September 2020 |
200902 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Betreiber neuer Windkraftanlagen dürfen den Gemeinden, auf deren Gemarkung sie tätig sind, künftig eine finanzielle Zuwendung gewähren. So sieht es die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vor, die das Bundeskabinett am 23. September beschloss (200901). Mit zweieinhalb Jahren Verzögerung verwirklicht die schwarz-rote Bundesregierung damit die Vereinbarung im Koalitionsvertrag vom Februar 2018, "die Standortgemeinden stärker an der Wertschöpfung von EE-Anlagen zu beteiligen" (180206). Für die Gemeindekassen ergeben sich so buchstäblich "Windfall-Profits", wie Ökonomen einen Zufallsgewinn bezeichnen, der lediglich auf unerwartete äußere Umstände zurückzuführen ist. In diesem Fall sind diese äußeren Umstände in der mangelnden Akzeptanz von Windkraftanlagen und den dadurch verursachten Standortproblemen zu suchen (siehe Hintergrund , November 2019).
Gegenüber dem Referentenentwurf, der mit Stand vom 14. September den betroffenen Verbänden und Unternehmen mit einer Frist von nur wenigen Tagen zur Stellungnahme vorgelegt worden war, erfuhr die vom Kabinett beschlossene Fassung bemerkenswerte Veränderungen. Dazu gehört vor allem der Verzicht auf die zunächst vorgesehenen "Bürgerstromtarife", mit denen die Akzeptanz von Windkraftanlagen bei den Einwohnern der jeweiligen Gemeinden direkt erhöht werden sollte. Die Koalitionsparteien wollten mit dieser Neuerung zusätzlich eine im Dezember 2019 im Vermittlungsausschuss getroffene Vereinbarung erfüllen, wonach die Anwohner von Windkraftanlagen an deren Erträgen beteiligt werden sollen (191202).
Nach der nunmehrigen Fassung des neuen § 36k im EEG dürfen Anlagenbetreiber, die bei künftigen Wind-Ausschreibungen einen Zuschlag erhalten, den von ihrem Projekt betroffenen Gemeinden für die Dauer der Förderung eine Art Schenkungsvertrag anbieten, der diesen pro Kilowattstunde erzeugter Windstrommenge bis zu 0,2 Cent zukommen lässt. Es steht beiden frei, solche Schenkungsverträge anzubieten bzw. sie anzunehmen. Die dadurch entstehenden Kosten einschließlich einer Aufwandspauschale von 5 Prozent dürfen sich die Windstromerzeuger von den Netzbetreibern erstatten lassen, die sie ihrerseits über die EEG-Umlage abwälzen.
Die Begrenzung der Zuwendung auf 0,2 Cent pro Kilowattstunde verfolgt einen doppelten Zweck: "Durch die Begrenzung der Höhe werden zum einen die Betreiber vor weiteren Forderungen der Kommunen geschützt; zum anderen werden die Kommunalvertreter vor zu hohen und nicht mehr zu rechtfertigenden Zahlungen geschützt", heißt es in der Gesetzesbegründung. Die Zahlungen würden erst nach der Inbetriebnahme der Projekte erfolgen und seien deswegen nicht Teil Genehmigungsprozesses. Sie seien in den kommunalen Haushalten als nicht-steuerliche Einnahmen zu verbuchen, weshalb Ansprüche aus dem kommunalen Finanzausgleich dadurch nicht geschmälert würden.
Ursprünglich war dagegen vorgesehen, die WKA-Betreiber zu einem solchen Angebot zu verpflichten, und zwar nur gegenüber der jeweiligen Standortgemeinde, auf deren Gemarkung ein Windpark oder eine einzelne Anlage errichtet wird. Sonstige angrenzende Gemeinden wären leer ausgegangen, obwohl sie womöglich noch stärker von dem Projekt betroffen sind. Bei einer Weigerung wäre den Anlagenbetreibern die zugebilligte Förderprämie um 0,25 Cent pro Kilowattstunde gekürzt worden.
