Oktober 2009 |
091003 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die schwarz-gelbe Koalition aus CDU, CSU und FDP will sich in ihrer Energiepolitik vor allem durch Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien profilieren. Das kommt schon in der Überschrift "Klimaschutz, Energie und Umwelt" zum Ausdruck, mit der sie das energiepolitische Kapitel des Koalitionsvertrags versehen hat, der am 26. Oktober unterzeichnet wurde (siehe Wortlaut). Insgesamt sind die energiepolitischen Ausführungen ziemlich vage gehalten. Die Koalition will ihre diesbezüglichen Vorstellungen später präzisieren und voraussichtlich erst im kommenden Jahr "ein neues Energiekonzept vorlegen, das szenarienbezogen Leitlinien für eine saubere, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung formuliert".
Die Ausführungen zu Klimaschutz, Erneuerbaren Energien oder Energieeffizienz beanspruchen mehr als vierzig Prozent des Gesamttextes. Weitere dreißig Prozent befassen sich mit Naturschutz, Meeresschutz, Immissionsschutz, "Kreislaufwirtschaft" oder Wasser. Nur ein schwaches Drittel des Textes behandelt konventionelle Fragen der Energiepolitik wie Kohleverstromung, Kernenergie, Wettbewerb und Energieforschung.
Auf kleiner Flamme gehalten wird insbesondere die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke und die Fortführung der Arbeiten für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Gorleben, von denen sich die Regierung insgesamt keinen positiven Effekt in der Öffentlichkeit erhoffen kann (siehe hierzu 091001).
Die Koalition bekräftigt zunächst das Ziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, sowie andere klimapolitische Leitlinien der Vorgänger-Regierung. Der neue Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) wird ermächtigt, sich beim bevorstehenden Klima-Gipfel in Kopenhagen für ein "weltweites anspruchsvolles Klimaschutzabkommen" einzusetzen. Das "vorrangige Klimaschutzinstrument" sei der Emissionshandel. Wo immer möglich, sollen auch sonst "marktbasierte Instrumente" wie der Clean Development Mechanism (CDM) zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen genutzt werden.
Die Erneuerbaren Energien sollen konsequent ausgebaut werden, um innerhalb eines "dynamischen Energiemixes" die konventionellen Energieträger kontinuierlich zu ersetzen. Am Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird ebenso festgehalten wie am Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Netzeinspeisung. Die Förderung müsse aber wirtschaftlicher und die Einspeisung effizienter gestaltet werden, heißt es. Zur Regelung der Einzelheiten werde die Koalition eine EEG-Novelle verabschieden, die zum 1. Januar 2012 in Kraft tritt und "die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Technologie wahrt".
Als Beitrag zur "Planungssicherheit für bestehende Anlagen" wird vorab der § 19 EEG auf solche Anlagen beschränkt, die erst ab 2009 in Betrieb gegangen sind. Der Paragraph regelt die Vergütung für "Strom aus mehreren Anlagen" und soll verhindern, daß geschäftstüchtige Investoren zahlreiche Kleinanlagen zu einer Großanlage kombinieren, um die höheren Vergütungen für Kleinanlagen in Anspruch nehmen zu können. Da diese Neuregelung aber erst mit dem neuen EEG Anfang Januar in Kraft trat und rückwirkend gilt, verletzte das Parlament damit den Vertrauensschutz für die Gültigkeit von Gesetzen und brachte zahlreiche Betreiber von Biogas-Anlagen in große Schwierigkeiten, die ihre Kalkulation auf eben dieses Geschäftsmodell gegründet hatten.
Bei der Solarenergie will die Koalition Abstriche vornehmen, zuvor aber "in den Dialog mit der Solar-Branche und Verbraucherorganisationen treten, mit welchen Anpassungen kurzfristig Überförderungen bei der Photovoltaik vermieden werden können". Ferner will sie die Förderung von Freiflächen-Anlagen stärker auf die Nutzung von versiegelten oder vorbelasteten Flächen ausrichten.
