie eine Praxis, die auch nur annähernd diese Bezeichnung verdient hätte. In den USA, Großbritannien und der Sowjetunion, wo schon größere Mengen anfielen, entledigte man sich der radioaktiven Abfälle in heute haarsträubend anmutender Weise, indem man sie einfach im Meer versenkte oder irgendwie verbuddelte. Auch der atomare Nachzügler Frankreich ging damit mehr als nonchalant um: So wurden 770 Tonnen radioaktiven Abfalls aus dem militärischen Teil des Atom-Komplexes Tricastin zwischen 1969 und 1976 einfach vor Ort zu einem Hügel aufgeschichtet und mit Erde überdeckt (080705).
Fast schon sorgsam mutet demgegenüber an, wie in der Bundesrepublik von 1967 bis 1978 in dem ehemaligen Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert wurden, die vor allem aus den Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich stammten. Anfangs wurden die Fässer noch gestapelt. Dann ging man dazu über, sie einfach nur noch in die Kammern abzukippen. "Versturztechnik" nannte man das fachmännisch, denn das "Versuchsendlager" war ein Projekt des Forschungsministeriums. Angeblich waren damit die Abfälle für viele tausend Jahre sicher entsorgt. Tatsächlich stellte sich schon drei Jahrzehnte nach Beendigung der Einlagerung heraus, daß die Standsicherheit des Bergwerks durch Wasserzuflüsse gefährdet war, die man anfangs ignoriert bzw. für beherrschbar erklärt hatte (080606). Erst jetzt wurde die unterirdische Atommülldeponie, die als Forschungsprojekt nach Bergbaurecht zustande gekommen war, dem Bundesamt für Strahlenschutz und damit dem strengeren Atomrecht unterstellt (siehe 080906 und Link-Liste zur Asse).
Die hochradioaktiven Abfälle aus den Kernkraftwerken konnten ebenfalls nicht endlos in den Abklingbecken neben den Reaktoren verbleiben, in denen die verbrauchten Brennelemente erst mal etliche Jahre verbringen mußten, um ihre Radioaktivität und Hitze zu verringern. Man behalf sich zunächst mit der Einrichtung sogenannter Kompaktlager. Das sind Gestelle innerhalb der Abklingbecken, die eine dichtere Anordnung der Brennelemente und damit eine höhere Lagerkapazität ermöglichen. Aber auch damit ließen sich nur drei bis neun Jahre zusätzlich gewinnen.
So wuchs der Druck, mit dem vielgepriesenen Konzept der Wiederaufarbeitung endlich ernst zu machen, das fast nach Art eines Perpetuum mobile zu funktionieren schien. Und dieser Druck war umso größer, als bereits Erfahrungen mit dieser Technik im Ausland vorlagen, die den euphorischen Erwartungen widersprachen. Die Politik wurde nun nervös und wollte sich von der Atomindustrie nicht länger hinhalten lassen. 1974 legte die sozialliberale Bundesregierung ein Entsorgungskonzept vor, das die Wiederaufarbeitung der privatwirtschaftlichen Verantwortung übertrug, während die Endlagerung in staatlicher Regie, aber auf Kosten der KKW-Betreiber erfolgen sollte. Durch Paragraph 9a des neugefaßten Atomgesetzes vom 31. Oktober 1976 mußten radioaktive Restsstoffe vorrangig "schadlos verwertet" und durften nur dann "geordnet beseitigt" werden, wenn dies technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar sein sollte. Mit der schadlosen Verwertung war die Wiederaufarbeitung gemeint und mit der geordneten Beseitigung die direkte Endlagerung.
