November 2007 |
071101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auf die deutschen Stromverbraucher rollt eine neue Welle von Preiserhöhungen zu: Im Nachtrab der vier Energiekonzerne, die als Großkraftwerksbetreiber vier Fünftel des deutschen Stroms erzeugen und damit das Preisniveau bestimmen, nahm nun auch eine Vielzahl kleinerer Versorger "Preisanpassungen" vor. Eine Untersuchung des Branchendienstleisters Verivox ergab, daß zum Jahresende mindestens 318 Grundversorger die Strompreise um bis zu 25 Prozent erhöhen. Ab 1. Januar 2008 zahlt eine Kleinfamilie im Bundesdurchschnitt 855 statt bisher 804 Euro für einen Jahresverbrauch von 4000 kWh in der Grundversorgung. Dies entspricht 21,4 Cent pro Kilowattstunde und einer Erhöhung von 6,6 Prozent seit dem 1. Januar 2007 (siehe Tabelle 1).
Nach weiteren Berechnungen von Verivox mußte ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4000 kWh am 1. November durchschnittlich 823 Euro bzw. 20,6 Cent pro Kilowattstunde in der Grundversorgung bezahlen. Bei einem Vergleich der 867 deutschen Grundversorger schwankte der Preis für den gesetzlich vorgeschriebenen Grundversorgungs-Tarif zwischen 673 und 969 Euro. Fast alle Grundversorger bieten daneben einen frei zu vereinbarenden Strombezugspreis an, der in der Regel etwas niedriger ist und zwischen 653 und 916 Euro liegt. Deutlich günstiger sind in den meisten Fällen alternative Anbieter, wobei die Einsparung umso höher ist, je teurer der Grund- bzw. Lokalversorger ist und bis zu 270 Euro erreichen kann. Noch günstiger sind alternative Anbieter, die Vorauskasse verlangen, was aber für den Normalverbraucher mit Nachteilen und Risiken verbunden ist und ihm deshalb kaum empfohlen werden kann (siehe Tabelle 2).
Seit dem Wegfall der Tarifaufsicht zum 1. Juli 2007 steigen die Strompreise für Haushalte und andere Kleinverbraucher auf breiter Front (070902). Den Anfang machten die Energie Baden-Württemberg (060606) und Vattenfall Europe (070501). Im Oktober kündigten auch E.ON und RWE Strompreiserhöhungen um bis zu zehn Prozent an, ohne dies plausibel begründen zu können (071002). Sie lösten damit bundesweit Empörung aus, die parteiübergreifend von Sprechern der Bundestagsfraktionen geteilt wurde (071002). Auf die allseitige Kritik reagierten die Konzerne nur mit einer Verstärkung ihrer ganzseitigen Image-Anzeigen und sonstigen Werbemaßnahmen. Offenbar wollen sie den tiefen Griff in die Taschen der Haushaltskunden, der durch den Verzicht auf eine Verlängerung der Tarifaufsicht möglich wurde (070605), ohne Rücksicht auf Imageverluste durchziehen und die Gunst der Stunde nutzen, bevor die Verschärfung des Kartellrechts oder andere politische Maßnahmen möglicherweise zu greifen beginnen. Allerdings ist es der Branchen-Lobby gelungen, in der jetzt beschlossenen GWB-Novelle die Umkehr der Beweislast auf das Verfahren vor dem Bundeskartellamt zu beschränken und das betriebswirtschaftliche Konstrukt der "Grenzkosten" in die Gesetzesbegründung einfließen zu lassen, das schon als Vorwand für die "Einpreisung" der kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate mißbraucht wurde (071104).
