April 2020

200403

ENERGIE-CHRONIK



Bis 2018 lag Enercon bei den neu installierten Land-Windkraftanlagen in Deutschland noch klar vor der dänischen Vestas, die in Europa und weltweit der Marktführer ist (siehe 191105). Das hat sich seit 2019 geändert. Der Zeitraum zwischen Genehmigung und Inbetriebnahme der Windenergieanlagen betrug 2019 im Durchschnitt knapp ein Jahr, so dass sich die Krise in den Auftragsbüchern von Enercon schon vor 2018 abgezeichnet haben dürfte.

Enercon und EWE planen gemeinsames Windenergie-Unternehmen

Das Windkraft-Unternehmen Enercon und der Kommunalkonzern EWE wollen ein gemeinsames Unternehmen gründen, in das sie ihre jeweiligen Bestände an Windkraftanlagen einbringen und das künftig neben deren Vermarktung auch die Entwicklung neuer Projekte übernimmt. Wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden Unternehmen vom 22. April hervorgeht, würde das Gemeinschaftsunternehmen Bestandsanlagen mit rund 2.500 Megawatt (MW) sowie eine Projektpipeline von ca. 2.300 MW umfassen. Das entspräche knapp fünf Prozent der gesamten WKA-Nennleistung, die Ende 2019 in den 16 Bundesländern installiert war (200107). Die Partner sollen über gleich große Anteile verfügen. Die unternehmerische Führung würde bei EWE liegen. Den Vorsitz des Aufsichtsrates übernähme die Aloys-Wobben-Stiftung, die Alleingesellschafterin von Enercon ist. Die Verhandlungen über weitere Details der Kooperation sollen im Laufe des Jahres abgeschlossen werden.

Der Kooperation ging eine jahrelange Konfrontation voraus

Der in Aurich ansässige WKA-Hersteller Enercon und der in Oldenburg beheimatete Kommunalversorger EWE sind beide in Niedersachsen verankert. Sie hatten auch schon immer Berührungspunkte im Stromgeschäft, da Enercon sich nicht auf die Herstellung und den Vertrieb von Windkraftanlagen beschränkt, sondern selber zahlreiche Windparks betreibt. Mit der 2013 erfolgten Gründung der Stadtwerke Aurich, bei der Enercon die treibende Kraft war und 40 Prozent der Anteile übernahm, wurde daraus ein eher feindseliges Konkurrenzverhältnis. Die Neugründung verfolgte nämlich das Ziel, die lokalen Strom- und Gasnetze der EWE zu übernehmen (131112). Dazu kam es aber nicht, da sich der Altkonzessionär sowohl juristisch als auch mit überlegener Marktmacht erfolgreich zur Wehr setzte (161114).

Inzwischen ist der Streit hinfällig geworden

Im Februar dieses Jahres hat der Rat der Stadt Aurich das erfolglose Stadtwerke-Projekt offiziell beerdigt, wobei ausgerechnet die EWE zum Wunschkandidaten für die Übernahme der Hinterlassenschaften wurde (200212). Enercon hat inzwischen ganz andere Probleme, als "an seinem Unternehmenssitz ein Modellprojekt für die dezentrale, regionale Energiewende zu realisieren", wie firmenoffiziell die seinerzeit verfolgte Strategie umschrieben wurde. Der einstige Marktführer wurde nämlich von der seit mehr als zwei Jahren andauernden Flaute beim Bau neuer Windkraftanlagen besonders hart getroffen. Während er 2018 mehr als die Hälfte aller neu installierten Windkraft-Leistung in Deutschland erstellte, waren es 2019 nur noch 32 Prozent (siehe Grafik). Nach den bisher vorliegenden Zahlen wird er auch 2020 hinter der dänischen Vestas nur noch den zweiten Platz belegen. Im November vorigen Jahres kündigte er den Abbau von rund 3000 Arbeitsplätzen sowie die Verlagerung eines Teils der Produktion ins Ausland an (191105). In einem internen Schreiben an die Belegschaft räumte die Geschäftsführung Ende 2019 ein, dass die Ursachen dieser Krise "zum Teil hausgemacht" seien.

Enercon besinnt sich auf das Kerngeschäft

Der Enercon-Konzern besteht aus insgesamt 365 vollkonsolidierten Einzelgesellschaften. Dieses verwirrende Firmengeflecht ist vor allem darauf zurückzuführen, dass praktisch jeder Windpark, den Enercon in eigener Regie betreibt, als rechtlich eigenständiges Unternehmen geführt wird. Bei der Überprüfung der hausgemachten Probleme lag es deshalb nahe, hier endlich aufzuräumen. Außerdem gehörten grundsätzlich alle Aktivitäten außerhalb des Kerngeschäfts auf den Prüfstand. Dieses Kerngeschäft ist bei Enercon die Herstellung von landgestützten Windkraftanlagen mit Direktantrieb, bei denen das sonst notwendige Getriebe entfällt. Hier verfügt das Unternehmen über Erfahrung und technisches Knowhow wie sonst keiner. Der Betrieb solcher Anlagen und der Verkauf des damit erzeugten Stroms ist dagegen ein anderes Geschäft, das ebenfalls eine hohe Spezialisierung erfordert. Und noch viel komplizierter wird es, wenn man sich auf das Neuland eines "Modellprojekts der Energiewende" mit allerlei politischen und regulatorischen Fußangeln wagt, wie das in und um Aurich zeitweilig der Fall war. Es lag deshalb nahe, den langjährigen Streit mit dem Stromversorger EWE endgültig zu beenden und ihm sogar die Führung eines Unternehmens zur Vermarktung der gemeinsamen Windkraftkapazitäten zu übertragen. Da Enercon in dieses Gemeinschaftsunternehmen mehr Windkraftanlagen einbringt als EWE, wird bei den jetzt noch anstehenden Verhandlungen die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs ein wichtiger Punkt sein.

 

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