Juni 2016

160601

ENERGIE-CHRONIK


 


Als Ende Januar die Verkaufsverhandlungen zwischen Siemens und Gamesa bekannt wurden, legte die Gamesa-Aktie um mehr als zwanzig Prozent zu, was mit der Indiskretion wohl auch bezweckt worden war (siehe Grafik rechts oben). Das Foto zeigt einen Gamesa-Windpark in Indien.
Foto: Gamesa

Siemens übernimmt Gamesa und wird Weltmarktführer bei Windkraftanlagen

Siemens will den spanischen Windkraftanlagen-Hersteller Gamesa übernehmen und so zum Weltmarktführer auf diesem Sektor werden. Wie beide Unternehmen am 17. Juni mitteilten, haben sie eine Vereinbarung zur Zusammenlegung von Siemens Wind Power und Gamesa unterzeichnet. Der Siemens-Konzern wird an dem neuen Unternehmen 59 Prozent besitzen und es in seiner Bilanz konsolidieren. Die restlichen Aktien verbleiben den derzeitigen Gamesa-Aktionären. Der spanische Energiekonzern Iberdrola – bisher mit 19 Prozent der größte Gamesa-Aktionär – wird an dem kombinierten Unternehmen mit acht Prozent beteiligt sein. Eine Aktionärsvereinbarung mit Siemens sichert ihm außerdem ein Vorschlagsrecht für den Vorstand. Die Transaktion soll bis zum ersten Quartal 2017 abgeschlossen sein.

Ob das Offshore-Geschäft von Areva zurückgekauft werden kann, steht noch nicht fest


Mit der Einverleibung der Gamesa vergrößert Siemens seinen Anteil am Weltmarkt für Windkraftanlagen auf 13,5 Prozent und rangiert damit an erster Stelle.

Die Verkaufsverhandlungen waren bereits Ende Januar bekanntgeworden, wodurch der Kurs der Gamesa-Aktie um mehr als zwanzig Prozent zulegte und die Börsenkapitalisierung des Unternehmens von 4 auf 4,8 Milliarden Euro stieg. Dies hat die Verhandlungen belastet und verlängert. Erschwert wurden sie aber vor allem dadurch, daß die Gamesa nur noch über ihr Hauptgeschäft mit landgestützten Windkraftanlagen voll verfügen kann. Den Bereich Offshore-Windkraftanlagen hat sie vor zwei Jahren in das Gemeinschaftsunternehmen "Adwen" eingebracht, das zur Hälfte dem französischen Areva-Konzern gehört (150314). Obwohl dieser in erheblicher Finanznot ist und den Verkaufserlös gut gebrauchen könnte, steht noch nicht fest, ob Siemens auch diesen Offshore-Hersteller übernehmen kann.

Wie aus der Mitteilung hervorgeht, haben sich die Franzosen aber grundsätzlich zum Rückzug bereiterklärt und werden binnen drei Monaten darüber entscheiden, auf welche Weise dies geschieht: Zum einen könnten sie ihre hälftige Adwen-Beteiligung der Gamesa überlassen. Zum anderen hätten sie aber auch die Möglichkeit, die hälftige Beteiligung der Gamesa zu übernehmen und Adwen komplett einem Dritten zu verkaufen, der nicht unbedingt Siemens sein muß.

Gamesa-Aktionäre bekommen zu den neuen Aktien zusätzlich eine Milliarde Euro

Nach vollzogener Fusion erhalten die die bisherigen Gamesa-Aktionäre eine Barzahlung von 3,75 Euro pro Aktie, abzüglich der regulären Dividenden, die bis dahin noch ausgeschüttet werden könnten. Dieser Betrag entspreche "26 Prozent des unbeeinflußten Schlußkurses von Gamesa am 28. Januar 2016", heißt es in der Mitteilung. Da der genannte Schlußkurs bei 14,45 Euro lag, ergibt sich so eine Summe von gut einer Milliarde Euro, mit der den Gamesa-Aktionären die Zustimmung zur Fusion zusätzlich schmackhaft gemacht wurde.

