Dezember 2006 |
061203 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundeskartellamt hat den RWE-Konzern abgemahnt, weil er den Börsenwert seiner Emissionszertifikate, die ihm kostenlos zugeteilt wurden, auf die Strompreise aufgeschlagen hat. Ein ähnliches Verfahren gegen E.ON läuft noch. Außerdem müssen Vattenfall und EnBW mit demselben Vorwurf rechnen. RWE und die anderen Verfahrensbeteiligten haben Gelegenheit, bis zum 22. Februar 2007 zur Abmahnung Stellung zu nehmen.
Wie das Bundeskartellamt am 20. Dezember mitteilte, geht es in seiner vorläufigen Beurteilung "von der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnis aus, daß Opportunitätskosten im Prinzip in die betriebswirtschaftliche Kalkulation einfließen". Voraussetzung für die Anerkennung solcher Opportunitätskosten sei allerdings, daß die zur Stromerzeugung unentgeltlich zugeteilten CO2 -Zertifikate auch tatsächlich für einen Verkauf zur Verfügung stehen. Aus stromwirtschaftlichen und emissionsrechtlichen Gründen hätten die Kraftwerksbetreiber aber lediglich eine geringe Zahl der zugeteilten Emissionsberechtigungen tatsächlich verkaufen können. Deshalb könnten sie auch nur für diese frei verfügbaren Zertifikate einen monetären Nutzen geltend machen, der ihnen entgehe, wenn sie den Börsenwert nicht in die Strompreise einkalkulieren. Im Falle von RWE seien für allenfalls 25 Prozent des im Strompreis anteilig enthaltenen Zertifikatswertes diese Voraussetzungen erfüllt. Jede darüber hinaus stattfindende Überwälzung sei dagegen als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung anzusehen.
Durch das Zuteilungsgesetz 2007 waren die betroffenen deutschen Anlagenbetreiber für die erste Handelsperiode von 2005 bis 2007 kostenlos mit Emissionsberechtigungen für 495 Millionen Tonnen CO2 ausgestattet worden. Angeblich orientierte sich diese Zuteilung an den bisherigen Emissionen bzw. lag sogar knapp darunter. Aufgrund der tatsächlichen CO2-Emissionen des Jahres 2005 benötigten die deutschen Anlagenbetreiber aber nur Zertifikate für 473,1 Millionen Tonnen, so daß sich ein beträchtlicher Überschuß um 21,4 Millionen Tonnen oder 4,5 Prozent ergab, den sie gewinnbringend verkaufen konnten. Die Nachfrage dürfte vor allem von englischen Anlagenbetreibern gekommen sein, denen wegen einer restriktiveren Zuteilung sowie durch den Gaspreisanstieg und die sich daraus ergebende Reaktivierung von Kohlekraftwerken Zertifikate für 33 Millionen Tonnen CO2 fehlten. Einem Mangel von 13,6 Prozent in England stand so ein Überschuß von 4,5 Prozent in Deutschland gegenüber. Außer England hatten auch Irland, Spanien, Italien und Österreich weniger Zertifikate ausgegeben, als den tatsächlichen Emissionen des Jahres 2005 entsprach. Die deutschen Kraftwerksbetreiber konnten so ihre nicht benötigten Zertifikate zu Höchstpreisen losschlagen, bis sich herausstellte, daß EU-weit ein Überschuß an Emissionsberechtigungen für 44 Millionen Tonnen CO2 bestand (060501). Den so in die Höhe getriebenen Kurswert der Zertifikate, die sie kostenlos erhalten hatten, schlugen sie überdies auf die Strompreise auf, als ob es sich um tatsächliche Kosten gehandelt hätte, und erzielten so "Windfall-Profits" von schätzungsweise fünf Milliarden Euro jährlich (050901, 060303).
Bereits im Sommer 2005 hatte die stromverbrauchende Industrie den vier Konzernen vorgeworfen, ihre marktbeherrschende Stellung im Zusammenhang mit dem CO2-Zertifikatehandel zu mißbrauchen. Die jetzigen Abmahnungen des Bundeskartellamts gehen auf die damals eingereichten Beschwerden zurück (050803). Falls sie Bestand haben, könnten sich daraus hohe Rückforderungsansprüche der Industrie an die Stromkonzerne ergeben.
Das Bundeskartellamt verweist darauf, daß es den Stromkonzernen bei funktionierendem Wettbewerb nicht möglich gewesen wäre, ihre rein buchhaltungsmäßig existierenden Zertifikate-Kosten auf die Strompreise aufzuschlagen. Dies zeige der Vergleich mit anderen Industrien, die sich eine Überwälzung der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen auf die Preise nicht erlauben können. Dies gelte nicht nur für solche Branchen, die im weltweiten Wettbewerb mit Unternehmen stehen, die nicht am Emissionshandel teilnehmen. In derselben Situation befänden sich beispielsweise auch die Märkte für Mineralöl, Zement, Kalk oder Zucker, auf denen deutsche Unternehmen mit ebenfalls am Zertifikatehandel beteiligten nationalen oder europäischen Wettbewerbern konkurrieren.
RWE hält die abgemahnte Praxis dennoch weiterhin für richtig. "Das Amt ignoriert die Grundlagen der Preisbildung auf dem wettbewerblich organisierten Strommarkt und berücksichtigt den grundlegenden Marktmechanismus nicht, der für die erfolgreiche Klimaschutzpolitik in Europa notwendig ist", hieß es in einer Pressemitteilung des Konzerns vom 20. Dezember. Die beanstandeten "Strompreiseffekte" gehörten zum Emissionshandel und seien politisch gewollt. Auf allen europäischen Strommärkten werde der Zertifikatepreis im Strompreis berücksichtigt. Es sei "nicht nachvollziehbar, daß diese in Europa einheitlichen Marktmechanismen einen Verstoß gegen deutsches Kartellrecht bedeuten sollen". Renommierte Ökonomen wie der Leibniz-Preisträger Axel Ockenfels und der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, Martin Hellwig, seien ebenfalls der Meinung, "daß die Kosten für CO2-Zertifikate zu Recht in die Strompreisbildung einfließen - unabhängig davon, ob diese zugeteilt, gekauft oder im Wege einer Auktion erworben wurden".
Nach Ansicht der "Süddeutschen Zeitung" (22.12.) wird die Abmahnung
einer juristischen Prüfung kaum standhalten. Gerade dies sei aber einkalkuliert
und sogar beabsichtigt: Kartellamtspräsident Ulf Böge wolle so demonstrieren,
daß es an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt, um die Stromkonzerne
am Mißbrauch ihrer Marktmacht zu hindern. "Wird diese Ohnmacht der Behörde
am Ende deutlich, käme dies der geplanten Kartellnovelle aus dem Hause Glos sehr
zupaß."