März 2006 |
060303 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die vier deutschen Strom-Oligopolisten und die französische EDF kassieren
aufgrund der enormen Differenzen zwischen ihren tatsächlichen Stromerzeugungskosten
und den an den Strombörsen ermittelten Preisen allein in den Jahren 2005 und
2006 "Windfall-Profits" in Höhe von über zwanzig Milliarden Euro.
Diese Einschätzung bekräftigte der Energieexperte Uwe Leprich von der Hochschule
für Technik und Wirtschaft Saarbrücken in einem Gespräch mit der "Deutschen
Presse-Agentur" (9.3.). Während die Erzeugungskosten in den abgeschriebenen
Kernkraftwerken bei weit unter 10 Euro pro Megawattstunde lägen, bewege sich
der Börsenpreis für Grundlast-Strom im nächsten Jahr bei weit über
50 Euro pro Megawattstunde. "Da wird das richtig dicke Geld verdient", zitierte
DPA den Wissenschaftler.
Die riesigen Windfall-Profits beschleunigten die Konzentration der deutschen und europäischen
Stromwirtschaft, denn die Konzerne müßten kräftig investieren, um
nicht wegen ihrer prall gefüllten Kassen zum Angriffsziel von Finanzinvestoren
zu werden. Grundsätzlich könne aber die Art der Preisbildung an den Strombörsen
nicht beanstandet werden. "Das ist der falsche Sparringspartner", meinte
Leprich zu Verdächtigungen, an der Strombörse EEX gehe es nicht mit rechten
Dingen zu (050703). Notwendig seien vielmehr politische
Maßnahmen, um die unverdienten Extra-Profite der Großkonzerne abzuschöpfen
- zum Beispiel durch eine Sondersteuer auf große Differenzen zwischen Börsenpreis
und Erzeugungskosten.
Die Saarbrückener Wissenschaftler wiederholte damit die Ergebnisse einer Studie, die er im Auftrag des grünen Europapolitikers Claude Turmes erstellt hat. Sie waren bereits am 24. November 2005 in Brüssel vorgelegt worden, ohne in den Medien nennenswerte Beachtung zu finden. In dieser Studie widerspricht Leprich der herrschenden volkswirtschaftlichen Lehrmeinung, die an der Strombörse ermittelten Preise würden als "Grenzkosten" das tatsächliche Preisniveau der Stromerzeugung widerspiegeln (050901). Tatsächlich seien die Stromerzeugungskosten viel niedriger, da in die Strombörsen-Preise seit 2005 auch die aktuellen Marktpreise für Emissionsberechtigungen miteinfließen, obwohl diese kostenlos an die Großstromerzeuger ausgegeben wurden. Unabhängig davon könne die Strombörse im wesentlichen nur die Grenzkosten für Mittellast-Strom widerspiegeln, der in Steinkohle- und Gaskraftwerken erzeugt wird, nicht aber die von Grundlast, die durch Braunkohle- und Kernkraftwerke gedeckt wird. Die Steinkohle- und Gaskraftwerke hätten hohe variable Kosten, die in erster Linie vom Brennstoffverbrauch bestimmt werden. Sie seien damit typische Grenzkosten-Kraftwerke. Bei den Braunkohle- und Kernkraftwerken hingen die Kosten der Stromerzeugung dagegen überwiegend von den Kapitalkosten ab, die gemäß Grenzkosten-Theorie nicht als Grundlage für die Ermittlung der Grenzkosten taugen. Zudem seien diese Kapitalkosten größtenteils bereits abgeschrieben.
So kommt es laut Leprich zu enormen "Windfall-Profits", die sich in den hervorragenden Geschäftsergebnissen widerspiegeln, die alle vier großen deutschen Stromkonzerne in den ersten neun Monaten des Jahres 2005 vorlegen konnten:
- RWE verbesserte das EBIT (Gewinn vor Steuern und Zinsen) um vier Prozent auf 4,7 Milliarden Euro.
- E.ON erhöhte das EBIT um 7 Prozent auf 5,5 Milliarden Euro, wobei die Hälfte aus dem Stromgeschäft stammte.
- Die Energie Baden-Württemberg steigerte das EBIT um 19,1 Prozent auf 1,05 Milliarden Euro.
- Vattenfall Europe vergrößerte das EBIT um 25 Prozent.
Allein im Jahr 2005 hätten die vier großen deutschen Stromkonzerne mit ihren Kernkraftwerken 2,2 Milliarden Euro und mit Braunkohle-Kraftwerken 1,0 Milliarde Euro an Windfall-Profits eingestrichen. Für das Jahr 2006 sei die Erhöhung dieser Summen auf 3,0 bzw. 2,0 Milliarden Euro zu erwarten, so daß sich für den gesamten Zweijahreszeitraum ungerechtfertigte Profite von 8,2 Milliarden Euro ergäben.
Noch größer seien die Windfall-Profits des französischen Strommonopolisten EDF: Dank seiner zahlreichen Kernkraftwerke komme er 2005 auf 5,0 und 2006 auf 8,0 Milliarden Euro.
Am 15. Februar kritisierte auch die Naturschutzorganisation WWF ("World Wide Fund For Nature", ehemals "Word Wildlife Fund") die Extra-Profite der Stromkonzerne und verlangte eine Änderung der Vergabepraxis beim zweiten nationalen Allokationsplan, der bis Ende Juni für die zweite Periode des Emissionszertifikatehandels von 2008 bis 2012 vorgelegt werden muß. "In der ersten Runde haben die Unternehmen die Emissionszertifikate zum größten Teil kostenlos erhalten", stellte WWF-Expertin Regine Günther fest. "Trotzdem wurden die Zertifikatspreise auf die Strompreise umgelegt und in großem Maßstab Extragewinne erzielt." Nach Berechnungen des WWF kassieren die fünf größten deutschen Stromerzeuger RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW und Steag in den beiden ersten Phasen des Emissionshandels von 2005 bis 2012 zusätzliche Gewinne in Höhe von 31 bis 64 Milliarden Euro. Dies sein ein Vielfaches der von der Branche angekündigten Investitionen von 11,6 Milliarden Euro. Die Drohung der großen Stromkonzerne, bei einem anspruchsvollen Rahmen für den Klimaschutz nicht mehr investieren zu können, sei deshalb haltlos.