Dezember 1995 |
951201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Vorschläge der spanischen EU-Präsidentschaft zur Liberalisierung des Strommarktes (siehe 950903) sind vorerst gescheitert. In einem Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) legten Vertreter der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) und führender Unternehmen der Branche am 8.12. nochmals dar, daß die beabsichtigte Kombination des französischen "Alleinkäufermodells" mit einem "verhandelten Netzzugang" in den Nachbarländern keine gleichgewichtige Öffnung der Strommärke erbringen würde, sondern gravierende Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hätte. Rexrodt erklärte daraufhin, daß Deutschland der geplanten EU-Richtlinie auf der Tagung der EU-Energieminister - sie sollte ursprünglich am 14.12. stattfinden und wurde auf 20.12. verschoben -, nicht zustimmen könne. Er werde aber weiterhin am Ziel einer Liberalisierung der Strommärkte in Deutschland und Europa "mit Nachdruck" festhalten (VWD, 8.12. u. 19.12.).
Auch die Wirtschaftsminister Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens, Wolfgang Clement und Peter Fischer (beide SPD), hatten die Bundesregierung vor einer Zustimmung zum Richtlinien-Vorschlag der spanischen EU-Präsidentschaft gewarnt (Handelsblatt, 8.12.).
Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) bedauerte das Scheitern des spanischen Vorstoßes. Bei der versuchten Kombination des "Alleinkäufermodells" mit dem "verhandelten Netzzugang" habe es sich um einen "tragfähigen Kompromiß" gehandelt. Der VIK warf der VDEW vor, durch Beharren auf einer "totalen Vorabharmonisierung" am Ende "jede Integration zu verhindern".
Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) sieht rund 10 000 Arbeitsplätze in der deutschen Energiewirtschaft gefährdet, falls die geplante EU-Richtlinie verwirklicht würde. Es müsse zu "eklatanten Wettbewerbsverzerrungen" führen, wenn, wie dies der spanische Vorschlag vorsehe, zwar die französische EDF billigen Strom aus ihren Kernkraftwerken direkt an deutsche Abnehmer liefern dürfe, aber ihrerseits als "Alleinkäufer" ausländischen Stroms für französische Abnehmer auftrete und so weiterhin ein faktisches Monopol für den Strommarkt in Frankreich behalte (ADN, 7.12.).
Für den VDEW-Vorsitzenden Horst Magerl würde die Annahme des spanischen Vorschlags "zu zwei völlig verschiedenen und grundsätzlich unvereinbaren Wettbewerbsmodellen in der Europäischen Union führen". Das Ergebnis wäre ein "verzerrter Wettbewerb, den Deutschland mit Kapitalvernichtung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Stromwirtschaft bezahlen müßte". Zugespitzt formuliert könne man deshalb sagen: "Besser keine Richtlinie als diese." Magerl äußerte dies im Rahmen einer Pressekonferenz der VDEW zum Thema Kraftwerkskapazitäten, die am 6.12. in Essen stattfand.
Nach Darstellung des Handelsblatts (8.12.) ist sich die deutsche Stromwirtschaft nur in der Ablehnung des spanischen Vorschlags einig, nicht aber in der Frage eines deutschen Alleingangs zur Liberalisierung des Strommarkts. Unter der Überschrift "Magerl widerspricht Hartmann" verwies das Blatt auf Äußerungen des Veba-Chefs Ulrich Hartmann, der sich im November für die Aufhebung der Demarkationsverträge, die Ermöglichung von Stromdurchleitungen und die Abschaffung der exklusiven Konzessionsverträge ausgesprochen hatte. Demgegenüber habe der VDEW-Vorsitzende Horst Magerl jetzt in Essen zum Ausdruck gebracht, daß die Mehrheit der VDEW-Mitglieder von solchen Vorschlägen wenig wissen wolle, weil die Gewinner einer solchen Liberalisierung im wesentlichen die großen Stromversorger RWE Energie, die Veba mit ihrer Tochter PreussenElektra und die Viag mit dem Bayernwerk sein würden, während die kleineren Stromversorger davon eher Nachteile zu befürchten hätten.
Die Stuttgarter Zeitung (8.12.) bemerkte
zum selben Thema: "In der deutschen Stromwirtschaft knistert
es. In der Branche ist ein Streit um das drohende Ende des bisher
gültigen Vesorgungs-Monopols und den damit verbundenen Wettbewerb
ausgebrochen. Während Großkonzerne wie Veba und RWE
offenbar Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) in seinem
Vorhaben unterstützen, geltende Kartellschutz-Bestimmungen
auf jeden Fall zu lockern, zeigen sich die Vertreter der kleineren
Unternehmen unnachgiebig. Sie befürchten, dann von der kapitalkräftigen
Konkurrenz an die Wand gedrückt zu werden."