August 2023 |
230810 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der japanische KKW-Betreiber Tepco begann am 25. August mit der Entsorgung von mehr als 1,3 Millionen Tonnen Kühlwasser, die sich seit der Katastrophe vom 11. März 2011 (110301) in mehr als tausend Tanks beim Kernkraftwerk Fukushima angesammelt haben. Durch eine dosierte Einleitung in den Pazifischen Ozean, die voraussichtlich drei Jahrzehnte beanspruchen wird, soll in den Tanks neuer Platz für radioaktiv verseuchtes Kühlwasser geschaffen werden, da drei zerstörte Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima 1 weiterhin ständig gekühlt werden müssen. Andernfalls käme es zu einer vollständigen Kernschmelze, die sich durch den Sicherheitsbehälter und den Boden der Reaktorgebäude fressen würde und unkalkulierbare Folgen hätte. Das kontaminierte Wasser stammt teilweise auch aus dem verseuchten Grundwasser unter den Reaktorblöcken.
Durch eine vorgeschaltete Aufbereitung wird das Wasser zwar von den meisten radioaktiven Isotopen weitgehend befreit, nicht aber von dem ebenfalls radioaktiven Wasserstoff-Isotop Tritium, dessen Abtrennung wegen seiner engen chemischen Verwandtschaft mit Wasser sowie der enormen Mengen und des geringen Tritiumanteils als praktisch unmöglich gilt. Nach Angaben von Tepco hat das Wasser in den Tanks eine Radioaktivität von 730.000 Becquerel pro Liter. Vor der Einleitung in den Pazifik wird es mit Meerwasser auf eine Aktivität von rund 1500 Becquerel verdünnt. Damit liegt es weit unter dem in Japan geltenden Grenzwert von 60.000 Becquerel pro Liter. Die Einleitung des verdünnten Wassers erfolgt durch eine Röhre, die rund einen Kilometer lang ist.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) hat unter diesen Umständen keine Einwände gegen das von Japan gewählte Verfahren. "Die IAEO-Experten sind vor Ort, um der internationalen Gemeinschaft als Augenzeugen zu dienen und sicherzustellen, dass die Einleitung wie geplant und im Einklang mit den Sicherheitsstandards der IAEO erfolgt", erklärte IAEO-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi am 24. August. "Durch unsere Anwesenheit tragen wir dazu bei, das nötige Vertrauen zu schaffen, dass der Prozess auf sichere und transparente Weise durchgeführt wird." Die IAEO werde weiterhin vor Ort präsent sein, solange das aufbereitete Wasser eingeleitet wird. Außerdem habe sie ab diesem Tag eine Webseite eingerichtet, auf der sich die von Tepco übermittelten Daten zu Wasserdurchfluss, Strahlungsüberwachung und Tritiumkonzentration nach der Verdünnung aktuell verfolgen lassen (HTML).
Laut den IAEA-Erläuterungen zu dieser Webseite, die weitgehend eine von Tepco entwickelte grafische Darstellung übernimmt, wird das Wasser aus den Tanks durch ein "Advanced Liquid Processing System" (ALPS) gefiltert, "um verschiedene Radionuklide unter die japanischen Normen zu senken". Diese Radionuklide würden demnach also nicht restlos herausgefiltert, wie es üblicherweise dargestellt wird, sondern lägen nur unter den japanischen Grenzwerten. "Einige Radionuklide wie Tritium können jedoch nicht entfernt werden", heißt es dann weiter. Neben Tritium dürfte damit das Radionuklid Kohlenstoff 14 gemeint sein, das als natürliches Kohlenstoffisotop in allen lebenden Organismen vorkommt, im übrigen aber harmlos ist und anhand seiner Halbwertszeit von 5730 Jahren vor allem für Altersbestimmungen von toten Organismen genutzt wird.
Gegenüber der "Tagesschau" des ARD-Fernsehens (23.8.) verwies der Strahlenschutz-Experte Clemens Walther (Universität Hannover) darauf, dass die Weltgesundheitsorganisation für Trinkwasser eine Obergrenze von 10.000 Becquerel pro Liter empfiehlt. Das von Tepco in den Pazifik eingeleitete Wasser liege also fast um das Siebenfache unter diesem Wert. Die geplante Obergrenze von 22 Terabecquerel pro Jahr entspreche ungefähr dem, was ein normaler Reaktor zur Stromerzeugung jährlich an die Umwelt abgebe. "Auch Reaktoren in China oder Südkorea leiten das ins Meer ein", sagte Walther weiter. "Die Anlage Fukushima Daiichi hat das während ihrer aktiven, betriebsbereiten Zeit vor 2011 ebenfalls getan. Es gibt Anlagen, wie zum Beispiel die Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague in Europa, die fast das Tausendfache pro Jahr in das Meer ableiten. Und dort ist das ein völlig akzeptierter Vorgang."
Dennoch löste der Beginn der Einleitung erhebliche Proteste aus. Die japanische Fischereiwirtschaft befürchtet Einbußen beim Absatz von Fisch und anderen Meeresprodukten. Vor allem der Ware aus der Umgebung von Fukushima droht die Verdächtigung, radioaktiv verseucht zu sein, auch wenn dies gar nicht zutrifft. Tepco hat angekündigt, diese Besorgnis sehr ernst zu nehmen und einen Sonderbeauftragten ernannt, der sich um solche Beschwerden kümmert.
Eindeutig politisch motiviert ist dagegen der ungewöhnlich heftige heftige Protest Chinas. Die Regierung in Peking verurteilte die Einleitung als "extrem egoistisch" und "unverantwortlich", obwohl sie ihre 49 Leistungsreaktoren alle entlang der Küste am Pazifik betreibt und damit sicher mehr Tritium ins Meer einleitet als Japan. Wie willkürlich und leichtfertig die Chinesen mit den Sicherheitsvorkehrungen gegen eine radioaktive Belastung der Umwelt umgehen, zeigte vor zwei Jahren die Affäre um das Kernkraftwerk Taishan, wo die zulässige Radioaktivitätsabgabe an die Atmosphäre einfach verdoppelt wurde, um den Reaktor ohne Unterbrechung oder Leistungsminderung weiter betreiben zu können (210604).
Die Regierung in Peking verhängte ein Einfuhrverbot für alle Fischereierzeugnisse
aus Japan, weil das Wasser nun "nuklear verseucht" sei. Offenbar will sie den
Anlass nutzen, um das Verhältnis mit Tokio, das aus anderen Gründen
schon sehr angespannt ist, noch einen Dreh zu verschärfen. Unter dem Einfluss
dieser Propaganda gab es in China sogar Aufrufe zum Boykott japanischer Produkte
und zur Stornierung von Reisen nach Japan. Nach Steinwürfen auf die japanische
Botschaft und japanische Schulen in China hat man in Tokio den chinesischen
Botschafter einbestellt. Wie Regierungschef Fumio Kishida mitteilte, wurde Peking
"nachdrücklich aufgefordert, das chinesische Volk aufzurufen, ruhig und verantwortungsbewusst
zu handeln".