Januar 2008 |
080102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die vom Energiewirtschaftsgesetz vorgeschriebene Stromkennzeichnung ist oft nur eine "Mogelpackung". Darauf machte jetzt "Der Spiegel" (7.1.) aufmerksam, nachdem mehrere Stromversorger ihre komplette Umstellung auf "Ökostrom" verkündet hatten. Zum Beispiel hieß es in einer Pressemitteilung der Stadtwerke Kassel: "In Kassel fließt seit 30. Oktober 2007 in allen Haushalten Naturstrom. Die Städtische Werke AG hat alle Tarifkunden umgestellt – automatisch, ohne deren Zutun und auch ohne Aufpreis."
Tatsächlich ermöglicht das von Stromunternehmen gegründete Renewable Energy Certificate System (RECS) eine Art Etikettenschwindel. Zum Beispiel läßt sich damit Strom aus deutschen Kern- oder Kohlekraftwerken als Strom aus norwegischer Wasserkraft deklarieren. Das deutsche Unternehmen braucht nicht einmal einen entsprechenden Liefervertrag zu schließen. Es bedarf auch keiner physischen Verbindung der Stromnetze. Es genügt, wenn der deutsche Stromerzeuger oder -verteiler einem norwegischen Wasserkraftwerksbetreiber die entsprechende Zahl von RECS-Zertifikaten abkauft. Das Zertifikat "Strom aus Wasserkraft" wandert dann für etwa 0,05 Cent pro Kilowattstunde von Norwegen nach Deutschland. In Norwegen wäre es praktisch wertlos, weil dort ohnehin aller Strom aus Wasserkraftwerken kommt. In Deutschland aber läßt sich damit die Stromkennzeichnung zugunsten von "Ökostrom" verändern, ohne daß dem Erwerber der Zertifikate größere Kosten entstehen.
Die RECS-Zertifikate entstanden vor dem Hintergrund der 2001 in Kraft getretenen EU-Richtlinie zur Förderung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, die unter anderem von den Mitgliedsstaaten verlangte, die Kriterien für die Zertifizierung von "Ökostrom" zu vereinheitlichen (000505). In Deutschland wurde deshalb dem neuen Energiewirtschaftsgesetz der § 42 über "Stromkennzeichnung, Transparenz der Stromrechnungen" eingefügt. Dieser Paragraph beschränkt sich aber auf Minimalvorgaben. Im übrigen ermächtigt er die Bundesregierung, Einzelheiten des Verfahrens im Wege einer Rechtsverordnung zu regeln. Von dieser Ermächtigung machte die Bundesregierung indessen keinen Gebrauch, sondern überließ die Regelung der Details einer unverbindlichen Übereinkunft der Branchenunternehmen, deren Ergebnis der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) im Oktober 2004 in Form eines "Leitfadens" zur Stromkennzeichnung vorlegte. Dieser Leitfaden bindet zwar die Ausstellung von Zertifikaten grundsätzlich an physische Stromlieferungen, nimmt aber den Handel mit RECS-Zertifikaten davon ausdrücklich aus.
Der VDEW-Leitfaden enthält noch andere fragwürdige Regelungen. So darf bei Strom aus unbekannter Herkunft (z.B. an der Börse eingekaufter Strom) der Anteil der Erneuerbaren in Höhe des UCTE-Strommixes angesetzt werden, obwohl dadurch z.B. der Anteil der Wasserkraft dreimal so hoch veranschlagt wird als er in Deutschland tatsächlich beträgt. Ferner dürfen die Stromversorger die gesetzlich vorgeschriebenen EEG-Umlage ohne besondere Kennzeichnung als"erneuerbare Energien" ausweisen. Einzelne Stromversorger gelangen so mühelos zu regenerativen Anteilen von über zwanzig Prozent, obwohl die erneuerbaren Energien bisher am durchschnittlichen deutschen Strom-Mix nur mit etwa zwölf Prozent beteiligt waren.
Nach Erlaß der erwähnten EU-Richtlinie gründeten Unternehmen der Stromwirtschaft Ende 2001 in Brüssel eine Vereinigung für den europaweiten Handel mit "Grünstrom"-Zertifikaten. Das System war von vornherein so angelegt, daß es nicht auf Lieferverträge ankam. Vielmehr sollte es die europaweit vorhandenen "Grünstrom"-Kapazitäten (Wasserkraftwerke, Windkraftanlagen usw.) durch Zertifikate erfassen, die dann innerhalb der Branche frei gehandelt werden können. Es ermöglicht so die Vermarktung von ohnehin vorhandenen Kapazitäten unter dem publikumswirksamen Etikett "Grünstrom", ohne daß ein eventueller Mehrpreis, den der Kunde dafür bezahlen muß, tatsächlich der Förderung der erneuerbaren Energien zugute kommt.
In ähnlicher Weise hat schon 1999 das damalige Bayernwerk den Strom aus seinen Wasserkraftwerken als "Aquapower" vermarktet (990917). Durch RECS wird diese Art von "Grünstrom-Zertifizierung" unternehmensübergreifend und grenzüberschreitend möglich. Es ist nicht einmal mehr der Abschluß eines Liefervertrags notwendig, wie dies noch 1999 die EnBW-Vertriebsfirma Yello tat, um sich mittels norwegischer Wasserkraft vom Ruch eines Atomstromanbieters zu befreien (991209). Inzwischen verzichtet Yello auf derartige Kosmetik.
