Januar 2020

200105

ENERGIE-CHRONIK


Koalition kürzt Gelder für Energiewende-Forschung zugunsten von "Reallaboren"

Im Haushalt 2020, den der Bundestag am 29. November beschloss, wurden die "Verpflichtungsermächtigungen" für die Energieforschung im Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums stark gekürzt. Verpflichtungsermächtigungen sind längerfristig angelegte Etatposten, die über das aktuelle Haushaltsjahr hinaus reichen und neue Mittel für die Folgejahre reservieren. Der Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE) warnte am 14. Januar vor verhängnisvollen Folgen dieser Entscheidung, die von der Regierungskoalition im Haushaltsausschuss beantragt und vom Parlament gebilligt wurde, ohne dass die Betroffenen dies zunächst bemerkten. Um die Projektforschung für die Energiewende nachhaltig zu sichern, müssten diese Kürzungen im Bundeshaushalt 2021 korrigiert werden. Auf die mutmaßlichen Gründe der Streichungen wurde in der FVEE-Stellungnahme nicht eingegangen. Anscheinend hat aber das Bundeswirtschaftsministerium die Kürzungen selber veranlaßt, um einen Teil der Energieforschungsgelder in die von ihm neuerdings stark propagierten "Reallabore" umschichten zu können.

Innovativen Projekten droht der Abbruch

"Dies wird bereits im laufenden Jahr zu massiven Problemen führen", erklärte der FVEE-Sprecher Prof. Rolf Brendel vom niedersächsischen Institut für Solarenergieforschung (ISFH). "Neue Forschungsprojekte werden nicht starten können und in den Folgejahren wird die deutsche Energieforschung substanziell geschwächt." Die vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekte hätten stets engen Bezug zur energiewirtschaftlichen Praxis. Sie bezögen sich auf konkrete, angewandte Fragestellungen der Energiewende und basierten auf Kooperationen mit Industrie, Energieversorgern, Stadtwerken, Immobilienwirtschaft und Handwerk. Die drastischen Kürzungen träfen deshalb bei weitem nicht nur Forschungseinrichtungen. Es sei auch mit starken Auswirkungen auf Akteure in der Wirtschaft und im öffentlichen Sektor zu rechnen.

Verpflichtungsermächtigungen um 90 Prozent zusammengestrichen

Laut Prof. Brendel werden die Verpflichtungsermächtigungen um 90 Prozent von 105 auf 10 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2021 reduziert. Dies führe dazu, dass die üblicherweise mehrjährigen Forschungsprojekte nicht bewilligt und nicht begonnen werden könnten: "Ganz konkret bedeutet das für mein Institut, dass im Extremfall von den im letzten Jahr mit unseren Industriepartnern vorbereiteten Projekten zu emissionsärmerer Gebäudetechnik und zu neuen Prozessen für effizientere Photovoltaik keines bewilligt werden könnte. In anderen FVEE-Instituten sind beispielsweise innovative Projekte zur Windenergie, zu Effizienzmaßnahmen, zur Batterieentwicklung und zur Quartiersentwicklung betroffen. Ein Abreißen der Technologieentwicklungsketten behindert die Energiewende, die wir doch so dringend voran bringen wollen."

"Deutsche Vorreiterrolle in der Energieforschung gefährdet"

"Wir können unsere Vorreiterrolle in der Energieforschung nur beibehalten, wenn die nötige Unterstützung aus der Politik verlässlich gewährleistet ist", unterstrich auch der stellvertretende FVEE-Sprecher Prof. Hans-Martin Henning vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Die Energieforschung in Deutschland sei im internationalen Vergleich außerordentlich breit und leistungsfähig aufgestellt. Sie habe entscheidend dazu beigetragen, dass deutsche Unternehmen heute in vielen Bereichen Technologieführer auf den globalen Märkten für erneuerbare Energien, Energieeffizienz sowie Netz- und Systemtechnik sind. "Deshalb haben die aktuellen Änderungen in der BMWi-Energieforschung durchaus auch eine industriepolitische Dimension. Deutschland darf sich nicht aus der Technologieentwicklung für die globalen Märkte der Energiewende verabschieden."