Mieter müssen sich auf eine Senkung der "Hürden im Mietrecht" gefaßt machen, soweit der Hauseigentümer eine Modernisierung als "energetische Sanierung" deklarieren kann. Sie haben die Baumaßnahmen zu dulden und dürfen nicht auf Mietminderung bestehen. Ob und wieweit die Kosten der Modernisierung anschließend auf die Mieten umgelegt werden dürfen, läßt das Papier offen.
Die neue Bundesregierung hält an der Beendigung der deutschen Steinkohle-Förderung bis 2018 fest, die ihre Vorgängerin im Februar 2007 mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland vereinbart hat (070203). Unabhängig davon will sie aber "weiterhin den Bau von hocheffizienten Kohlekraftwerken ermöglichen". Um die Akzeptanz der Kohleverstromung zu erhöhen, wird sie das CCS-Gesetz, das in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr zustande kam (090602), nun "zeitnah" verabschieden. Zur Vermeidung von Konflikten zwischen der unterirdischen CO2-Speicherung und der Nutzung des Untergrunds für geothermische Energieerzeugung soll ein "Geothermie-Atlas" in Auftrag gegeben werden.
Zur Verbesserung der "Energieinfrastruktur" will die Koalition "die deutschen Übertragungsnetze in einer unabhängigen und kapitalmarktfähigen Netzgesellschaft zusammenführen und die Grenzkuppelstellen weiter ausbauen". In beiden Fällen befolgt sie entsprechende Vorgaben aus Brüssel, wobei sie für die Netzentflechtung die schwächste von drei Lösungen wählt, die erst auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs in die EU-Richtlinie aufgenommen wurde (090401).
Im Abschnitt "Wettbewerb auf Energiemärkten" greift die Koalition die Forderung der Monopolkommission nach Schaffung einer besonderen Marktaufsicht für den Strommarkt auf (090803). Sie will "eine Markttransparenzstelle einrichten und deren Befugnisse so erweitern, dass sie über alle Informationen verfügt, um zeitnah eine transparente Preisbildung im Stromgroßhandel zu sichern". Die derzeit noch sechs Gasmarktgebiete (090911) sollen auf höchstens zwei Gebiete reduziert werden (je ein Gebiet für H-Gas und L-Gas). Eine Änderung der Gasnetzzugangsverordnung soll Wettbewerbern den Zugang zu ungenutzten Transport- und Speicherkapazitäten erleichtern. Bei der Regelenergie wird zwar nicht die Vereinheitlichung der vier Regelzonen gefordert (081005), aber doch "ein einziges nach einheitlichen Regeln funktionierendes Marktgebiet" angestrebt (090214).
Durch ein neues Energieforschungsprogramm will die Koalition vor allem die Energieeffizienz, Speichertechnologien, intelligente Netztechnik und Biokraftstoffe der zweiten Generation vorantreiben. Mit letzteren sind solche Kraftstoffe gemeint, die nicht allein aus Pflanzenfrüchten gewonnen werden (wie z.B. Raps-Diesel), sondern Pflanzen als Ganzes verwerten und deshalb nicht unmittelbar mit dem Anbau von Nahrungsmittelpflanzen konkurrieren. Zudem soll sich Deutschland zum "Leitmarkt" für den Einsatz von Elektroautos entwickeln (090906).
Ein Novum ist der Begriff "Energieaußenpolitik". Er steht für die Bemühungen um eine Verringerung der Abhängigkeit Deutschlands von Energie- und Rohstoffimporten durch Diversifizierung von Lieferländern und Transportrouten. Als Projekte, die einer "intensiven Begleitung" bedürfen, gelten namentlich die Ostsee-Pipeline Nord Stream (090402), das Konkurrenzvorhaben Nabucco (090703), das Wüstenstrom-Projekt Desertec (090702) und die Erweiterung der Erdgasimportmöglichkeiten durch Flüssiggas (LNG).