Die vom Bundesinnenminister erlassenen "Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke" machten überdies seit Juni 1977 die Genehmigung von Kernkraftwerken vom Nachweis einer gesicherten Entsorgung abhängig und erhöhten damit den Druck auf die KKW-Betreiber. Die Chemiekonzerne, die anfangs die glühendsten Befürworter der Wiederaufarbeitung waren, hatten inzwischen aber kalte Füße bekommen, weil sie weder die Verantwortung noch die Kosten für diese riskante Technik übernehmen wollten. Deshalb mußten nun die KKW-Betreiber einspringen und 1975 die "Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen" (DWK) bzw. deren Vorläuferin PWK gründen, die von zwölf Stromversorgern getragen wurde.
Das seit 1974 verfolgte Entsorgungskonzept sah zunächst die Errichtung eines nationalen Entsorgungszentrums vor, das eine Fläche von etwa zwölf Quadratkilometern benötigte. Es sollte nämlich sowohl die Wiederaufarbeitung als auch die Brennelementefertigung und die Endlagerung mit der Konditionierungsanlage umfassen. Da für die Endlagerung nur bestimmte geologische Formationen in Betracht kamen, schränkte dies die Zahl der möglichen Standorte von vornherein stark ein. 1976 entschied man, drei Orte in Niedersachsen auf ihre Eignung näher zu untersuchen (Lutterloh, Lichtenhorst und Wahn). Dazu kam es aber nicht, weil sich an allen drei Orten Protest regte. Ersatzweise versprach der niedersächsische Ministerpräsident Alfred Kubel (SPD) einen anderen geeigneten Standort. Sein Nachfolger Ernst Albrecht (CDU) löste dieses Versprechen ein, indem er 1977 den Salzstock Gorleben vorschlug.
Entscheidend für die Auswahl des Salzstocks Gorleben war, daß er sich in einem entlegenen Winkel der damaligen Bundesrepublik befand, im sogenannten Zonenrandgebiet an der Grenze zur damaligen DDR. In dieser dünnbesiedelten Region waren kaum Proteste zu erwarten. Man konnte das Großprojekt sogar als Wirtschaftsförderung für das Zonenrandgebiet darstellen. Proteste aus der DDR waren auch nicht zu erwarten, denn dort war man schon ein bißchen früher ebenfalls auf die Idee gekommen, die schwach- bis mittelaktiven Abfälle dicht an der Grenze zum Nachbarn unter die Erde zu verfrachten; und zwar im ehemaligen Kali- und Salzbergwerk "Bartensleben" bei Morsleben, das sich rund hundert Kilometer südlich von Gorleben befindet. Der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht soll Gorleben sogar mit Blick auf Morsleben ausgewählt und als Retourkutsche betrachtet haben (090808).
Trotz dieser scheinbar idealen Voraussetzungen ging das Kalkül nicht auf. Man hatte den zunehmenden Widerstand gegen die Kernkraftwerke und ihr Zubehör unterschätzt. Typisch dafür war die 1973 beginnende Auseinandersetzung um das geplante Kernkraftwerk Wyhl am Oberrhein: Sie entzündete sich anfangs an Ängsten der Winzer vor einer Abschattung ihrer Weinberge durch die Dampfschwaden der Kühltürme oder an Befürchtungen wegen einer Erwärmung des Rheins. Sie wurde dann aber immer mehr zu einer grundsätzlichen Kritik an den Sicherheitsrisiken der Atomindustrie und bewirkte schließlich nach zehn Jahren den Abbruch des Projekts. In ähnlicher Weise begann in Gorleben der Protest mit der 1977 gegründeten "Bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg", die um die Verkäuflichkeit der landwirtschaftlichen Produkte aus der Region bangte, wenn sie künftig mit einem Endlager für hochradioaktive Abfälle assoziiert oder gar durch tatsächlich austretende Radioaktivität belastet würden. Aus der eingehenderen Beschäftigung mit der komplizierten Materie entwickelte sich dann auch hier ein fundamentaler Widerstand gegen das ganze Konzept, das hinter dem geplanten Endlager steckte. Die Einheimischen wurden dabei von bundesweit anreisenden Kernkraftgegnern unterstützt. Die teilweise sehr heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei zogen sich über mehr als zwei Jahrzehnte hin (siehe Link-Liste zum Endlager Gorleben und Link-Liste zu Nukleartransporten ins Zwischenlager Gorleben).
