Februar 2023

230209

ENERGIE-CHRONIK


Frankreich will mit Atomstrom erzeugten Wasserstoff als "grün" anerkannt wissen

Die französische und die deutsche Regierung sind unterschiedlicher Auffassung, wie eine gemeinsame Erklärung auszulegen ist, die sie anlässlich des 60. Jahrestags des Élysée-Vertrags am 22. Januar unterzeichnet haben. Und zwar will die französische Seite solchen Wasserstoff, der mit Strom aus Kernenergie erzeugt wird, ebenso als "grün" anerkannt sehen wie jenen, bei dem die Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen erfolgt. Die Bundesregierung lehnt es dagegen ab, beide Arten der Elektrolyse als gleichwertig einzustufen, weil das den energie- und klimapolitisch bedeutsamen Unterschied zwischen Atomstrom und Grünstrom aufheben würde. Ein derartiges Zugeständnis lasse sich auch nicht der gemeinsamen Erklärung zum 60. Jahrestag entnehmen. Tatsächlich wird in diesem Papier der mit Atomstrom erzeugte Wasserstoff zwar unter der kryptischen Bezeichnung "kohlenstoffarmer Wasserstoff" erwähnt, aber keineswegs mit grünem Wasserstoff gleichgestellt, wie das die französische Regierung aus den teilweise schwammigen Formulierungen herauslesen möchte.

Aus Verärgerung drohte Paris sogar mit dem Stopp der Verlängerung der H2Med-Pipeline nach Deutschland

Konkret geht es um jenen Passus der gemeinsamen Erklärung, in dem die bisherige Zusammenarbeit auf dem Gebiet Energie durch eine hochrangige Arbeitsgruppe bestätigt und außerdem die Einrichtung einer speziellen Arbeitsgruppe zum Thema Wassserstoff vereinbart wurde. Beide Arbeitsgruppen sollen bis Ende April "Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu unseren strategischen Entscheidungen in Bezug auf die Entwicklung von Wasserstoff" vorlegen. Dann geht es folgendermaßen weiter:

"In Anerkennung der Unterschiede zwischen unserer jeweiligen nationalen Energieerzeugung werden wir auf ein gemeinsames Verständnis und einen Strategie-Fahrplan hinarbeiten, um Wasserstofferzeugung in großem Umfang zu ermöglichen und einen widerstandsfähigen europäischen Wasserstoffmarkt aufzubauen, der auf einer soliden lokalen Produktion und den erforderlichen nachhaltigen Importen fußt. Wir werden außerdem sicherstellen, dass sowohl erneuerbarer als auch kohlenstoffarmer Wasserstoff bei den europäischen Dekarbonisierungszielen berücksichtigt werden kann, wobei wir deren Unterschiede anerkennen und das allgemeine Ambitionsniveau der Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien halten werden. Wir werden ferner die notwendigen Maßnahmen mit Blick auf einen „European Hydrogen Backbone“ für den Transport von Wasserstoff durch ganz Europa treffen, einschließlich der erforderlichen nationalen und grenzüberschreitenden Wasserstoffinfrastruktur und insbesondere der Ausweitung und Anbindung bestehender und geplanter Infrastrukturen, auch der Verlängerung der H2Med-Pipeline nach Deutschland."

Aus Verärgerung darüber, dass die Bundesregierung ihre Auslegung des Textes nicht anerkennt und einer entsprechenden Neufassung der Erneuerbaren-Richtlinie (RED III) nicht zustimmen wird, drohte laut FAZ (14.2.) die französische Seite sogar mit dem Stopp der im letzten Satz erwähnten "Verlängerung der der H2Med-Pipeline nach Deutschland". Nachdem Frankreich im Oktober vorigen Jahres das Projekt einer durchgehenden Erdgas-Pipeline-Verbindung von Spanien nach Deutschland scheitern ließ (221006), ist das möglicherweise keine leere Drohung.

EU-Kommission öffnet Hintertür zur Grünfärbung von Atomstrom

Mit zwei sogenannten delegierten Rechtsakten, die sie am 13. Februar aufgrund der Erneuerbaren-Richtlinie vorlegte, hat die EU-Kommission jedoch eine Hintertür geöffnet, durch die in Gegenden mit hohem Kernenergie-Anteil auch der Atomstrom bei der Erzeugung von "grünem" Wasserstoff berücksichtigt werden darf. Voraussetzung ist, dass in solchen "Gebotszonen" bei der Stromerzeugung im Schnitt weniger als 18 Gramm Kohlendioxid pro Megajoule anfallen. Von Kernenergie ist natürlich keine Rede, aber faktisch ist das als Schlupfloch für Frankreich und andere Staaten mit hohem Kernenergie-Anteil wie Schweden gedacht. Voraussetzung bleibt, dass ein langfristiger Vertrag über die Belieferung mit Strom aus erneuerbaren Energien aus dieser Region abgeschlossen wurde. Wenn dann der Wind nicht genügend weht, darf die Lieferverpflichtung auch mit Atomstrom erfüllt werden.

Klarheit und Verständlichkeit sehen anders aus

Da die EU-Kommission ihre Gesetzestexte überaus abstrakt und unverständlich formuliert, kommt das natürlich so nicht zum Ausdruck. Auch die acht "Fragen und Antworten zu den delegierten Rechtsakten der EU über erneuerbaren Wasserstoff", die sie fürsorglicherweise für Normalmenschen bereitstellt, helfen da nicht viel weiter. Unter Punkt 6 findet man zwar durchaus die Frage: "Gilt Wasserstoff, der aus Kernenergie erzeugt wird, im Rahmen dieser delegierten Rechtsakte als 'erneuerbar'?" Die Antwort beginnt dann aber mit der genauso beruhigenden wie mißverständlichen Auskunft: "Die vorgeschlagenen delegierten Rechtsakte stammen aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, in der die Kernenergie nicht unter den erneuerbaren Energiequellen aufgeführt ist." Dann wird noch auf eine Definition von "CO2-armem Wasserstoff" verwiesen sowie auf die Absicht, bis zum 31. Dezember 2024 in delegierten Rechtsvorschriften eine Methode zur Bewertung der Treibhausgaseinsparungen von "CO2-armen Kraftstoffen" festzulegen. Klarheit und Verständlichkeit sehen anders aus.

Beide Kommissionsvorschläge lagen bis Ende Februar nur in englischer Fassung vor. Sie werden zu unmittelbar geltendem EU-Recht, sofern eine Mehrheit der Mitgliedsstaten oder des Parlaments keinen Einspruch erhebt.

 

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