Februar 2022 |
220208 |
ENERGIE-CHRONIK |
RWE hat bei der Stromerzeugung inzwischen die Schwelle für eine marktbeherrschende Stellung überschritten. Die Abschaltung von drei weiteren Kernkraftwerken am Jahresende 2021 sowie der fortschreitende Kohle- und Atomausstieg verstärken die Marktstellung des Konzerns tendenziell weiter. Zu dieser nicht gerade überraschenden Feststellung gelangt das Bundeskartellamt in seinem dritten Marktmachtbericht, den es am 17. Februar veröffentlichte. Schon in seinem zweiten Marktmachtbericht, den es vor einem Jahr veröffentlichte, hatte es RWE knapp an der Schwelle der Marktbeherrschung gesehen und vermutet, dass der bevorstehende Kapazitätsrückbau infolge des Kohle- und Atomausstiegs bald zu deren Überschreitung führen könnte (201206). Genauso vorhersehbar und noch bedeutsamer war allerdings der Umstand, dass das gigantische Tauschgeschäft mit E.ON (180301) zu genau dieser Entwicklung führen musste. Trotzdem hatten die Kartellbehörden diese massive Konzentration der Stromerzeugung bei RWE sowie der Geschäftsbereiche Netz und Vertrieb bei E.ON im Februar 2019 sehenden Auges abgesegnet (190202). Quasi zur Beschwichtigung und als Trostpflaster beschloss das Bundeskartellamt lediglich, die Marktmachtverhältnisse in der deutschen Stromerzeugung künftig in einem kürzeren als dem gesetzlich vorgeschriebenen Rhythmus zu prüfen.
Nach § 53 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes gegen die Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) muss das Bundeskartellamt diesen Bericht mindestens alle zwei Jahre erstatten. Der nun vorliegende dritte Bericht deckt den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis einschließlich 30. September 2021 ab. Wie seine beiden Vorgänger konzentriert er sich wiederum auf den sogenannten Stromerstabsatzmarkt. Außerdem enthält er erstmals auch Angaben zu den Marktverhältnissen bei Regelenergie, die allerdings die bekannten Probleme mit den hier noch immer möglichen "Mondpreisen" völlig ausblenden und deshalb nicht befriedigen können (siehe 220209).
Die Berechnung von Marktanteilen kann grundsätzlich kapazitäts-, mengen-
oder wertbezogen erfolgen. Bei einer kapazitätsbezogenen Betrachtung
ergaben sich zum Stichtag 31. Dezember 2020 folgende Werte (in Klammern
die Vergleichszahlen aus dem ersten Marktmachtbericht vom Dezember 2019):
Unternehmen |
Erzeugungskapazität in GW
|
Marktanteil
|
RWE |
20,4 (22,9) |
22,0 % (25,1 %)
|
EnBW |
9,6 (7,8)
|
10,4 % (8,5 %)
|
LEAG |
7,9 (11,2)
|
8,4 % (12,3 %
|
Vattenfall |
7,5 (8,0)
|
8,1 % (8,7 %)
|
Uniper |
7,3 (5,6)
|
6,0 % (6,2 %)
|
Andere |
40,0 (35,7)
|
43,3 % (39,2 %)
|
Kapazitäten insgesamt |
92,6 (91,2)
|
100,0 % (100 %)
|
Beim Vergleich mit dem ersten Marktmachtbericht vor drei Jahren ist
demnach die Erzeugungskapazität von RWE im vergangenen Jahr um 2,4
Prozentpunkte gesunken. Der daraus errechnete Marktanteil ging sogar um
3,1 Prozentpunkte zurück. Angesichts von Kohle- und Atomausstieg
verwundert das nicht weiter und scheint eher noch wenig zu sein. Die so
ermittelten Marktanteile dürfen aber nicht einfach mit Marktmacht
gleichgesetzt werden. Nach Auffassung des Bundeskartellamts sind sie zur
Erfassung der Marktmachtverhältnisse auf dem Stromerstabsatzmarkt nur
eingeschränkt geeignet. Stattdessen verwendet die Behörde für dieses
Kriterium den Residual Supply Index (RSI), der im Zeitverlauf bemisst, ob
und inwieweit die Stromerzeugungskapazitäten eines Unternehmens
unverzichtbar für die Deckung der Nachfrage sind. Die Überschreitung der
Schwelle zur Marktbeherrschung sieht sie dann gegeben, wenn ein
Stromerzeuger in mehr als fünf Prozent der untersuchten Zeiträume für die
Bedarfsdeckung unverzichtbar bzw. "pivotal" war. Diese
"Vermutungsschwelle" sei nun von RWE erstmals klar überschritten worden,
heißt es. Auch bei LEAG und EnBW seien diese pivotalen Zeitanteile
gestiegen. Sie lägen hier aber noch immer eindeutig unter der für die
Marktbeherrschung angesetzten Vermutungsschwelle.
Im Berichtszeitraum kam es vermehrt zu Situationen, in denen der inländische Strombedarf über den Markt nicht mehr oder nur knapp ohne ausländische Kraftwerkskapazitäten hätte gedeckt werden können. Die Häufigkeit stieg von einem niedrigen Niveau (1,5 Prozent) auf mehr als das Doppelte (3,8 Prozent) und dürfte wegen der weiteren Kraftwerksabschaltungen weiter zunehmen. Solche Situationen ereigneten sich bislang insbesondere im Frühsommer, wenn auf Grund der in dieser Jahreszeit typischen Kraftwerksrevisionen ein wesentlicher Teil der inländischen Erzeugungskapazitäten nicht verfügbar war. Eine Aussage zur Versorgungssicherheit sei damit aber nicht verbunden, versichert das Bundeskartellamt, da inländische Reserven und die weiterhin verfügbaren ausländischen Kraftwerkskapazitäten außer Betracht bleiben.