November 2022 |
221107 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundeskartellamt hat am 28. November einen Zwischenbericht zu seiner noch laufenden Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene für Kraftstoffe vorgelegt (PDF). Den Anstoß zu der Untersuchung gab "die nachhaltige Entkopplung der Tankstellenpreise von der Entwicklung des Rohölpreises in den Wochen und Monaten nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine", wie die Behörde den Sachverhalt umschreibt, der weithin für Empörung sorgte. So konnte sich jeder Autofahrer leicht ausrechnen, wie hoch der von Anfang Juni bis Ende August geltende Tankrabatt hätte sein müssen und was von der Steuerermäßigung tatsächlich übrig blieb. "Die Mineralölkonzerne streichen den Profit ein, die Verbraucherinnen und Verbraucher merken nichts von der Steuersenkung", befand deshalb der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dem das Bundeskartellamt untersteht. Und weil Habeck offenbar schon damals wusste, wie die von dem FDP-Mitglied Andreas Mundt seit 13 Jahren geleitete Behörde argumentieren würde, wollte er die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Kartellrechts noch in diesem Jahr in Angriff nehmen. Vor allem soll künftig schon der objektive Tatbestand oligopolistischer Strukturen mit nachteiligen Auswirkungen auf Verbraucherpreise und Wettbewerb das kartellrechtliche Eingreifen ermöglichen, ohne dass den Beteiligten konkrete Preisabsprachen nachgewiesen werden müssen (220605).
Aber noch ist es nicht soweit. Der Umfang des 121 Seiten umfassenden Zwischenberichts steht deshalb im umgekehrten Verhältnis zu seinem Erkenntniswert, falls man Beweise erwartet haben sollte, dass die Mineralölkonzerne die Energiekrise zur Erzielung exorbitanter Gewinne ausgenutzt haben. So ziemlich das einzige, was die Behörde wirklich nicht in Frage stellen will, ist die ungewöhnlich starke Entkopplung der Tankstellenpreise von der Entwicklung des Rohölpreises. Im übrigen sieht sie aber alle möglichen Gründe dafür, weshalb die Milliardengewinne den Mineralölkonzernen auch auf andere Weise in den Schoß gefallen sein könnten.
Das gilt selbst für die famose Idee, die Preisnotierungen für russische Erdgaslieferungen einfach auszusetzen, die vor knapp einem halben Jahr von der Preisagentur Platts in Abstimmung mit den Mineralölkonzernen realisiert wurde, nachdem die EU ihr halbherziges Ölembargo beschlossen hatte (221106). Dieser EU-Beschluss änderte vorläufig überhaupt nichts daran, dass weiterhin sehr große und sogar noch steigende russische Erdgas-Mengen am Markt waren, die sogar ganz legal an europäische Abnehmer geliefert werden konnten, weil das Embargo erst nach einem halben Jahr wirksam werden sollte. Die Einstellung der Notierungen für russische Gaslieferungen verhalf deshalb den Mineralölkonzernen zu Millionen an Mehreinnahmen auf dem europäischen Markt, da die von Platts angezeigte Preisbasis nun höher ausfiel als den tatsächlichen Preisen für russisches Erdgas entsprach (221106).
Dieser Sachverhalt war zumindest innerhalb der Branche überhaupt kein Geheimnis, zumal der Beschluss und die vorangegangene Abstimmung mit den Ölkonzernen auf der Internetseite von Platts nachzulesen waren. Allgemein bekannt wurde er aber erst Ende Oktober durch verschiedene Sendungen im ARD-Fernsehen. Die Redaktion des NDR bemühte sich zuvor bei ihren Recherchen vergebens um eine Stellungnahme des Bundeskartellamts. Die Behörde ließ lediglich wissen, das sie sich im Zuge ihrer laufenden Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene für Kraftstoffe auch die Preisinformationsagenturen anschauen werde.
Daher erstaunt es nicht, dass nun in dem Zwischenbericht zweimal die Preisinformationsdienste Platts und Argus erwähnt werden, die bei der Preisbildung "eine sehr bedeutende Rolle" spielen würden. Auf den im ARD-Fernsehen erhobenen Vorwurf will die Behörde aber auch jetzt nicht eingehen. Sie umschleicht ihn eher wie die Katze den heißen Brei, wenn sie schreibt:
"Auch das mögliche Vorliegen einer mißbräuchlichen Preissetzung kann derzeit nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Auch wenn die Margen- und Gewinnentwicklung erkennen lässt, dass Kostensteigerungen den Preisanstieg nicht vollumfänglich erklären können, können knappheitsbedingte Gründe diesen ausgelöst haben und sachlich rechtfertigen."
