April 2009 |
090411 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Land Berlin hat nach einer europaweiten Ausschreibung seinen Stromlieferanten für die Jahre 2010 bis 2012 direkt vor der Haustür gefunden: Wie der Senat am 24. April mitteilte, hat die Vattenfall Europe Sales GmbH, die seit 2002 den Stromvertrieb der früheren Bewag weiterführt (020802), den Zuschlag für alle acht Lose erhalten. Und angeblich beliefert Vattenfall den Großverbraucher nun sogar mit "100 Prozent Ökostrom" aus Wasserkraft.
Verpflichtende Bedingung für die Abgabe eines Angebotes sei nämlich gewesen, "daß kein Strom aus Kernkraftwerken geliefert und die Herkunft des Stroms offengelegt wird". Erstmalig seien für die Bewertung der Angebote nicht allein die Preise ausschlaggebend gewesen, sondern zu einem Drittel auch ökologische Kriterien berücksichtigt worden. Das Land Berlin beziehe für seine Einrichtungen insgesamt über 915 Gigawattstunden Strom jährlich. Durch die Umstellung auf hundertprozentigen Ökostrom ergebe sich so "eine CO2-Reduktion von 460.000 Tonnen jährlich".
Auf Nachfrage entpuppt sich die angebliche Umstellung auf "100 Prozent Ökostrom" als die übliche Augenwischerei mit RECS-Zertifikaten (080102). Der Herkunftsnachweis erschöpft sich darin, daß Vattenfall solche Zertifikate kaufen wird, die in Wasserkraftländern wie Norwegen, Schweden oder Österreich besonders günstig zu haben sind. Bisher kann der Senat noch nicht mal sagen, auf welche Länder und Wasserkraftwerke die Zertifikate ausgestellt sein werden, mit denen Vattenfall seinen ganz normalen Strom-Mix, der hauptsächlich aus Braunkohle und Kernenergie besteht, zu "Ökostrom" veredeln wird. Da die RECS-Papiere auch an ihrem Ursprungsort nur bestehende Kapazitäten vermarkten, ist die angebliche CO2-Reduktion von 460.000 Tonnen jährlich somit ein reines Phantasieprodukt.
"Der Preis wird im Vergleich zu den bisherigen Lieferkonditionen steigen, weil die Strompreise insgesamt stark angezogen haben", hieß es in der Pressemitteilung des Senats weiter. Unter anderem liege das an den gestiegenen Umlagekosten aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Der Senat übernimmt damit unkritisch eine Sichtweise, die von den tatsächlichen Gründen für den Strompreisanstieg ablenkt, zumal das EEG den Strompreis nur relativ gering belastet, aber im Unterschied zu RECS-Zertifikaten tatsächlich den Ausbau der erneuerbaren Energien fördert. Vor allem scheint er übersehen zu haben, daß die Preise an der Strombörse schon seit dem vorigen Jahr deutlich sinken und auch der VIK-Index für Großverbraucher auf einen seit vier Jahren nicht mehr erreichten Tiefstand zurückgegangen ist (090403). Die faktisch nutzlosen RECS-Zertifikate können das Zugeständnis eines höheren Strompreises schon gar nicht begründen. Laut "Tagesspiegel" (22.4.) dürfte der Aufpreis bei etwa zwei Millionen Euro liegen.
Die Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichte am 13. April eine Studie zu "Ökostrom"-Modellen, die in ihrem Auftrag der Saarbrückener Energiewissenschaftler Uwe Leprich angefertigt hat. Die Studie setzt sich insbesondere mit den RECS-Zertifikaten auseinander, deren Verkauf sich von 2006 bis 2007 verdoppelt hat. "Viele Energiekonzerne betreiben nichts anderes als Greenwashing", faßte ein Greenpeace-Sprecher das Ergebnis zusammen. "Wenn ganze Städte, so wie es in Kassel, Friedrichshafen und Saarbrücken der Fall war, ohne Aufpreis über Nacht auf Öko-Strom umstellen, sollten die Kunden stutzig werden". Besonders dreist sei der "ProKlima-Tarif", in dem RWE zwei Drittel Atomstrom mit einem Drittel Wasserkraft-Zertifikaten verpackt hat (081109).
Aus der Studie ergibt sich, daß beim Geschäft mit RECS-Zertifikaten klar die Wasserkraft dominiert: Sowohl 92 Prozent der ausgegebenen als auch 85 Prozent der entwerteten (abgelaufenen) Zertifikate stammten 2007 von Wasserkraftanlagen. Während anfänglich fast die Hälfte der Zertifikate der energetischen Nutzung von Biomasse entstammten, ist deren Anteil heute auf rund zwei Prozent geschrumpft. Nach Ländern betrachtet stammten 2007 knapp 60 Prozent der Zertifikate aus Norwegen und 24 Prozent aus Schweden.
"Solange das Gros der Zertifikate aus (zumeist abgeschriebenen) skandinavischen Wasserkraftanlagen kommt, die ohnehin Strom zu niedrigen Gestehungskosten produzieren, findet keine Reduzierung von CO2-Emissionen statt", stellte dazu der Verfasser Uwe Leprich fest. Die fiktive "Verschmutzung" des norwegischen und schwedischen Stroms durch den Verkauf des Etiketts "Wasserkraft" in Form von RECS-Zertifikaten habe zugleich keinerlei Auswirkungen auf die nationalen CO2-Bilanzen der Verkaufsländer und damit auf die Erfüllung von deren Klimaschutzzielen, da hier strikt das Territorialprinzip herrscht. Sehr wohl aber konkurriere der mit RECS-Zertifikaten aufgehübschte Normalstrom auf dem deutschen Markt mit Ökostrom, dessen Anbieter um die Erstellung eines ökologischen Zusatznutzens bemüht sind. Solange beide Angebote als "Ökostrom" zertifiziert und verkauft werden können, hätten deshalb die Anbieter ökologisch wertvoller Angebote das Nachsehen.