Oktober 2021

211017

ENERGIE-CHRONIK


 


Von der Windkraftanlage bei Haltern blieb nur ein kurzes Reststück stehen. Die übrigen Teile des 164 Meter hohen Turms knickten samt Gondel und Rotor plötzlich ab und stürzten zu Boden. Wenige Stunden später hätte die offizielle Inbetriebnahme nachgeholt werden sollen. So kam aber niemand zu Schaden.
Foto: RAG Montan Immobilien

Neu errichtete Windkraftanlage brach plötzlich in sich zusammen

In einem Waldgebiet bei Haltern (Nordrhein-Westfalen) ist am 29. September ein neu errichtete Windkraftanlage aus noch ungeklärter Ursache plötzlich in sich zusammengebrochen (siehe Foto). Zwei Tage später kam es im selben Bundesland bei Neunkirchen zum Brand einer 19 Jahre alten Anlage, wobei das Maschinenhaus völlig zerstört und auch der Rotor beschädigt wurde. Am 15. Oktober ereignete sich im niedersächsischen Windpark Sande ein weiterer Brand, der eine 16 Jahre alte Anlage zerstörte. In allen drei Fällen entstanden zum Glück nur Sachschäden in Millionenhöhe. Dennoch werfen diese schweren Havarien erneut die Frage auf, ob für die technische Sicherheit der mittlerweile mehr als 30.000 landgestützten Windkraftanlagen in Deutschland genug getan wird.

Nordex hat vorläufig 22 weitere Anlagen desselben Typs außer Betrieb genommen

Am gravierendsten ist sicher der Einsturz der modernen Windkraftanlage bei Haltern, die erst seit kurzem in Betrieb war. Es handelt sich um den Typ N149/4.0-4.5, der mit einer Nabenhöhe von 164 Metern, einem Rotordurchmesser von 149 Metern und einer Nennleistung von 4,5 MW zu den derzeit größten Onshore-Anlagen zählt. Wie der Hersteller Nordex mitteilte, hat er vorsorglich alle identisch konfigurierten Anlagen vorläufig außer Betrieb genommen, bis nähere Erkenntnisse zur Ursache vorliegen. Insgesamt seien weitere 22 Anlagen betroffen, die ausschließlich in Deutschland installiert wurden oder sich in der Errichtung befinden. Dazu gehört auch eine zweite Anlage desselben Typs, die sich in 450 Meter Entfernung befindet. Beide zusammen bilden den Windpark "Haltern AV9", den die RAG Montan Immobilien gemeinsam mit den Stadtwerken Haltern in einem Waldgebiet südlich der ehemaligen Schachtanlage Auguste Victoria 9 errichtete und am 11. März in Betrieb nahm. Wegen der Corona-Pandemie gab es vorerst keine offizielle Einweihung. Diese sollte deshalb am 30. September nachgeholt werden. Zum Glück brach die Anlage etliche Stunden vorher zusammen. Andernfalls wären unter den Trümmern wahrscheinlich auch etliche Personen begraben worden.

Der abgeknickte Turm bestand größtenteils aus vorgefertigten Beton-Segmenten

Die Suche nach den Ursachen des Einsturzes dürfte sich auf die Konstruktion des Turms konzentrieren, der in etwa 40 Meter Höhe samt der Gondel mit Maschinenhaus und Rotor abgeknickt war. Insbesondere gilt dies für den unteren Turmabschnitt, der bis zur Höhe von 98,5 Meter aus vorgefertigten Beton-Segmenten mit achteckigem Grundriss besteht. Auf diesen werden dann noch zwei Stahlturm-Segmente mit 28,5 und 35 Meter Länge aufgesetzt. Bis zur Gondel, in der sich der Rotor mit der Nabe befindet, erreicht der Turm so die Gesamthöhe von 164 Metern. Das größte Betonsegment hat ein Einzelgewicht von 17 Tonnen. Das Gesamtgewicht des Turms einschließlich der zwei Stahlturm-Segmente beträgt rund 1.200 Tonnen. Um die Standsicherheit auch bei großen Windbelastungen zu gewährleisten, hat das Beton-Fundament ein Gewicht von rund 2.100 Tonnen.

