Februar 2003

030201

ENERGIE-CHRONIK


Energierechtsnovelle liberalisiert Gasmarkt und wertet Verbändevereinbarungen rechtlich auf

Der Bundestag beschloß am 14. Februar 2003 mit den Stimmen der Regierungskoalition erneut die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes. Die fünf Artikel umfassende Novelle muß vor ihrem Inkrafttreten allerdings erst noch den Bundesrat passieren und - da mit dessen Einspruch in der nächsten Sitzung am 14. März zu rechnen ist - anschließend erneut vom Parlament gebilligt werden. Sie regelt den Zugang zu den Gasnetzen und bekräftigt den deutschen Sonderweg des verhandelten Netzzugangs durch rechtliche Anerkennung der sogenannten Verbändevereinbarungen als "gute fachliche Praxis". Als Gegengewicht zur Aufwertung der Verbändevereinbarungen sollen Verfügungen des Bundeskartellamts gegen Stromnetzbetreiber künftig sofort vollziehbar sein.

Das "Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts" war in der jetzigen Fassung bereits im Mai 2002 vom Parlament verabschiedet worden (020502). Wegen des Widerstands der unionsregierten Länder im Bundesrat konnte es aber nicht mehr vor den Bundestagswahlen über sämtliche parlamentarischen Hürden gebracht werden (020903).

Angesichts der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ist zu erwarten, daß die unionsregierten Ländern das Inkrafttreten des Gesetzes durch ihren Einspruch zwar erneut verzögern, aber keine nachträglichen Änderungen erwirken werden. Allerdings sind Komplikationen nicht auszuschließen: So könnte es sein, daß die Ablehnungsfront im Bundesrat durch SPD-regierte Länder verstärkt wird oder die Koalitionsparteien erneut Schwierigkeiten haben, ihre parlamentarische Mehrheit zur Überstimmung des Einspruchs des Bundesrats zu mobilisieren.  

Gas-Richtlinie mit zweieinhalb Jahren Verspätung umgesetzt

Das Gesetz betrifft hauptsächlich die Gaswirtschaft, deren Liberalisierung - anders als bei der Stromwirtschaft - von dem 1998 in Kraft getretenen Energiewirtschaftsgesetz bisher nur in groben Umrissen geregelt wird (980401). Es folgt dabei den Vorgaben der EU-Gasrichtlinie (971202), deren Umsetzung von der EU-Kommission bereits seit zweieinhalb Jahren angemahnt wird (000814). Seit Oktober 2000 ist deshalb gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig.

Wie bereits die Stromwirtschaft wird nun auch die Gaswirtschaft zu getrennter Rechnungslegung für Netz, Vertrieb und sonstige Aktivitäten verpflichtet (§ 9a). Ebenso wird das System des verhandelten Netzzugangs übernommen (§ 6a, Abs. 1) und das Bundeswirtschaftsministerium ermächtigt, den Netzzugang notfalls durch Rechtsverordnung zu regeln (§ 6a, Abs. 8). Die Errichtung einer Regulierungsbehörde für Gas bedarf jedoch ausdrücklich "einer gesonderten gesetzlichen Grundlage".  

Verbändevereinbarungen gelten als "gute fachliche Praxis"

Außerdem enthält das Gesetz eine rechtliche Aufwertung der sogenannten Verbändevereinbarungen, mit denen die Verbände der Strom- und Gaswirtschaft die Konditionen der Netznutzung festlegen. Die Bedingungen für den Zugang zum Stromnetz müssen nun "guter fachlicher Praxis" entsprechen (§ 6 Abs. 1). Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (011203) wird die Erfüllung dieses Kriteriums "vermutet". Analog wird auch die Verbändevereinbarung der Gaswirtschaft vom 3. Mai 2002 (010309) rechtlich aufgewertet (§ 6a, Abs.2). Beide Regelungen sind allerdings bis Ende 2003 befristet.

