Empörung und Fassungslosigkeit angesichts der Massenschlächtereien des ersten Weltkriegs vereinte die Mitglieder der literarisch-expressionistischen Gruppe "Der Grüne Schrey" |
Anfang 1918 bildete sich in Mannheim ein Kreis von jungen Leuten, die sich zumindest in der Ablehnung des Krieges und des alten Regimes einig wußten. Es handelte sich um Literaten, Künstler, Studenten und Gymnasiasten, also einen Zirkel mit bildungsbürgerlichem Hintergrund. Da die meisten der jungen Leute knapp bei Kasse waren, traf man sich schließlich im Wartesaal dritter Klasse im Hauptbahnhof.
Vom expressionistischen Zeitgeist angehaucht, nannte sich die Gruppe "Der Grüne Schrey". Die Bezeichnung verfolgte keinen anderen Zweck, als auf sich aufmerksam zu machen und Fragen zu provozieren. Am 16. März 1918 veröffentlichte die Gruppe im "Stadt-Anzeiger", der den kulturellen Aktivitäten in Mannheim gewidmet war, ein "Programm des Grünen Schrey". Unter anderem wurden Dichterlesungen mit Fritz von Unruh, Kasimir Edschmidt, Franz Werfel und Walter Hasenclever angekündigt.
Ein Jahr später - die Monarchie war inzwischen zusammengebrochen, aber im Gebälk der neuen Republik krachte es noch gewaltig - fühlte sich die Gruppe ermutigt, eine eigene Zeitung herauszubringen. Rechtsanwälte, Ärzte und andere bildungsbürgerliche Kreise spendeten das erforderliche Geld. Ein besonders rühriges Mitglied war der Schauspieler und Geschäftsführer des Apollo-Theaters, Georg Kupfer(mann), der später die Piscator-Bühne in Berlin leitete, vor dem Nationalsozialismus in die USA emigrierte und nach dem Krieg in der DDR eine Zeitschrift herausbrachte. Weitere Mitglieder der Gruppe waren Franz Gustav Richter, später Redakteur der "Neuen Badischen Landes-Zeitung", und Dr. Ernst Hirsch (Pseudonym "Semper"), der später die "Neckar-Zeitung" redigierte.
Die erste Nummer des "Schrey" trug kein Datum und wurde bei der Handelsdruckerei Katz hergestellt. Das zweite Flughlatt erschien im April 1919 und wurde bei J. Ph. Walther gedruckt. Der Preis betrug zwanzig Pfennig. Redaktion und Verlag befanden sich in I 3, 19, in einem angemieteten Zimmer, das ein besser gestelltes Mitglied der Gruppe bezahlte.
"Der Schrey" präsentierte sich als ein Mixtum aus Kunst, Literatur und Politik. Er vertrat keine Partei und kein festes Programm. Er war eine lose Vereinigung von Idealisten, die sich hauptsächlich in der Negation einig waren; nämlich in der Ablehnung der alten, überlebten bürgerlichen Ordnung. Und die fassungslos darüber waren, wie es zur barbarischen Massenschlächterei des ersten Weltkriegs kommen konnte.
Eine der Ursachen glaubten sie in der Presse zu erkennen:
"Eine wohlorganisierte, gutbezahlte Pressemeute, die man wie tolle Hunde auf die Menschheit hetzte, brachte es fertig, den Verstand von vielen, vielen Millionen Menschen so zu verwirren, so krank zu machen, daß sie nicht mehr wußten, was sie taten, einander totschlugen."
"Der Schrey" erschien nicht viel länger als bis ins Jahr 1921. Der Zirkel schlief teils ein, teils verlief er sich. Der eine wurde Reklamezeichner, der andere Journalist, der dritte ging als Schauspieler an eine andere Bühne usw.