Gereizt reagierte die Branche auf einen Fernsehspot der katholischen Kirche, der am 21. Oktober bei RTL lief: In diesem "Bibel-Clip" war unter anderem ein Stromzähler und das E.ON-Logo zu sehen, während eine Stimme aus der Bibel zitierte: "Nimm von ihm keinen Zins und Wucher!" (Levitikus 25, 36). E.ON sorgte dafür, daß der Clip nur an einem Tag gesendet wurde und auch von den Internet-Seiten des Senders verschwand. Von RWE kam außerdem ein Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann: "MIt Entsetzen haben wir mit ansehen müssen, wie (...) E.ON polemisch verunglimpft und mit Wucher in Verbindung gebracht wird." Statt zusätzlich Öl in die aufgeheizte Diskussion zu gießen, solle die katholische Kirche lieber versöhnend und vermittelnd einwirken, hieß es in dem Schreiben, für das RWE-Mitarbeiter verantwortlich zeichneten. Bekannt wurde der Vorfall erst einen Monat später durch eine Notiz im Magazin "Focus" (25.11.).
Bei den kleineren Versorgern, die jetzt ebenso wie die vier Konzerne ihre Preise erhöhen, läßt sich im einzelnen schwer sagen, wieweit sie nur die höheren Preise ihrer Vorlieferanten weitergeben oder im Zuge der allgemeinen Preisoffensive auch ihre Gewinnmargen zu erhöhen versuchen. Die meisten kommunalen Stromversorger sind reine Verteiler oder verfügen nur über eine relative geringe Eigenerzeugung. Die mögliche Preisgestaltung hängt damit entscheidend vom Vorlieferanten ab, der in aller Regel einer der vier marktbeherrschenden Konzerne ist. In der Vergangenheit profitierten diese Verteiler von den allgemein überhöhten Netznutzungsgebühren und machten so weiterhin recht gute Gewinne, anstatt dem zu Beginn der Liberalisierung prophezeiten "Stadtwerke-Sterben" zum Opfer zu fallen (990816). Durch die effiziente Tätigkeit der Bundesnetzagentur, die Mitte vorigen Jahres mit der Vorab-Genehmigung der Netzentgelte begann (060601) und den Anteil der Netzkosten am Niederspannungspreis binnen eines Jahres von 38,6 auf 31,5 Prozent verringerte (071107), fließen die Gewinne der kommunalen Versorger aber inzwischen spärlicher. Noch größere Sorge bereitet ihnen indessen die sogenannte Anreizregulierung, die am 1. Januar 2009 in die erste Phase tritt und einheitliche Kostenvorgaben für alle Netzbetreiber vorsieht, die einer Gruppe vergleichbarer Unternehmen angehören (071103). Es ist deshalb mit weiteren Teilprivatisierungen oder gar Übernahmen von Stadtwerken durch in- und ausländische Energiekonzerne zu rechnen oder – soweit dies am Einspruch des Bundeskartellamts scheitern sollte – mit weiteren Kooperationen und Fusionen auf der Ebene der Stadtwerke. Zum Beispiel will jetzt die Stadt Leipzig knapp die Hälfte ihrer Stadtwerke an Gaz de France/Suez verkaufen (071108). Die Mannheimer MVV, die sich ihrerseits schon mehrere Stadtwerke einverleibt hat, kooperiert neuerdings mit der Kölner RheinEnergie (071009), nachdem sich eine ursprünglich anvisierte Fusion mit der Frankfurter Mainova zerschlagen hat (051010). Unterhalb der Ebene einer kapitalmäßigen Verflechtung planen beispielsweise die kommunalen Versorger von Hannover und Nürnberg/Unterfranken den Aufbau eines gemeinsamen Unternehmens für den bundesweiten Strom- und Gasvertrieb (071117).