Schon rein sprachlich ist das ein recht aufschlußreicher Satz, indem er den logischen Begriff der Möglichkeit durch die unmögliche Konstruktion einer nicht zweifelsfrei feststellbaren Möglichkeit abzuschwächen versucht. Wenn etwas logisch möglich ist, besteht es ohne Widerspruch und kann deshalb zumindest gedacht oder gesagt werden. Aber das geht dem Kartellamt offensichtlich schon zu weit. Es will unbedingt zum Ausdruck bringen, wie unwahrscheinlich eine "mißbräuchliche Preissetzung" durch die Absprache zwischen der Agentur Platts und der von ihr bedienten Branche sei. Zugleich soll das Geschwurbel den Anschein einer absolut korrekten Abwägung erwecken. Zu der aufgeblähten Sprache passt übrigens auch das in amtlichen Texten schon notorisch gewordene Gender-Gaga, das im Zwischenbericht des Kartellamts solche zweigeschlechtlichen Sprachmonster wie "Branchenvertreterinnen und Branchenvertreter", "Verbraucherinnen und Verbraucher", "Endverbraucherinnen und Endverbraucher", "Endkundinnen und Endkunden" oder "Nachfragerinnen und Nachfrager" erzeugt.
Ähnlich relativierend und verunklarend sind andere Formulierungen. So will die Kartellbehörde – man höre und staune – "sogar Kartellrechtsverstöße" nicht ausschließen, falls legale und deshalb nicht strafbare "Preiserhöhungsspielräume der Anbieter" oder "strukturelle Einschränkungen des Wettbewerbs" keine hinreichende Erklärung liefern sollten:
"Für diese Preisentwicklung können verschiedene Gründe ursächlich sein. Hierzu zählen einerseits mögliche strukturelle Einschränkungen des Wettbewerbs, bestehende Verhaltens- und insbesondere Preiserhöhungsspielräume der Anbieter oder sogar Kartellrechtsverstöße in Form unzulässiger Absprachen oder des Missbrauchs potentiell bestehender marktbeherrschender Stellungen (kartellrechtsrelevante Ursachen)."
Endlich erfährt man, weshalb beim Tankrabatt etliche Cent nicht beim Verbraucher ankamen und weshalb das "zunächst" überhaupt keinen Grund zur Beanstandung bietet:
"Hinsichtlich der Auswirkungen der temporären Absenkung der Energiesteuer vom 1. Juni bis 31. August 2022 ('Tankrabatt') auf die Preisentwicklung ist zunächst zu berücksichtigen, dass selbst bei einem vollkommenen funktionsfähigen Wettbewerb eine produktbezogene Steuersenkung nur in extremen, für die Kraftstoffmärkte tendenziell nicht gegebenen Ausnahmefällen vollständig an die Abnehmer weitergegeben wird."
Im Lichte dieser Einschränkung gelangt das Bundeskartellamt folgerichtig zu der Erkenntnis, dass die Steuerermäßigung "überwiegend weitergegeben wurde" (was eigentlich niemand bezweifelt hat). Damit hat sich für die Behörde das Problem erledigt, weil – siehe oben – ein gewisser Schwund bei der Weitergabe von Steuerermäßgungen angeblich normal ist.
Mögliche Hinweise auf kartellrechtswidrige Verhaltensweisen empfinden die Kartellwächter sowieso eher als störend, weil sie nicht in den Rahmen einer Sektoruntersuchung passen würden:
"Mögliche Hinweise auf kartellrechtswidrige Verhaltensweisen wären gegebenenfalls aber erst im Rahmen förmlicher Verfahren kartellrechtlich zu prüfen und abschließend zu bewerten. Denn im Rahmen einer Sektoruntersuchung ist es grundsätzlich nicht möglich, eine möglicherweise bestehende marktbeherrschende Stellung oder einen konkreten Kartellrechtsverstoß einzelner Unternehmen rechtskräftig festzustellen. Eine Sektoruntersuchung richtet sich nicht gegen einzelne Unternehmen, sondern sie dient der Untersuchung und Analyse der Wettbewerbs- und Marktverhältnisse auf den betroffenen Märkten insgesamt."
Im Anschluss an diesen Zwischenbericht, der sich auf die Raffinerie-Ebene
konzentrierte, will das Bundeskartellamt die Wettbewerbsverhältnisse beim
Absatz von Kraftstoffen und leichtem Heizöl auf der Großhandelsstufe
untersuchen. Die Neugier auf den abschließenden Bericht dürfte sich in
Grenzen halten.
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