Brennende Gondeln waren für die Feuerwehr zu hoch

Die beiden Brände betrafen dagegen die Maschinenhäuser von älteren Windkraftanlagen: Die GE-Anlage mit 1,5 MW, die am 1. Oktober bei der Gemeinde Neuenkirchen abbrannte, war schon 19 Jahre in Betrieb. Die Enercon E 48 mit 800 Kilowatt, die am 15. Oktober im Windpark Sande Feuer fing, war 16 Jahre alt. In beiden Fällen konnte die Feuerwehr die Flammen wegen der großen Höhe der Gondeln nicht löschen. Sie beschränkte sich deshalb auf die Absicherung der Umgebung, bis das Feuer von selber ausging.

MDR-Reportage zeigte umgeknickte Türme und qualmende Maschinenhäuser

Am 25. September widmete das MDR-Fernsehen eine Ausgabe seines Magazins "Echt" diesem Thema: Eindrucksvolle Aufnahmen zeigten umgeknickte oder schwer beschädigte Windkraftanlagen sowie die Flammen und Rauchfahnen von Gondelbränden. Die Aufnahmen entstanden in den Jahren 2016 bis 2019 an den WKA-Standorten Grischow, Sitten, Neu Wulmstorf, Zichow, Scholen, Rhede, Uplengen und Syke. Die Reportage vermied jedoch Panikmache, veranschaulichte das Innenleben einer modernen Windkraftanlage und relativierte die gezeigten Havarien unter Hinweis auf die hohe Gesamtzahl an WKA.

TÜV hält doppelt so häufige Überprüfung für erforderlich

In der Fernsehreportage kamen auch ein Vertreter des Verbands der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) sowie der Vorsitzende des Bundesverbands Windenergie (BEW), Wolfram Axthelm, zu Wort. Der TÜV-Sprecher nutzte die Gelegenheit, um eine doppelt so häufige Durchführung der "Wiederkehrenden Prüfung" zu fordern, die zusätzlich zur regelmäßigen Fernüberwachung, Inspektion und Wartung der WKA alle vier Jahre vorgeschrieben ist. Der BEW-Vorsitzende unterstrich dagegen, dass die Hersteller und Betreiber der millionenteuren Anlagen selber das allergrößte Interesse an einem störungsfreien Betrieb haben. VdTÜV und BEW liegen in dieser Frage schon seit längerem über Kreuz (200808). Der MDR-Reporter wollte sich dazu nicht den Hinweis verkneifen, dass eine Verdoppelung der "Wiederkehrenden Prüfung" für die TÜV-Branche natürlich ein gutes Geschäft wäre...

Havarien werden bisher nur von Windkraftgegnern systematisch erfasst

Woran es bisher tatsächlich fehlt, ist eine einigermaßen lückenlose Erfassung jener rund fünfzig größeren Havarien pro Jahr, von denen der VdTÜV bisher nur schätzungsweise ausgeht und die 0,17 Prozent des Gesamtbestandes entsprechen würden. Gemeint sind damit vor allem abknickende Türme, berstende Rotorblätter oder Brände, die ein Sicherheitsrisiko für Menschen und Umwelt bedeuten. Diese sowie kleinere Mängel werden bisher nur von Windkraftgegnern systematisch erfasst und veröffentlicht, soweit sie aus der Berichterstattung der Medien oder anderen Quellen bekannt werden. Die wahrscheinlich umfangreichste Liste dieser Art mit Quellenangaben wird auf der Internet-Seite des "Wattenrats" veröffentlicht und weist für das vergangene Jahr zwanzig Einträge auf. In den anderen Jahren seit 2002 waren es zwei bis 25 Einträge (siehe PDF).

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