Stärken und Schwächen beider Unternehmen ergänzen sich vorteilhaft

Mit dem Zukauf, den die Fusion praktisch darstellt, kann Siemens seinen bisherigen Anteil am Weltmarkt für Windkraftanlagen von 8,1 auf 13,5 Prozent vergrößern und rangiert damit noch vor der chinesischen Goldwind an erster Stelle (siehe Grafik). Die installierte Leistung erhöht sich von 34 auf 69 Gigawatt, die Zahl der Beschäftigten von ungefähr 13.000 auf 21.000 und der Umsatz von 5,7 auf 9,3 Milliarden Euro. Vor allem aber ergänzen sich die beiden Geschäftsbereiche technisch, geografisch und beim Service hervorragend.

Siemens hat zwar eine starke Position bei Offshore-Anlagen: Von den 13 Windparks, die bis 2015 vor der deutschen Küste in Betrieb gingen, wurden nicht weniger als neun mit Siemens-Anlagen bestückt (151007). Bei landgestützten Windkraftanlagen ist der Marktanteil aber recht bescheiden und rangiert auf dem Heimatmarkt sogar weit hinter Enercon, Vestas, Senvionund Nordex (151013). Bei Gamesa verhält es sich umgekehrt: Das Hauptgeschäft waren hier schon immer landgestützte Anlagen, während die Offshore-Anlagen nur eine zweitrangige Rolle spielten. Aus diesem Grund wurden sie auch abgegeben und in das Gemeinschaftsunternehmen mit Areva eingebracht (150314).

Geografisch ergänzen sich beide Unternehmen insoweit, als die Siemens-Windtochter ihre Aufträge bisher hauptsächlich in Nordeuropa und Nordamerika akquirierte. Die Gamesa ist dagegen vor allem in Südeuropa und stark wachsenden Schwellenmärkten wie Indien und Lateinamerika tätig. Weitere Synergie-Effekte ergeben sich aus dem technischen Vorsprung, über den Siemens vor allem bei getriebelosen Windturbinen verfügt. Die zahlreichen Gamesa-Anlagen mit ihrer eher bejahrten Technik erbringen dafür höhere Gewinne im Service-Geschäft. Sie sollen sogar der Grund dafür sein, daß Gamesa über eine höhere Rendite als Siemens Wind Power verfügt. In jedem Falle sind die Erträge aus Wartung und Reparatur der installierten Kapazitäten für die Hersteller von Windkraftanlagen von großer Bedeutung und bei Siemens noch ausbaufähig.

Das kombinierte Unternehmen wird seinen Sitz in Spanien haben

Indessen wirft der Zusammenschluß aber auch einige Probleme auf. Sie ergeben sich vor allem daraus, daß das kombinierte Unternehmen seinen Sitz in Spanien haben und an der Madrider Börse notiert werden wird. Aus Spanien soll künftig auch das gesamte Geschäft mit landgestützten Windkraftanlagen dirigiert werden. In Hamburg, wo bisher die Siemens Wind Power GmbH ansässig ist, verbleibt nur die Zuständigkeit für das Offshore-Geschäft, und auch die wird teilweise an eine zweite Zentrale in Dänemark abgegeben.

 


Die getriebelose SWT-6-154 ist die stärkste Windturbine, die Siemens im regulären Angebot hat. Sie verfügt über eine Nennleistung von 6 Megawatt. Der Rotor hat einen Durchmesser von 154 Meter. Inzwischen liegen bereits Bestellungen für zehn Offshore-Windparks vor. Zum Beispiel will E.ON den geplanten Windpark Arkona nordöstlich von Rügen, für den im April die Investitionsentscheidung fiel, mit 60 solchen Anlagen ausrüsten. Inzwischen testet Siemens bereits eine Weiterentwicklung mit einer Nennleistung von 7 Megawatt.