Als erstes mußte sich die Planer vom Konzept des nationalen Entsorgungszentrums verabschieden, für das 1977 der Antrag auf Einleitung eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens gestellt worden war. Nach dem sogenannten Gorleben-Hearing, das im Frühjahr 1979 mit 65 Wissenschaftlern aus zehn Nationen stattfand, gelangte die niedersächsische Landesregierung am 16. Mai 1979 überraschend zu der Feststellung, daß sie das Konzept zwar nach wie vor für realisierbar und sicherheitstechnisch unbedenklich halte, der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage aber politisch nicht durchsetzbar sei. Daraufhin vereinbarten Bund und Länder am 28. September desselben Jahres, die Zusammenfassung aller Einrichtungen an einem einzigen Ort nicht mehr zur Bedingung zu machen.
So kam es, daß Gorleben nur noch als Standort für das Endlager dienen sollte. In den folgenden Jahren wurde der Salzstock in staatlicher Regie, aber auf Kosten der KKW-Betreiber bzw. der Stromverbraucher, zu einem "Erkundungsbergwerk" ausgebaut. Mit diesem Euphemismus konnte man die Stollen nach Bergbaurecht vorantreiben und ersparte sich vorerst die atomrechtliche Genehmigung. Zum Schluß handelte es sich aber weitgehend um das geplante Endlager, dem nur noch die offizielle Umwidmung fehlte.
Weil die Abklingbecken der Kernkraftwerke immer voller wurden und die Inbetriebnahme des Endlagers nicht absehbar war, errichtete man außerdem neben der Schachtanlage oberirdisch eine Halle als zentrales Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente. Ferner baute man auf demselben Gelände eine "Pilotkonditionierungsanlage", die den Atommüll aus dem Zwischenlager für die Endlagerung verpacken sollte (siehe Link-Liste zum Zwischenlager Gorleben).
Die Wiederaufarbeitungsanlage blieb Gorleben dagegen erspart. Nach einigem Hin und Her – zwischendurch wurden noch andere Standorte in Hessen, Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen erwogen – sollte sie schließlich im bayrischen Wackersdorf entstehen. Bei dieser 1985 gefällten Entscheidung spielte eine wichtige Rolle, daß in Bayern mit tatkräftiger politischer Unterstützung durch den Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) gerechnet werden durfte. Dieser hat dann auch tatsächlich starke Polizeikräfte in Marsch gesetzt und bürgerkriegsähnliche Szenen mit drei Toten in Kauf genommen, um das Projekt gegen die Proteste von bis zu 100.000 Demonstranten durchzusetzen. Nachdem Strauß im Herbst 1988 gestorben war, vergingen aber nur wenige Monate, bis die KKW-Betreiber wegen des anhaltenden Widerstands und eigenen Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit aus dem Projekt ausstiegen. Die Verkündung dieser Entscheidung übernahm im Frühjahr 1989 der Chef des Veba-Konzerns, Rudolf von Bennigsen-Foerder, der damit Strauß, die Bundesregierung und alle anderen Politiker düpierte, die bis dahin den Bau der Anlage als dringend notwendig bezeichnet hatten.
Da das Atomgesetz weiterhin den Vorrang der Wiederaufarbeitung vorschrieb, schlossen die KKW-Betreiber ersatzweise preisgünstigere Verträge mit den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien). Zugleich konnten sie so die randvollen Lagerkapazitäten der Abklingbecken entlasten, indem sie die abgebrannten Brennelemente erst mal auf eine jahrelange Auslandsreise schickten. Die Anti-Kernkraft-Bewegung nutzte diese Nukleartransporte allerdings als Gelegenheit, um öffentlichkeitswirksam zu protestieren und sie nach Kräften zu behindern (siehe Link-Liste zu Nukleartransporten).
