August 2020

200808

ENERGIE-CHRONIK


Wie häufig sind Unfälle bei Windkraftanlagen?

In einem Artikel unter der Überschrift "Gefährliche Windräder" warf die "Frankfurter Allgemeine" am 26. August die Frage auf, wie häufig es Unfälle mit Windkraftanlagen gibt, die von keiner neutralen Stelle statistisch erfasst und von den Herstellern verschwiegen werden. "Gewöhnlich schweigen sie, wenn es mal wieder gekracht hat", schrieb der FAZ-Redakteur Michael Ashelm, der zum 1. Oktober als Sprecher des CDU-Politikers Alexander Lorz und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit ins hessische Kultusministerium wechselt. Der weltweit führende WKA-Hersteller Vestas habe jetzt in seinem Geschäftsbericht für das zweite Quartal 2020 Garantierückstellungen in dreistelliger Millionenhöhe ausgewiesen und auf Nachfrage bestätigt, dass sich diese "auf eine spezifische Reparatur und Aufrüstung einer begrenzten, wenn auch beträchtlichen Anzahl bereits installierter Blätter" beziehen. Dagegen habe er es im März noch abgelehnt, sich zu Materialmängeln an Flügeln des Vestas-Typs V136 zu äußern, die in zwei Windparks im Weserbergland und im Odenwald aufgetreten waren. Und auch jetzt wolle Vestas die Ergebnisse der Fehleranalyse "aus kommerziellen Gründen" nicht offenlegen, sondern lediglich Kunden und anderen Interessengruppen auf einer "Need-to-know-Basis" mitteilen.

Nach TÜV-Schätzung gibt es jährlich ein halbes Hundert gravierende Schäden

Sogar der Bundesverband Windenergie (BWE) verfügt über keine detaillierten Erkenntnisse zu Art und Häufigkeit von Defekten an Windkraftanlagen oder will sie zumindest nicht preisgeben. Vor zwei Jahren kam es deshalb zu einer Kontroverse mit dem Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV), der umfassendere Vorgaben für die Kontrolle von Windenergieanlagen gefordert hatte. Nach dessen Berechnungen gibt es jährlich in Deutschland rund fünfzig gravierende Schäden. Dabei seien Unfälle wie abknickende Türme, berstende Rotorblätter oder Brände nach Blitzschlag ein Sicherheitsrisiko für Menschen und Umwelt, zumal die Windparks immer näher an Straßen und Siedlungen heranrücken würden. Der TÜV-Verband forderte deshalb, die aktuell fast 30.000 Windkraftanlagen wie Tankstellen, Aufzüge oder Druckbehälter in den Regelungsbereich der Betriebssicherheitsverordnung aufzunehmen und mindestens alle zwei Jahre nach verbindlichen Vorgaben zu überprüfen.

Bundesverband Windenergie beruft sich auf spärliche Medien-Berichterstattung

Der Bundesverband Windenergie reagierte damals auf diese Forderung noch am selben Tag mit der Versicherung, dass die in Deutschland errichteten Windkraftanlagen mit einer technischen Verfügbarkeit von 98 Prozent den hohen Standard und die sehr hohe Qualität der sicherheitsrelevanten Prüfungen bestätigen würden. "Das bestehende Regelwerk ist umfassend und hat sich in der Praxis bewährt. Qualifizierte Prüfer und Sachverständige leisten eine hervorragende Arbeit. Weder die geringe Zahl der tatsächlichen Unfälle noch die faktischen Erkenntnisse aus den Prüfungen machen eine Änderung der gut etablierten Praxis erforderlich." Der vom VdTÜV geschätzten Zahl jährlicher Großschäden müsse "angesichts der wegen ihrer Sichtbarkeit durch die Medien gut dokumentierten Zahl von Unfällen" widersprochen werden. Der Verband verkniff sich außerdem nicht den Hinweis, dass es der TÜV-Branche wohl nur wieder mal um eine lukrative Erweiterung ihres Geschäftsbereichs gehe: "Hier werden Fakten negiert, um mit Ängsten den Boden dafür zu bereiten, eigene wirtschaftlich begründete Forderungen durchzusetzen. Dies untergräbt die hohe Glaubwürdigkeit der Prüforganisation."

Daran stimmt sicher, dass das einstige Ansehen der TÜV-Organisationen stark gelitten hat, seitdem sie in einem anscheinend unaufhaltbaren kommerziellen Expansiondrang in allen denkbaren Bereichen Prüfungen durchführen und Zertifikate erteilen, die nicht selten sehr fragwürdig sind (siehe Hintergrund, Mai 2015). Dass der BWE die vom VdTÜV geschätzte Zahl jährlicher Unfälle schon durch die nicht vorhandene oder sehr spärliche Medien-Berichterstattung widerlegt sieht, bewegt sich allerdings auf einem ähnlich windigen Niveau. So lassen sich keine "Fakten" begründen. Die müssten vielmehr erst durch eine genauso umfassende wie neutrale Statistik geschaffen werden.