Schutzklausel bei Elektrizitätsimporten genauer gefaßt

Neben dem Energiewirtschaftsgesetz (Artikel 1) ändert die Novelle auch den Artikel 4 des 1968 in Kraft getretenen Energie-Artikelgesetzes: Die Schutzklausel gegen Elektrizitätsimporte aus nicht-liberalisierten Ländern wird präzisiert und das Bundeswirtschaftsministerium ermächtigt, diesbezügliche Kriterien zu bestimmen. Die bisherige Klausel zum Schutz der Braunkohleverstromung in den neuen Bundesländern entfällt. Stattdessen wird in dem neugefaßten Paragraphen § 3 das Bundeswirtschaftsministerium verpflichtet, bis Ende August 2003 dem Bundestag einen Bericht vorzulegen, der über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen informiert und gegebenenfalls auf dieser Basis Vorschläge für eine Verbesserung der Netzzugangsregelung und der wettbewerblichen Überwachung unterbreitet.

Kartellamtsverfügungen künftig sofort vollziehbar

Ferner ändert die Energierechtsnovelle das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen In § 64 Abs. 1 Nr. 2 dahingehend, daß bei Streitigkeiten um die Netznutzung die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Verfügungen der Kartellbehörde entfällt. Verfügungen des Kartellamts gegen Netzbetreiber sind damit künftig sofort vollziehbar.

Union und FDP kritisieren Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen

In der Bundestagsdebatte am 14. Februar 2003 versagten Union und FDP der Energierechtsnovelle ihrer Zustimmung, weil sie den Verbändevereinbarungen ein zu starkes rechtliches Gewicht verleihe und damit dem Bundeskartellamt trotz des eingeräumten Sofortvollzugs seiner Verfügungen die Hände binde. Ersatzweise forderten sie eine Regelung, wonach das Kartellamt die Einhaltung der Verbändevereinbarungen bei seinen Entscheidungen lediglich in jedem Einzelfall angemessen zu berücksichtigen hätte. Ein entsprechender Änderungsantrag der FDP-Fraktion wurde aber mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit abgelehnt.

Wörtlich sagte der CDU-Abgeordnete Rolf Bietmann in der Debatte: "Die Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen im Gesetz hat den Fehler, daß die Netzbetreiber in die komfortable Lage versetzt werden, ihre Interessen in den Verbändevereinbarungen aufgrund ihrer herrschenden Stellung am Markt maximal durchzusetzen, ohne die Kartellaufsicht fürchten zu müssen. Das, meine Damen und Herren, ist die klassische Rückkehr zur Monopolwirtschaft. Wettbewerb und damit verbundene Preissenkungen sind so ausgeschlossen."

Der SPD-Abgeordnete Rolf Hempelmann verteidigte dagegen die Gesetzesvorlage: "Wir wollen diese Verrechtlichung. Wir wollen sie vor allem deshalb, weil dies die einzige Chance ist, um auf Dauer unser deutsches System einer freiwilligen Verbändevereinbarung zu stabilisieren und in Brüssel langfristig Akzeptanz für diesen Weg zu finden. Wir müssen uns im übrigen klar darüber sein: Dies ist ein Weg, der in keinem anderen der Mitgliedsstaaten gegangen wird. Wenn man so will, ist dies ein deutscher Sonderweg."

VRE begrüßt Verabschiedung

Der Verband der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger in Deutschland (VRE) begrüßte die Verabschiedung der Energierechtsnovelle durch den Bundestag. "Wir sind zufrieden darüber, dass die Koalition Wort gehalten und den im Dezember eingebrachten Gesetzentwurf schnell verabschiedet hat", erklärte VRE-Geschäftsführer Wolf-Ingo Kunze. Der VRE vertritt die Interessen der Verbundnetzbetreiber und Regionalversorger. Er war im Mai 2002 aus der früheren "Arbeitsgemeinschaft Regionaler Energieversorgungsunternehmen" (ARE) und dem "Verband der Verbundwirtschaft" (VdV) hervorgegangen (020510).

Links (intern)