Haushaltspolitiker der Koalition wollen mehr "Reallabore"

Wie der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, gegenüber dem "Tagesspiegel" (8.1.) erklärte, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Kürzungen selber veranlasst: "Eine Absenkung der Verpflichtungsermächtigungen wurde hausintern im Bundeswirtschaftsministerium entschieden und zu Gunsten anderer Haushaltstitel umgeschichtet. Die Höhe der in der Energieforschung verbleibenden Verpflichtungsermächtigungen wurden seitens des Haushaltsreferats des BMWi als ausreichend betrachtet. Dieser Einschätzung schließen wir Haushälter uns an."

Wie es in dem Bericht weiter heißt, bedauerte der CDU-Politiker, dass die Ergebnisse von derzeit über 4000 laufenden Energieforschungsprojekten "nur leider viel zu häufig in der Schublade verschwinden" würden. "Es sei deshalb erklärtes Ziel, nicht nur um des Forschens willen zu forschen, sondern künftig in noch stärkerem Maße durch real umgesetzte Projekte wie etwa die aktuell laufenden Reallabore nachweislich nennenswerte Mengen an CO2 einzusparen."

Der deutsche Name für die "regulatory sandbox" weckt falsche Vorstellungen

Das Ministerium hat demnach die Gesamtausgaben für die Energieforschung zwar nicht gekürzt, aber zugunsten der neuerdings favorisierten "Reallabore" umgeschichtet. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich die deutsche Version eines Konzepts, das als "regulatory sandbox" von der britischen Finanzbehörde FCA entwickelt wurde. Solche "regulatorischen Sandkästen" sollen innovative Geschäftsmodelle dadurch ermöglichen, dass sonst geltende Restriktionen zumindest teilweise und zeitweilig außer Kraft gesetzt werden. Die Energieforschung ist dabei nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten eines primär betriebswirtschaftlich-finanzwissenschaftlich geprägten Ansatzes.

Aber gerade auf energiepolitischem Gebiet läßt der deutsche Ausdruck "Reallabore" leicht falsche Vorstellungen entstehen: Für Unkundige klingt er weniger nach anwendungsorientierter Technik in einem speziell dafür geschaffenen regulatorischen "Sandkasten" als nach praktisch-handfester Forschungstätigkeit, die sogar realitätsnäher und effizienter als herkömmliche Forschung ist und deshalb diese ersetzen kann. So ähnlich hört es sich auch bei dem CDU-Haushaltspolitiker Rehberg an, wenn er die Ergebnisse der Energieforschung "viel zu häufig in der Schublade verschwinden" sieht, während die "aktuell laufenden Reallabore nachweislich nennenswerte Mengen an CO2 einsparen" würden. Daran stimmt nur soviel, dass nennenswerte Mengen an CO2 tatsächlich nicht im Reagenzglas eingespart werden können, weil Forschung und Technik zwei Paar Schuhe sind. Die "Reallabore" können jedoch keine echten Labore ersetzen. Die Wortschöpfung ist auch nicht wissenschaftlich fundiert, sondern entstammt eher dem PR-Bereich. Sie dient insbesondere im Sektor Energiewirtschaft als wohlklingendes sprachliches Etikett für Projekte, die ohne die Vorarbeit der real existierenden Forschungslabore nicht denkbar wären.

