März 1993 |
930301 |
ENERGIE-CHRONIK |
Insgesamt 16 Politiker von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen sind am 19. und 20.3. zur ersten Beratung über einen neuen parteiübergreifenden Energiekonsens zusammengekommen. Die nächsten Beratungsrunden sollen am 3. und 27.5. sowie am 30.6. stattfinden. Die Teilnehmer vereinbarten die Bildung von zwei Arbeitsgruppen zu Fragen der Kernenergie bzw. des Einsatzes von Kohle. Der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) sagte nach dem achtstündigen Gespräch, daß nach wie vor ein "tiefer Dissens" in allen wesentlichen Punkte bestehe, welche die Nutzung der Kernenergie und der wünschenswerten Zusammensetzung des Energie-Mixes betreffen (FAZ, 22.3.; SZ, 22.3.; Handelsblatt, 22.3.; siehe auch 930204 u. 930205).
"Es wäre unrealistisch, schon kurzfristig die Lösung aller offenen Fragen zu erwarten", sagte der Veba-Vorstandsvorsitzenden Klaus Piltz in der Bilanzpressekonferenz seines Unternehmens zu den gegenwärtigen Bemühungen um einen neuen Energiekonsens. Wichtig sei, bei realistischer Einschätzung der Ausgangslage gemeinsame Wege zu finden. Wenn alles so bleibe, wie es ist, laufe dies auf den Ausstieg aus der Kernenergie in etwa 15 Jahren hinaus. Dieses Szenario halte er nicht für wünschenswert (Handelsblatt, 25.3.).
Nach Ansicht des RWE-Vorstandsvorsitzenden Friedhelm Gieske wird es bei den gegenwärtigen Gesprächen keinen allumfassenden energiepolitischen Konsens geben. Entscheidend sei jedoch, daß wenigstens programmatische Aussagen über den künftigen Energie-Mix herauskämen und außerdem in wichtigen Einzelfragen die Bausteine für einen Kompromiß zusammengefügt würden, meinte Gieske in einem Gespräch mit dem Handelsblatt (19.3.).
Für Bayernwerk-Vorstandsmitglied Eberhard Wild, der auch Beiratsvorsitzender des Informationskreises Kernenergie ist, kommt ein Verzicht auf die Kernenergie bei den laufenden Konsens-Gesprächen nicht in Frage. Vielmehr müßten die Verfechter des Ausstiegs "über ihren ideologischen Schatten springen und die ideologische Selbstblockade aufgeben". Kompromißmöglichkeiten sieht Wild jedoch beim endgültigen Verzicht auf die Wiederaufarbeitung von Brennelementen zugunsten der direkten Endlagerung und beim Verzicht auf die Produktion von Mischoxid-Brennelementen in Hanau (Handelsblatt, 24.3.; SZ, 24.3.; Welt, 24.3.).
Nach übereinstimmender Ansicht der Medien wird am Ende der jetzt begonnenen Gespräche kein Konsens über die Nutzung der Kernenergie stehen, möglicherweise aber eine Annäherung und Einigung in Teilfragen erzielt werden. Die Frankfurter Rundschau (19.3.) meinte: "Der Konsens über die Atomtechnik wird in dieser Legislaturperiode nicht zustandekommen. Die heimliche Chance liegt im breiter angelegten Themenkatalog. Alle fordern den rationelleren Umgang mit Energie und mehr Unterstützung für erneuerbare Energien." Die Süddeutsche Zeitung (22.3.) prophezeite: "Weil die Kernenergie streitig bleibt, wird man am Ende Vereinbarungen zu anderen energiepolitischen Teilfragen präsentieren, bei der Atomkraft aber so tun, als spiele sie in der Energiepolitik keine Rolle."
Nach Meinung des Handelsblatts (22.3.)
wären die Sozialdemokraten gut beraten, bei der Bewertung
der Nuklearenergie mehr Kompromißbereitschaft zu zeigen:
"Die energiepolitischen Grundpositionen der Bonner Koalition
eröffnen nämlich auch Spielräume für Sparinitiativen
und sehen eine verstärkte Förderung regenerativer Energien
vor. Damit werden auch die Chancen für eine kernenergiefreie
Zukunft verbessert."