Foto: Siemens

Siemens ist erst seit 2005 auch Anbieter von Windkraftanlagen

Der führende deutsche Elektro-Konzern hat das Geschäft mit Windkraftanlagen lange Zeit anderen Unternehmen überlassen. Der Einstieg erfolgte erst ab Ende 2004, als er zunächst den Hersteller Bonus Energy in Dänemark und ein Jahr später dessen Geschäftspartner AN Windenergie in Bremen übernahm. Die Siemens Wind Power GmbH kaschiert diesen verspäteten Einstieg, indem sie ihre Firmengeschichte mit Bonus beginnen läßt ("Der Grundstein unserer Reputation wurde 1980 mit den ersten 22-kW-Turbinen begründet").

Schon 2007 rangierte die Siemens-Tochter mit einem Marktanteil von sechs Prozent weltweit an sechster Stelle. In Deutschland bröckelte dagegen der Marktanteil von 6,8 Prozent, den sie ihren Vorgänger-Firmen verdankte, weil sie bei den neu installierten Kapazitäten nur auf 3,5 Prozent kam (081015). In den Jahren 2008 und 2009 verschwand der Siemens-Marktanteil an den neu installierten Kapazitäten des Heimatmarktes sogar in der Rubrik "Sonstige" (100106).

Der forcierte Ausbau des neuen Geschäftsbereichs war mit erheblichen Rückschlagen verbunden

Um möglichst schnell das erklärte Ziel zu erreichen, weltweit drittgrößter Hersteller von Windkraftanlagen zu werden, besorgte sich Siemens zahlreiche Großaufträge für Anlagen und Windparks (081015, 100615). Mit der Aufspaltung des bisherigen Geschäftsbereichs Erneuerbare Energien in eine Wind- und eine Solarabteilung baute er den ihm wichtiger erscheinenden Sektor systematisch aus (110912), während er sich aus dem Solarbereich ein Jahr später sogar ganz zurückzog (121012). Dabei legte er Wert darauf, sich nicht nicht nur auf die Rolle des WKA-Lieferanten zu beschränken, sondern die ganze Wertschöpfungskette einschließlich der Netzanbindung und des Setzens der Fundamente anzubieten.

Die Technik der Siemens-Anlagen und die Realisierbarkeit der Projekte waren aber oft nicht hinreichend erprobt. So soll allein die Nachrüstung eines WKA-Typs, dessen Rotoren sich in den USA als bruchanfällig erwiesen hatten, rund 100 Millionen Euro gekostet haben. Um ein vielfaches größer waren die Verluste, die dem Konzern in der Nordsee entstanden, weil er bei den Offshore-Windparks, die er für den Netzbetreiber TenneT anschließen sollte, den Zeitplan nicht einhalten konnte (130208). Weil er bei allen vier Projekten im Verzug war, mußte er fast 700 Millionen Euro abschreiben. Diese Rückschläge im Windgeschäft waren mit ein Grund dafür, daß der Siemens-Chef Peter Löscher 2013 vorzeitig gehen mußte (130704).

In Deutschland ist Siemens auf dem Meer ein Riese und an Land ein Zwerg

Im vergangenen Jahr lieferte Siemens alle Offshore-Turbinen, die vor der deutschen Küste neu installiert wurden. Der Marktanteil betrug also 100 Prozent. Dagegen entfiel 2014 immerhin noch mehr als die Hälfte der neu installierten Gesamtleistung auf Areva (35,8 Prozent) und Senvion (20,5 Prozent).

Bei landgestützten Windkraftanlagen gehörte der Siemens-Konzern dagegen weiterhin zu den Schlußlichtern auf dem deutschen Markt: Mit gerade mal 1,7 Prozent Marktanteil bei neu installierten Anlagen lag er 2015 weit hinter Enercon (37,3 Prozent), Vestas (21,3 Prozent), Senvion (18,0 Prozent), Nordex (11,8 Prozent) und GE Energy (7,3 Prozent).

 

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