Am Wettbewerb "Reallabore der Energiewende" beteiligten sich 90 Konsortien

Das Bundeswirtschaftsministerium hat die "Reallabore" erstmals mit einer Veranstaltung am 8. Dezember 2016 vorgestellt, zu der Vertreter von Unternehmen, Kapitalgebern, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie anderer Ministerien eingeladen waren. Praktische Bedeutung erlangte das Konzept dann mit dem 7. Energieforschungsprogramm, das die Bundesregierung 19. September 2018 verabschiedete und in dem der Begriff mehr als fünfzigmal auftaucht. Im Juli 2019 prämierte das Ministerium bundesweit zwanzig Konsortien, die sich am Wettbewerb "Reallabore der Energiewende" beteiligt hatten. Bei den insgesamt 90 eingereichten Projekten ging es vor allem um Sektorenkopplung und Wasserstoff-Technologie. Die Sieger durften Fördergelder beantragen, für die das Ministerium jährlich 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt.

Bundesnetzagentur verweigert prämiertem Netzbetreiber-Projekt die Genehmigung

Zu den Preisträgern dieses Wettbewerbs gehörte beispielsweise das Projekt "HydroHub", das die Steag mit Siemens, dem Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (IZES gGmbH) und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI GmbH) vereinbart hat (190511). Prämiert wurde ferner die Strom-zu-Gas-Anlage "element eins", die der Übertragungsnetzbetreiber TenneT zusammen mit den Fernleitungsbetreibern Gasunie und Thyssengas verwirklichen will (190404). Die Bundesnetzagentur machte allerdings kurz darauf deutlich, dass der Betrieb einer solchen Anlage durch Netzbetreiber nach den geltenden Bestimmungen nicht genehmigungsfähig ist (190805). Prinzipiell könnte aber ein entsprechend ausgeweiteter "regulatorischer Sandkasten" derartige Projekte inklusive ihrer staatlichen Förderung erlauben. Dies erklärt auch, weshalb 2018 gleich zwei Netzbetreiber-Konsortien solche Pläne vorlegten, obwohl sie nach den geltenden Entflechtungsvorschriften damit keine Chance auf Genehmigung haben können (181008).

Das Bundeswirtschaftsministerium plant solche "Testräume für Innovation und Regulierung" nicht nur im Bereich der Energiewirtschaft. In einem 88 Seiten starken "Handbuch für Reallabore", das es im Juli 2019 veröffentlichte (siehe PDF), werden als typische Anwendungsbereiche auch Verkehr, Gesundheitswesen, Stadtentwicklung, Finanzwesen oder Verwaltung genannt. Dabei geht es insbesondere um die Digitalisierung von Prozessen, beispielsweise zum automatisierten Fahren. Ende 2019 schrieb das Ministerium einen weiteren "Innovationspreis Reallabore" aus, der für solche Anwendungsbereiche gedacht ist, während "Reallabore der Energiewende" ausdrücklich ausgeschlossen sind. Anmeldeschluss ist der 19. Februar 2020.

"Es wird gerade die erfolgreiche anwendungsnahe Projektforschung schwer beschädigt"

Im Prinzip ist es erfreulich, wenn lange ignorierte und verschleppte Probleme der Energiewende nun unter Schlagworten wie Sektorenkopplung und Reallabore plötzlich neu entdeckt werden. Vor allem gilt das für die seit langem bekannten Möglichkeiten der energetischen Umwandlung von Strom zu Wasserstoff mittels Elektrolyse, ohne deren Nutzung der weitere Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung schlecht vorstellbar ist. Die neue Schwerpunktsetzung geht aber offenbar mit einer stiefmütterlichen Behandlung von anderen notwendigen Projekten einher, wie die Beschwerde des Forschungsverbundes zeigt. Durch den Rummel um die "Reallabore" entsteht dabei auch noch der falsche Eindruck, als ob woanders keine oder nur wenig anwendungsorientierte Forschung stattfinden würde. "Ohne die notwendigen Verpflichtungsermächtigungen wird gerade die erfolgreiche anwendungsnahe Projektforschung schwer beschädigt", betont deshalb der FVEE-Sprecher Brendel in seiner Stellungnahme. "Die Kontinuität unserer Forschungen ist damit gefährdet und langjährig ausgebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehen der Energiewendeforschung verloren. Die Energiewende braucht aber verlässliche Rahmenbedingungen und einen kontinuierlichen Fluss von Innovationen."

 

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