August 2022 |
220806 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die ab 1. Oktober geltende Gasumlage (220804) wird von allen Oppositionsparteien abgelehnt. Die Intentionen und die Begründung sind dabei unterschiedlich. Übereinstimmend wird aber von den Unionsparteien wie auch von der rechtsextremistischen AfD und der Linkspartei geltend gemacht, dass die jetzt beschlossene Lösung die Lasten der Gaskrise nur formal gleichmäßig auf alle Verbraucher verteile, faktisch aber einkommensschwache Haushalte in besonderer Weise benachteilige. Hinzu kommt noch das Argument, dass von der Umlage auch Unternehmen profitieren, denen die Verluste durch die Ersatzbeschaffung zugemutet werden könnten (220803).
Die Union hat bereits angekündigt, nach der Sommerpause des Parlaments einen Antrag auf unverzügliche Aufhebung der "Gaspreisanpassungsverordnung" zu stellen, die am 8. August im Bundesanzeiger verkündet wurde (HTML) und auf deren Grundlage die Berechnung der Gasumlage erfolgte. CDU-Generalsekretär Mario Czaja begründete diesen Beschluss am 24. August damit, dass die Gasumlage "handwerklich extrem schlecht gemacht" und unsozial sei, zumal rund zehn Prozent der angemeldeten Ansprüche "an Unternehmen gehen, die im ersten Halbjahr fast durchgängig hohe Gewinne gemacht haben".
Ein solcher Beschluss des Bundestags wäre nach § 26 Abs. 4 des Energiesicherheitsgesetzes tatsächlich möglich, sofern er binnen zwei Monaten erfolgt, nachdem das Parlament vom Inhalt der Verordnung in Kenntnis gesetzt wurde. Die Union hätte deshalb noch bis Anfang Oktober Zeit, einen solchen Antrag einzubringen. Allerdings wäre das ein reiner Schaufenster-Antrag, der gegen die 418 Stimmen der Regierungskoalition selbst dann keine Chance hätte, wenn zu den 197 Stimmen von CDU/CSU noch alle übrigen Stimmen von AfD (80), Linken (39) und Fraktionslosen (4) hinzukämen. Da sich die rechtsextreme AfD kaum die Chance entgehen lassen wird, einen derartigen Antrag demonstrativ zu unterstützen, wäre die Union schon deshalb gut beraten, von vornherein darauf zu verzichten.
In der Tat erhöht die nun beschlossene Gasumlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde die Mehrbelastung für einen Vier-Personen-Haushalt, der jährlich 20.000 Kilowattstunden für Heizen, Warmwasserbereitung oder Kochen verbraucht, nur auf der Gasrechnung einheitlich um etwa 480 Euro netto. Je nach Einkommen kann die dadurch entstehende Mehrbelastung aber doppelt oder mehrfach höher sein als bei einem gutverdienenden Vier-Personen-Haushalt. Dasselbe gilt für die enorme Verteuerung von Benzin und Diesel, die nur Gutbetuchte locker wegstecken – wobei die Mineralölkonzerne aber auch hier unverhältnismäßig von der dreimonatigen Reduzierung der Mehrwertsteuer profitieren konnten, die Ende August auslief. Zudem kam diese Steuersenkung sowieso nicht voll bei den Verbrauchern an, weil niemand die Konzerne daran hinderte, ihr faktisches Oligopol erneut zur Erzielung von Übergewinnen zu nutzen.
Man kann der Bundesregierung allerdings nicht schlechthin vorwerfen, solche Probleme ignoriert zu haben. Vielmehr haben besonders die grünen Kabinettsmitglieder wiederholt die Notwendigkeit einer weiteren Entlastung von Geringverdienern betont. Es sei jetzt "nicht die Zeit, wieder von unten nach oben zu verteilen, sondern wir müssen tatsächlich von oben nach unten verteilen", bekräftigte die Familienministerin Lisa Paus am 22. August. Am selben Tag begründete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im ZDF-"Morgenmagazin" die Dringlichkeit eines dritten Entlastungspakets mit der Notwendigkeit, "dass wir den demokratischen Grundkonsens halten müssen, indem wir einen sozialen Ausgleich schaffen". Den von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) favorisierten steuerlichen Inflationsausgleich hielt Habeck zwar für begründet, wollte aber doch klarstellen, dass in der derzeitigen Situation nicht alle Entlastungsvorschläge gleichermaßen wichtig seien. Tatsächlich war es die FDP, die bisher regelmäßig Vorschläge zur Unterstützung von einkommensschwachen Haushalten entweder ausbremste oder verwässerte.
Die Unionsparteien sind wie die FDP nicht gerade als Interessenvertretung
der Ärmeren bekannt. Sie begründen ihre Ablehnung der Gasumlage dennoch
mit einer scheinbar sehr rigorosen Haltung gegenüber privaten
Profitinteressen. Sie verwerfen die "saldierte Preisanpassung" sogar in
Bausch und Bogen, weil sie trotz des zehnprozentigen Abschlags auf die
geltend gemachten effektiven Mehrkosten zu einem geringen Teil auch
solchen Importeuren zugute komme, welche die verlustträchtige
Ersatzbeschaffung von russischem Gas verkraften könnten. Stattdessen
wollen sie nur solchen Unternehmen staatliche Hilfe zukommen zu lassen,
denen durch die Erfüllung ihrer vertraglicher Lieferverpflichtungen
tatsächlich die Insolvenz droht. Ein Blick auf die derzeit
anspruchsberechtigten Importeure zeigt allerdings, dass sich dadurch weder
am Kreis der Unterstützungsempfänger noch an den für sie verausgabten
Milliarden viel ändern würde: Die angemeldeten Ansprüche entfallen zu etwa
neunzig Prozent sowieso nicht auf private Profiteure, sondern auf
Unternehmen, die der öffentlichen Hand gehören oder bereits von ihr
gerettet werden mussten (220805). Natürlich
könnte der Staat nochmals tief in die Taschen des Steuerzahlers greifen,
um Uniper mit weiteren 15 Milliarden Euro am Leben erhalten und so die
Gasversorgung bis zum Frühjahr 2024 einigermaßen zu sichern. Sinnvoller
ist aber sicher, diese Unsummen, die letztendlich immer der Verbraucher
zahlen muss, über eine gezielte und sozial abgefederte Belastung des
Gasverbrauchs umzulegen. Andernfalls wären diese horrenden Ausgaben nicht
einmal mit einem Anreiz zur Gaseinsparung verbunden. Wahrscheinlich wäre
es auch kontraproduktiv, allen Importeuren von vornherein die
90-prozentige Erstattung der Mehrkosten für die Ersatzbeschaffung zu
verweigern, solange sie nicht vom Bankrott bedroht sind.