Juli 2025 |
250704 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Der 2005 gestartete Handel mit Emissionszertifikaten für Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen blieb bis 2018 weitgehend wirkungslos, weil ein hoher Überschuss an Zertifikaten bestand und die Emissionsberechtigungen deshalb viel zu billig waren (siehe Hintergrund, November 2017). Erst am Ende der 2013 begonnenen dritten Handelsperiode begannen allmählich die 2018 beschlossenen Reformen zu wirken, zu denen vor allem die "Marktstabilisierungsreserve" (MSR) gehört (180210). In der 2021 begonnenen vierten Handelsperiode erreichte dann der Preis für ein Zertifikat, das zur Emission einer Tonne CO2-Äquivalent berechtigt, sogar bis an die 100 Euro. Ende Juli lag er bei etwas über 70 Euro. Die vierte Handelsperiode geht bis 2030. Sie umfasst zwei Zuteilungsperioden, deren erste zum Ende dieses Jahres ausläuft. |
Deutschland löscht erstmals Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandel, um zusätzlich zu der seit 2019 geltenden "Marktstabilitätsreserve" (180210) den Klima-Effekt des gesetzlichen Kohleausstiegs abzusichern. Die Löschung wird ab September bis Jahresende erfolgen. Sie wird durch eine Minderung der regulären deutschen Auktionsmengen vorgenommen, die sich vorläufig für das Gesamtjahr 2025 auf 96.764.500 Zertifikate beläuft. Dies gaben das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit am 25. Juni in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt.
Insgesamt werden Zertifikate im Umfang von 514.000 Tonnen CO2 vom Markt genommen. Grund der Aktion ist die nach dem Kohleausstiegs-Gesetz erfolgte Abschaltung der Kraftwerksblöcke Neurath A und Frechen im Jahr 2022. Dadurch wurden im Folgejahr 2023 rund 890.000 Tonnen CO2 vermieden.
Ein erheblicher Teil der durch den Kohleausstieg freiwerdenden Zertifikate wird bereits automatisch durch die sogenannte Marktstabilitätsreserve (MSR) aus dem Markt genommen, die 2019 in Kraft trat (180210). Das reicht allerdings nicht aus, um den sogenannten "Wasserbett-Effekt" zu vermeiden, der bewirken kann, dass erfolgreiche Klimaschutzbemühungen auf nationaler Ebene zu zusätzlichen Emissionen innerhalb des gesamten ETS-Systems führen. Deshalb wurde 2018 zugleich beschlossen, dass Mitgliedsstaaten Emissionszertifikate aus ihrem Auktionsanteil löschen dürfen, wenn durch zusätzliche nationale Klimaschutzmaßnahmen wie die Stilllegung von Kohlekraftwerken die Nachfrage für Zertifikate sinkt. Zur Begründung hieß es in der Richtlinie EU 2018/410:
"In Anerkennung der Wechselwirkung zwischen Klimaschutzmaßnahmen auf Unionsebene und auf nationaler Ebene sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Zertifikate aus ihrem Versteigerungsvolumen im Falle der Schließung von Stromerzeugungskapazitäten in ihrem Hoheitsgebiet zu löschen. Um die Vorhersehbarkeit für die Betreiber und Marktteilnehmer im Hinblick auf die Menge der verfügbaren zu versteigernden Zertifikate zu gewährleisten, sollte die Möglichkeit der Löschung von Zertifikaten in solchen Fällen auf eine Menge begrenzt werden, die dem Durchschnitt der geprüften Emissionen aus der betreffenden Anlage während eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Schließung entspricht."
