Juni 2018

180604

ENERGIE-CHRONIK


Polen scheitert mit Klage gegen Reform des Emissionshandels

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg wies am 21. Juni eine Klage Polens ab, die darauf abzielte, die Reform des Emissionshandels zu torpedieren. Die Klage war im Januar 2016 eingereicht worden. Sie beantragte die Nichtigkeitserklärung der sogenannten "Marktstabilitätsreserve", deren Einführung vor drei Jahren vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union beschlossen wurde (150706). Mit dieser Maßnahme, die ab 1. Januar 2019 in Kraft tritt (siehe Text), soll der Überschuss an Emissionszertifikaten eingedämmt und ein Preisanstieg pro Zertifikat bewirkt werden, weil das vor 13 Jahren gestartete EU-Emissionshandelssystem bisher praktisch keinen Beitrag zum Klimaschutz erbracht hat (siehe Hintergrund, November 2017).

Die Warschauer Regierung will verhindern, dass höhere Preise für die Zertifikate die Stromerzeugung der polnischen Kohlekraftwerke belasten. Sie machte deshalb geltend, daß Parlament und Rat gar nicht zu diesem Beschluss befugt gewesen seien. Mit dieser Ansicht steht sie allerdings ziemlich allein. Als Streithelfer für die beiden beklagten europäischen Gesetzgeber fungierten in Luxemburg neben der EU-Kommission auch Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweden und Spanien.

Warschauer Regierung pocht auf Vetorecht im Europäischen Rat

Polen sah den Vertrag über die Allgemeine Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verletzt, weil der Beschluss im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zustande kam, anstatt im besonderen Gesetzgebungsverfahren. Beim letzteren Verfahren müssen die im Rat vertretenen EU-Regierungen ihre Beschlüsse einstimmig fassen. Nach Artikel 192 AEUV gilt das unter anderem für "Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedsstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren". Aus Sicht der polnischen Regierung hätte deshalb der Rat einstimmig beschließen müssen. Oder anders gesagt: Ihre Gegenstimme hätte ausgereicht, um eine Reform des bisher wirkungslosen Emissionshandels auf gesamteuropäischer Ebene zu verhindern.

Verteuerung der Zertifikate bewirkt angeblich siebenmal höheren Gasverbrauch

Polen verwies in Luxemburg darauf, dass es 83 Prozent seines Stroms aus Stein- und Braunkohle erzeuge. Die Einrichtung der "Marktstabilitätsreserve" werde die Emissionszertifikate verteuern und damit unausweichlich die bisherige Struktur der Energieversorgung verändern. Vor allem werde dann der Erdgasverbrauch bis zum Jahr 2035 um das siebenfache steigen. Dies vergrößere die Abhängigkeit des Landes von Gasimporten und beeinträchtige die Energieversorgungssicherheit.

Polen stört sich an allem, was die Kohleverstromung belasten könnte

Ein zweiter Einwand bezog sich darauf, dass die Verknappung der Zertifikate ursprünglich erst ab 2021 vorgesehen war (140109). Dieses Datum tauchte deshalb auch in einer Schlußfolgerung des Rates von 2014 auf. Die polnische Regierung interpretierte dies als verbindliche Vorgabe für den nachfolgenden Gesetzgebungsprozess und sah die Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Gremien verletzt. Drittens sah sie einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, weil die bis zu 900 Millionen Zertifikate, deren Einziehung die EU-Kommission vor mehr als fünf Jahren vorgeschlagen hat, ursprünglich am Ende der dritten Handelsperiode wieder eingespeist werden sollten (130105). Die Marktteilnehmer hätten berechtigterweise auf diese Rückführung vertrauen dürfen. Stattdessen seien die Zertifikate dauerhaft dem Markt entzogen und in die neugeschaffene "Marktstabilitätsreserve" überführt worden (150706). Viertens verstoße der angefochtene Beschluss gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil er den beteiligten Unternehmen übermäßige Belastungen aufbürde. Fünftens seien die Auswirkungen des Beschlusses nicht ordnungsgemäß untersucht worden.

"Besonderes Gesetzgebungsverfahren darf nicht von der Ausnahme zur Regel werden"

Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs war keiner der fünf Klagepunkte stichhaltig. Das Hauptargument, dass hier in einer mit Artikel 192 AEUV unvereinbaren Weise in die polnische Energiepolitik eingegriffen werde, müsse im Zusammenhang mit Artikel 191 AEUV gesehen werden, welcher der Union die Zuständigkeit für Umweltschutz und Bekämpfung des Klimawandels überträgt. Solche Maßnahmen des Umwelt- und Klimaschutzes hätten zwangsläufig Auswirkungen auf den Energiesektor der Mitgliedsstaaten. Bei einer zu weiten Auslegung von Artikel 192 bestünde deshalb die Gefahr, dass die Anwendung des besonderen Gesetzgebungsverfahrens, das die Einstimmigkeit im Rat voraussetzt, von der Ausnahme zur Regel würde. Der fragliche Artikel könne nur dann "die Rechtsgrundlage für einen Unionsakt sein, wenn sich aus dessen Ziel und Inhalt ergibt, dass das in erster Linie mit ihm angestrebte Ergebnis darin besteht, die Wahl eines Mitgliedsstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich zu berühren". Das sei hier aber nicht der Fall.

 

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