Februar 1992 |
920201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) ist der am 29.1. erteilten Weisung von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), bis spätestens 5.2. das "Leerfahren" der Mischoxid-Fertigung im Hanauer Siemens Brennelementewerk zu genehmigen, nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen. Fischer bezeichnete die Weisung als "unverhältnismäßig und somit rechtswidrig" und forderte ihre Rücknahme. Töpfer kündigte daraufhin eine Klage gegen Fischer vor dem Bundesverfassungsgericht an, die er am 12.2. in Karlsruhe einreichte, nachdem sie zuvor vom Bundeskabinett gebilligt worden war. Mit der Klage will Töpfer feststellen lassen, daß das Land Hessen durch seine Weigerung, die Weisung fristgerecht zu vollziehen, gegen Artikel 85 Abs. 3 des Grundgesetzes verstoßen und sich damit verfassungswidrig verhalten habe. Nach Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts wird über die Klage am 24.3. mündlich verhandelt (Handelsblatt, 4.2., FR, 4.2.; dpa, 6.2.; FAZ, 13.2.; dpa, 24.2.; siehe auch 920101).
Am 8.2. demonstrierten rund 600 Menschen in Hanau gegen die Weisung Töpfers an Fischer und für die Stillegung der Hanauer Nuklearanlagen. Aufgerufen hatten der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und die Initiativgruppe Umweltschutz Hanau. Töpfer und Fischer setzten ihre Auseinandersetzung am 12.2. vor dem Umweltausschuß des Bundestages fort. Der SPD-Umweltexperte Harald Schäfer forderte dabei Töpfer auf, seine Weisung zum Leerfahren der Anlage zurückzunehmen (Welt, 10.2.; FAZ, 20.2.).
Am 14.2. erhob die Firma Siemens Schadenersatzklage. Sie will durch das Landgericht Wiesbaden feststellen lassen, daß das Land Hessen verpflichtet sei, Ersatz für jeden verzögerungsbedingten Schaden zu leisten. Die Firma beziffert den Umsatzausfall auf mehrere hunderttausend Mark täglich (SZ, 15.2.; FAZ, 15.2.).
Ebenfalls am 14.2. erklärte Fischer, er habe die von Töpfer verlangte Genehmigung erteilt. Sie sei allerdings befristet: Die Erlaubnis zum Leerfahren der Anlage könne rückgängig gemacht werden, sobald die Möglichkeit bestehe, das in Hanau lagernde Plutonium-Gemisch gefahrlos zu lagern (SZ 15.2.; FR, 15.2.).
Der hessische Landtag wies am 19.2. mit den Stimmen von SPD und Grünen einen Antrag von CDU und FDP zurück, das Verhalten Fischers zu mißbilligen. Die Opposition warf Fischer vor, die Verfassung gebrochen zu haben. Ministerpräsident Eichel (SPD) erklärte dagegen, Fischer habe sich um die Sicherheit der Bürger verdient gemacht. Fischer selbst behauptete, er habe "90 Prozent des materiallen Gehalts der Weisung" sofort ausgeführt und es Siemens ermöglicht, mit Maßnahmen zur Vorbereitung des Leerfahrens zu beginnen (dpa, 19.2.; FAZ, 20.2.).
Die Süddeutsche Zeitung (8.2.) meinte
zu Töpfers Gang nach Karlsruhe: "Der Bonner Umweltminister
kann Karlsruhe mit einiger Gelassenheit anrufen, denn mit dem
Kalkar-Urteil zur Weisungskompetenz des Bundes gegenüber
den Ländern haben die obersten Richter dem Bund den Rücken
gestärkt. Wer meint, daß Töpfer hier mit Kanonen
auf Spatzen zielt, der irrt. Der Bonner Minister verfährt
nach dem Motto ëWehret den Anfängení. Töpfer
weiß, daß der Streit um die vorläufige Wiederinbetriebnahme
der MOX-Produktion in der alten Anlage nur der Auftakt zu einem
langwierigen Kampf um Hanau sein wird. In einem zweiten Schritt
wird es dort um den Dauerbetrieb gehen, in einem dritten um den
geplanten Neubau. Und Hanau ist nicht irgendein Betrieb, sondern
ein Schlüsselelement im System der deutschen Kernenergie-Entsorgung."