Der EU-Richtlinie 2003/87/EG wurde deshalb in Artikel 12 Absatz 4 folgende Regelung angefügt:
„Im Fall der Stilllegung von Stromerzeugungskapazitäten in ihrem Hoheitsgebiet aufgrund zusätzlicher nationaler Maßnahmen können die Mitgliedstaaten Zertifikate aus der Gesamtmenge der Zertifikate, die von ihnen gemäß Artikel 10 Absatz 2 zu versteigern sind, maximal in Höhe der Durchschnittsmenge der geprüften Emissionen der betreffenden Anlage während eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Stilllegung löschen. Der betreffende Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über eine derartige beabsichtigte Löschung gemäß den nach Artikel 10 Absatz 4 erlassenen delegierten Rechtsakten.“
Ein halbes Jahr später verabschiedete die Bundesregierung die Novellierung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes. Dabei machte sie von der Möglichkeit Gebrauch, die klimaschützende Wirkung des geplanten Kohle-Ausstiegs durch Berücksichtigung der Neuregelung abzusichern (180813). Trotzdem gab es weiterhin Befürchtungen, dass der Kohleausstieg zum "Schlag ins Wasserbett" werden könnte (190603).
Vor allem gab es aber Kritik an der vorläufigen Nichtanspruchnahme der Löschungsmöglichkeit, nachdem bereits zahlreiche Kohlekraftwerke stillgelegt wurden. So hatte das "Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft" (FÖS) im Dezember 2023 eine Analyse vorgelegt, der zufolge es für die im Jahr 2021 stillgelegten Kohlekraftwerke möglich gewesen wäre, Zertifikate von bis zu 118 Millionen Tonnen CO2 aus der nationalen Versteigerungsmenge zu löschen. Stattdessen habe die Bundesregierung die durch die "Marktstabilitätsreserve" erfolgenden Löschungen für ausreichend gehalten. Auf diese Weise habe der Staat zwar durch den Verkauf der Zertifikate Einnahmen in Höhe von bis zu 9,6 Milliarden Euro erzielen können, die in den "Klima- und Transformationsfonds" flossen. Andererseits hätten jedoch durch eine Löschung der Zertifikate "Klimaschadenskosten in Höhe von bis zu 23,3 Milliarden vermieden werden können" (PDF).
Die Ökoenergiegenossenschaft "Green Planet Energy", die das FÖS mit der Studie beauftragt hatte, forderte am 14. Dezember 2023 die Bundesregierung auf, wenigstens die Zertifikate für die 2022 stillgelegten Kohlekraftwerke Neurath A und Frechen in Brüssel zur Löschung anzumelden, was nur noch bis Jahresende möglich sei. Anscheinend ist dieser Appell bei der damaligen Ampel-Regierung nicht auf taube Ohren gestoßen, obwohl die erwarteten Einnahmen des Klimafonds durch das Bundesverfassungsgericht soeben um 60 Milliarden Euro gekürzt worden waren (231101).
In der jetzt veröffentlichten gemeinsamen Mitteilung des Bundesumweltamts und des Umweltministeriums wird auf solche Hintergründe nicht eingegangen. Es wird lediglich in Aussicht gestellt, weitere Löschungen auf nationaler Ebene vorzunehmen, sofern die im Rahmen der "Marktstabilitätsreserve" (MSR) erfolgenden Löschungen nicht ausreichen sollten (was eine Ermessensentscheidung ist, die nur Spezialisten beurteilen können):
"Der Kohleausstieg wird in den Folgejahren zu weiteren Minderungen klimaschädlicher Emissionen führen. Auch diese werden gemäß den gesetzlichen Vorgaben regelmäßig durch nationale Löschungen flankiert, sofern die Löschung nicht bereits durch die MSR erfolgt. Ziel dieser Maßnahme ist es, den sogenannten 'Wasserbetteffekt' zu verhindern: Ohne zusätzliche Löschung könnten die freigewordenen Zertifikate dazu genutzt werden, an anderer Stelle in der Europäischen Union und weiteren Ländern, die dem Handelssystem angehören (Island, Norwegen, Liechtenstein) mehr CO2 zu emittieren. Die mit dem Kohleausstieg verbundene Emissionsminderung könnte so nicht vollständig realisiert werden. Die Löschung garantiert somit, dass der Klimaschutzeffekt des Kohleausstiegs über den Emissionshandel nachhaltig abgesichert wird."
zur Reform des bis 2018 wirkungslos gebliebenen EU-Emissionshandels