Zugleich sollte es den WKA-Betreibern freigestellt sein, ungefähr die Hälfte dieser Windstrom-Abgabe für verbilligte "Bürgerstromtarife" zu verwenden, die sie den Einwohnern der Standortgemeinden anbieten. Die obligatorische Zahlung an die Gemeindekasse hätte sich dann auf 0,1 Cent pro Kilowattstunde verringert, sofern mit mindestens 80 Einwohnern ein "Bürgerstromtarif" vereinbart wird, der um mindestens zehn Prozent günstiger ist als der im jeweiligen Netzgebiet geltende Grundversorgungstarif. Bei Nichterreichen der Mindestanzahl von achtzig Verträgen hätten die WKA-Betreiber für jeden nicht abgeschlossenen Vertrag 100 Euro mehr an die Gemeinde zahlen müssen. Je nach Desinteresse hätten sich so deren Gesamteinnahmen neben den 0,1 Cent pro Kilowattstunde stufenweise wieder um bis zu 8000 Euro erhöht.
Vermutlich hätte ein so gearteter "Bürgerstromtarif" mehr Probleme aufgeworfen als gelöst, weshalb diese Änderung zugunsten der Gemeindekassen nicht zu bedauern ist. Vor allem blieb unklar, ob oder in welchem Umfang die WKA-Betreiber die dadurch entstehenden Kosten selber tragen müssen. Es hätte sicher für böses Blut gesorgt, den besonders betroffenen Einwohnern einer Standortgemeinde gezielt eine starke Subventionierung ihres Strompreises anzubieten, während andere Einwohner des Standorts oder diejenigen angrenzender Gemeinden nicht berücksichtigt werden. Ein generelles Angebot an sämtliche Bürger wäre hingegen nur in nächster Nähe zu einer zehnprozentigen Unterschreitung des Grundversorgungspreises zu realisieren gewesen, wie die gesetzliche Mindestvorgabe lautete. Und das hätte keine sonderlich zugkräftige Lösung ergeben: Nach Angaben der Bundesnetzagentur lagen die normalen Haushalts-Wahltarife im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 30,46 Cent/kWh sowieso schon um 4,4 Prozent unter dem entsprechenden Mittelwert von 31,94 Cent/kWh in der Grundversorgung. Das Vergleichsportal Verivox errechnete für April 2019 einen durchschnittlichen Grundversorgungspreis von 32,06 Cent/kWh, während die fünfzig günstigsten Wahltarife bei 27,47 Cent/kWh lagen. Vermutlich waren darunter auch viele Lockangebote mit Boni für einjährige Vertragsdauer (200916). Aber immerhin: Wer rechtzeitig kündigte und damit den Stromanbieter über den Tisch zog anstatt umgekehrt, konnte die durchschnittliche Einsparung gegenüber dem Grundversorgungstarif sogar auf 14,3 Prozent erhöhen.
In der Praxis hätten die Anlagenbetreiber diesen neuen Teil ihres Geschäfts, mit dem sie eigentlich gar nichts zu tun haben, sowieso einschlägig spezialisierten Stromvertrieben überlassen. Das Ergebnis wäre eine Sonderform des Marketings gewesen, die bei Anrainern den Eindruck erweckt, sie würden für die Nähe zu den Windkraftanlagen mit günstigem "Ökostrom" entschädigt, der "direkt vom Erzeuger" in die Steckdose geliefert wird. Unter diesen Umständen hätten sogar weitaus mehr als achtzig "Bürgerstromtarife" pro Anlage angeboten werden und dennoch profitabel sein können. Die holde Illusion, von einem Grünstrom-Erzeuger in Sichtweite quasi zu Outlet-Preisen versorgt zu werden, wäre ein Alleinstellungsmerkmal, über das die Stromwerbung bisher nicht verfügt. Allerdings darf sie dabei nicht explizit behaupten oder suggerieren, dass eine Direktbelieferung der Verbraucher stattfinde. Dies stellte soeben das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in einem Urteil fest, das auf Antrag der Frankfurter Wettbewerbszentrale dem Stromanbieter "Nordgröön" derartige Werbesprüche untersagt (200914).