Immer deutlicher zeigt sich inzwischen, daß die überhöhten Netzentgelte nur einer der Faktoren waren, die einen wirksamen Wettbewerb auf dem Strommarkt verhinderten. Ein noch größeres Hemmnis ist der Umstand, daß vier Fünftel der deutschen Stromerzeugung von den vier Konzernen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW kontrolliert werden. Sie können damit das Strompreisniveau bestimmen, unabhängig davon, ob sie den Strom direkt an Weiterverteiler oder Endkunden liefern oder über die Strombörse anbieten. Da die an der Strombörse ermittelten Großhandelspreise als Referenzpreise akzeptiert werden, liegt es für die Großstromerzeuger nahe, auch hier ihre Marktmacht gezielt einsetzen, um die Börsenpreise in die Höhe zu treiben, wie dies jetzt aus einem Papier des Bundeskartellamts hervorgeht (071105). Im Unterschied zu den reinen oder überwiegenden Verteilern können die vier Konzerne auf diese Weise die Abstriche an den Netzentgelten leicht verschmerzen. Da sie sich bisher gegenseitig offensichtlich keine Konkurrenz machen – dazu bedarf es nicht einmal direkter Preisabsprachen, wie der Vorsitzende der Monopolkommission jetzt feststellte (071105) – könnte ein Sinken der Strompreise somit nur durch unabhängige Stromerzeuger bewirkt werden, die mit ihren Kraftwerken dem Oligopol der vier Konzerne Paroli bieten und unter Ausnutzung einer mittlerweile funktionierenden Regulierung des Netzbetriebs in den Markt eintreten. Da die vier Konzerne das Preisniveau enorm in die Höhe getrieben haben, könnten solche Investoren auch dann mit Gewinn rechnen, wenn sie dieses Niveau kräftig unterbieten.
Vor diesem Hintergrund dringt die Bundesnetzagentur in ihrem jetzt vorgelegten zweiten "Monitoringbericht" auf einen beschleunigten Ausbau der Kraftwerkskapazitäten. Sie berücksichtigt dabei allerdings nicht, daß es sehr wohl darauf ankommt, wer neue Kraftwerke baut. Die Monopolkommission vertraut dagegen nicht darauf, daß es schon gelingen werde, die hohen Erzeugerpreise mit einem verschärften Kartellrecht in den Griff zu bekommen. In ihrem jetzt vorgelegten Sondergutachten plädiert sie sogar dafür, den etablierten Kraftwerksbetreibern eine Zwangspause beim Bau neuer Erzeugungskapazitäten aufzuerlegen, damit unabhängige Kraftwerksbetreiber bessere Chancen haben. (071102) Sie berücksichtigt damit zugleich den Umstand, daß die Vielzahl der derzeit geplanten Kraftwerke zu Engpässen bei den Lieferanten führt, wodurch der Markteintritt unabhängiger Kraftwerksbetreiber zusätzlich verhindert, behindert oder zumindest verteuert wird (071106). Ähnliche Wirkung hätte ein Vorschlag, den der hessische Wirtschaftsminister Rhiel in Kürze über den Bundesrat als Gesetzentwurf einbringen möchte: Dieses Gesetz würde das Bundeskartellamt zu "wettbewerbsstimulierenden Eingriffen in die Marktstruktur" berechtigen. Die Behörde könnte künftig sogar einen Zwangsverkauf von Kraftwerken anordnen, wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen und dadurch Wettbewerb verhindern. (071106)
Da sich der Hauptkampfplatz der wettbewerbspolitischen Auseinandersetzung inzwischen
von den Netzentgelten auf die Stromerzeugungskosten bzw. auf die per Strombörse
hochgetriebenen Großhandelspreise verlagert hat, wird die von der EU-Kommission
beabsichtigte eigentumsrechtliche Entflechtung der Transportnetzbetreiber nicht nur
von der Bundesregierung abgelehnt. Auch die Monopolkommission und die Bundesnetzagentur
beurteilen diesen Vorschlag skeptisch, da die Regulierung inzwischen unzweifelhaft
zu wirken begonnen hat. Die mangelnde informatorische Abschottung zwischen Netzbetrieb
und anderen Konzernbereichen, die beim derzeitigen Stand der "Unbundling"-Vorschriften
weiterhin Anreize zur Bevorzugung von Erzeugungs- und Vertriebsschwestern enthält,
wird dabei zwar nicht ignoriert, aber als verkraftbares Übel gewertet. (071102)