RECS international verfügt nach eigenen Angaben heute über mehr als 200 Mitglieder in 24 europäischen Ländern. Ausgabe, Verwaltung und Entwertung der RECS-Zertifikate erfolgen ausschließlich auf elektronischem Wege durch sogenannte "issuing bodies", die für ein bestimmtes Gebiet zuständig sind. Als für Deutschland zuständiger "Issuing body" fungiert das Freiburger Öko-Institut. Geschäftlich in das System eingebunden sind ferner die Technischen Überwachungsvereine (TÜV), indem sie die Zertifizierung besorgen.
Seit Jahr 2004 gibt es auf nationaler Ebene "RECS Deutschland" als eingetragenen Verein. Sein Zweck ist laut Satzung "der Aufbau, die Organisation und der Betrieb des Renewable Energy Certificate Systems (RECS) in der deutschen Domain sowie das Vorantreiben seiner Akzeptanz und Marktverbreitung". Mitglieder sind u.a. Vattenfall, RWE, E.ON, EnBW, EWE, Nuon, Electrabel und Statkraft. Als Hauptziel wird angestrebt, das RECS-System, das bisher ein rein vereinsrechtliche Veranstaltung ist, zu einem europaweit verbindlichen Handelssystem für Strom aus Erneuerbaren (EECS) zu machen. RECS Zertifikate sollen zu einer Art Spot-Markt für regenerative Energie werden. Es ist sogar vorgesehen, auf der Basis dieses Spot-Marktes derivative Instrumente wie Terminkontrakte und Optionen zu handeln. Mit dem neuen EU-Richtlinienvorschlag zur Stromkennzeichnung wäre es der RECS-Lobby fast gelungen, ihre Zertifikate durch ein für alle EU-Staaten verbindliches Handelssystem ablösen zu lassen (080103).
Das Öko-Institut veröffentlichte am 9. Januar eine Stellungnahme, um den Eindruck zu entkräften, es habe als deutscher "issuing body" der RECS-Zertifikate an einem Etikettenschwindel mitgewirkt: Wenn in den letzten Monaten mehrere deutsche Stadtwerke wie Kassel, Heidelberg und Freiburg ihre Stromversorgung vollständig auf erneuerbare Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung umgestellt hätten, sei dies "in erster Linie als symbolischer Akt und als ein Bekenntnis für Erneuerbare Energien und gegen Atomkraft und Kohlekraftwerke zu bewerten". Ein Ausbau der Erneuerbaren Energien sei damit "derzeit nicht verbunden". Das Institut empfehle deshalb diesen Stadtwerken, "aus Gründen der Glaubwürdigkeit im Rahmen ihrer Produktkommunikation unbedingt Aussagen zu vermeiden, die suggerieren, daß solche Produkte kurz- oder mittelfristig etwas an der Zusammensetzung der Stromerzeugung in Europa ändern". Die RECS-Zertifikate seien aber dennoch "zuverlässige Herkunftsnachweise für Strom aus Erneuerbaren Energien". Außerdem trügen sie dazu bei, eine Doppelvermarktung solchen Stroms zu verhindern. Im übrigen habe das Öko-Institut bereits im Jahr 2001 zusammen mit dem WWF Deutschland und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen das Gütesiegel "ok-power" entwickelt, das auch höheren Ansprüchen an Ökostrom gerecht werde.
Das Öko-Institut bangt offenbar um seinen Ruf als umweltkritische Institution, den es sich vor langer Zeit erwarb und von dem es bis heute zehrt. Erste Konflikte über die Orientierung des Instituts gab es bereits Mitte der neunziger Jahre (961213). Mit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition avancierten dann führende Vertreter in amtliche Positionen: So wurden Lothar Hahn und Michael Sailer Leiter der Reaktorsicherheitskommission (020118, 040315) und Stephan Kohler Chef der "Deutschen Energie-Agentur" (001011, 070410). Im Gegensatz zu seiner heutigen Position hielt das Öko-Institut vor zehn Jahren die sogenannten "grünen Tarife" noch für ungeeignet, die erneuerbaren Energien voranzubringen (980321).
Vor allem in den Anfängen der "Ökostrom"-Vermarktung gab es beim Publikum viel Illusionen, bis hin zu der Vorstellung, nun komme der Strom direkt von einer Windkraftanlage aus der Steckdose (990327). Inzwischen weiß der "aufgeklärte" Ökostrom-Kunde, daß er für seinen Aufpreis keine besondere Art von Strom erhält und daß sich auch sonst nichts an seiner Stromversorgung ändert. Er läßt sich aber noch immer gern davon überzeugen, daß er mit seiner Nachfrage das verfügbare Angebot an regenerativer Stromerzeugung verknappe und so die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten vorantreibe. Tatsächlich wird aber der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder den Handel mit CO2-Zertifikaten effektiver vorangetrieben als durch die freiwillig gezahlten Preisaufschläge von "umweltbewußten" Kunden. Das Etikett "Ökostrom" ist aus diesem Grund inzwischen relativ billig geworden. Es dient hauptsächlich der Vermarktung von Illusionen, wie insbesondere der Handel mit RECS-Zertifikaten zeigt.
"Ökostromhandel ist in Deutschland ein längst überholtes Projekt", meinte deshalb der Geschäftsführer des Solarenergie-Fördervereins Deutschland e.V., Wolf von Fabeck, in einem Interview mit der Wochenzeitung "Junge Welt" (8.1.). "Es gibt keinen Wind- oder Solaranlagenbetreiber in Deutschland, der Probleme mit dem Verkauf seines Stromes hätte. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantiert ihm sogar die Abnahme über 20 Jahre, und das zu einem staatlich festgesetzten Preis, der so hoch ist, wie ihn kein Ökostromkunde zahlt."