Die Herstellung von Brennelementen, die ursprünglich auch in Gorleben angesiedelt werden sollte, konzentrierte sich in der hessischen Stadt Hanau, wo im Stadtteil Wolfgang seit den sechziger Jahren eine Art "Atomdorf" entstanden war, in dem sich einschlägige Unternehmen angesiedelt hatten (091211). Die Firmen Nukem, Alkem und RBU stellten hier neben Uran-Brennelementen sogenannte Mischoxid-Brennelemente her, die einen Anteil Plutonium aus der Wiederaufarbeitung enthielten und ebenfalls in den üblichen Leichtwasserreaktoren eingesetzt werden konnten.
Das Verhältnis dieser Hanauer Nuklearunternehmen zu Behörden und Politikern glich zunächst eher einer Kumpanei. Es wurde sogar toleriert, daß ihnen die erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungen fehlten. Das änderte sich mit dem Transnuklear-Skandal, der ab 1987 offenbarte, daß in diesem Klima auch Korruption und Betrug gediehen (910607, 910711). Als es 1991 zu einer Neuauflage der rot-grünen Koalition in Hessen kam, setzte der Umweltminister Joschka Fischer den Hanauer Nuklearunternehmen unerbittlich die Daumenschrauben an und erreichte bis 1994 die komplette Beendigung der Herstellung von Brennelementen (siehe Link-Liste zur Fertigung von Brennelementen in Hanau).
An der Notwendigkeit eines Endlagers für die bereits angefallenen und noch anfallenden hochradioaktiven Abfälle zweifelte dagegegen niemand. Sie wurde sogar noch dringlicher, nachdem sich die angebliche Reduzierung des Atommülls durch Wiederaufarbeitung immer mehr als Illusion herausstellte. Der Bundesrechnungshof beanstandete 1993, daß die Wiederaufarbeitung mehr als doppelt so teuer wie die direkte Endlagerung komme (930905). Im darauffolgenden Jahr wurde im Atomgesetz der Vorrang der Wiederaufarbeitung wieder beseitigt und die Endlagerung als gleichrangiger Entsorgungsweg zugelassen (940401). Die KKW-Betreiber gelangten bald selber zu der Überzeugung, daß die direkte Endlagerung billiger käme. Zudem waren sie es leid, daß die Proteste gegen die Nukleartransporte von und zu den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen immer wieder Schlagzeilen machten.
Heftig umstritten blieb indessen der Salzstock Gorleben als Standort des Endlagers für hochradioaktive Abfälle, während es um den "Schacht Konrad" bei Salzgitter, der für die Entsorgung des schwach- bis mittelaktiven Atommülls vorgesehen war und bis heute ist, vergleichsweise wenig Auseinandersetzungen gab (siehe Link-Liste zum "Schacht Konrad"). Eine Entspannung zeichnete sich erst ab, als die rot-grüne Bundesregierung und die KKW-Betreiber im Juni 2001 ihr Kompromiß-Papier über den sukzessiven Ausstieg aus der Kernenergie unterzeichneten (000601, 010602). Darin wurde die weitere "Erkundung" des Salzstocks bis zu zehn Jahre lang gestoppt. Die Entsorgung des Atommülls wurde ab Juli 2005 auf die direkte Endlagerung beschränkt.
Zugleich vereinbarte man die Errichtung von Zwischenlagern an sämtlichen zwölf Kernkraftwerken, um die abgebrannten Brennelemente bis zum Vorhandensein eines Endlagers dort deponieren zu können und die Nukleartransporte zu den drei zentralen Zwischenlagern weitgehend überflüssig zu machen. Neben der seit 1995 benutzten Halle in Gorleben gibt es für diesen Zweck noch das "Transportlager Ahaus" im westlichen Münsterland, das man gegen Ende der achtziger Jahren errichtet hat, um die kugelförmigen Brennelemente des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors (THTR) in Hamm entsorgen und den Reaktor stillegen zu können (siehe Link-Liste zu Ahaus). Außerdem entstand nach der Wiedervereinigung am ehemaligen DDR-Kernkraftwerk Greifswald ein drittes zentrales Zwischenlager, das aber bis 2010 der Einlagerung von Atommüll aus Ostdeutschland vorbehalten blieb (siehe Link-Liste zu Greifswald).
Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 (110301) und die dadurch bewirkte parteiübergreifende Verständigung über den Atomausstieg und die Notwendigkeit einer "Energiewende" schuf weitere Voraussetzungen für eine neue Lösung des Endlager-Problems. Ab 2012 gab es mehrere Bund-Länder-Gespräche zur Erarbeitung eines Gesetzes, das die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll neu aufrollt und damit auch den Standort Gorleben grundsätzlich in Frage stellt (130308). Das daraufhin im Juni 2013 verabschiedete erste "Standortauswahlgesetz" bezog zwar den Salzstock Gorleben in die neue Suche nach einem optimal geeigneten Standort mit ein und verfügte die Offenhaltung des "Erkundungsbergwerks" bis zu einer endgültigen Entscheidung. Es untersagte aber zugleich, die für rund zwei Milliarden Euro bereits geschaffene Infrastruktur bei der Bewertung zu berücksichtigen (130403). Ferner wurden die KKW-Betreiber im Atomgesetz verpflichtet, die aus der Wiederaufarbeitung zurückkommenden Abfälle "in standortnahen Zwischenlagern" aufzubewahren, was per definitionem weitere Transporte ins Zwischenlager Gorleben ausschloß (130601).
Dieses erste Standortauswahlgesetz verfügte außerdem die Einsetzung einer 33-köpfigen Kommission, welche die näheren Kriterien für die Endlagersuche erarbeiten sollte (140513). Mit dem jetzt verabschiedeten zweiten Standortauswahlgesetz werden die Vorschläge dieser Kommission umgesetzt (170301). Neu ist vor allem, daß neben Salz- und Tonsteinformationen auch Granit als mögliches "Wirtsgestein" benannt wird. Damit werden Sachsen und Bayern in die Suche miteinbezogen, was die von Natur aus sehr ungleichmäßige Verteilung der möglichen Standorte auf die Bundesländer und die Konzentration der geologischen Voraussetzungen auf Niedersachsen etwas mildert.
Die theoretisch "weiße Landkarte" bei der nun beginnenden Suche weist für Kritiker von vornherein einen schwarzen Fleck auf, weil Gorleben nicht ausgeschlossen wurde. Es trifft zwar sicher zu, daß die Auswahl dieses Salzstocks seinerzeit nicht primär unter geologischen Gesichtspunkten, sondern aus Gründen der politischen Opportunität erfolgte. "Das Verfahren damals entsprach weder den Anforderungen der Wissenschaft noch den berechtigten Forderungen der Bürgerinnen und Bürger nach Transparenz", befand Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in der Bundestagsdebatte über das zweite Standortsuchgesetz. Wahrscheinlich gibt es auch etliche Standorte, die den nun aufgestellten Kriterien eher genügen. Die Kritiker hegen aber den Argwohn, daß letztendlich doch die Milliarden den Ausschlag geben könnten, die in Gorleben bereits in das "Erkundungsbergwerk" gesteckt wurden. Ausgeräumt wird dieser Argwohn erst, wenn die Entscheidung doch auf einen anderen Standort fällt. Aber das dürfte die heute aktiven Politiker nicht mehr groß berühren, weil diese Entscheidung erst "für das Jahr 2031 angestrebt" wird und womöglich noch länger auf sich warten läßt. Bis dahin können sie damit argumentieren, daß Kompromisse zum politischen Geschäft gehören und die Einbeziehung Gorlebens für das Zustandekommen des parteiübergreifenden Kompromisses zwischen Union, Sozialdemokraten und Grünen ebenso wichtig war wie die Einbeziehung des Granits gegen den Widerstand Bayerns und Sachsens.