Mai 2018

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


Ein bisschen Köln ist überall

(zu 180505)

 

Es ist schon 27 Jahre her, dass die Wirtschaftsvereinigung der CDU Nordrhein-Westfalen den Soziologen Erwin Kurt Scheuch mit einer Studie beauftragte: Er sollte ergründen, weshalb sie und ähnliche Vereinigungen ihren Einfluss innerhalb der Partei zugunsten der Lokal- und Regionalorganisationen verloren. Die innerparteiliche Lobby-Vereinigung begründete den Auftrag natürlich nicht machtpolitisch, sondern verbrämte ihn ideologisch mit der These, dass in den Parlamenten der wirtschaftliche Sachverstand fast völlig zu verschwinden drohe.

Scheuch war selber Mitglied der CDU und am rechten Rand der Partei angesiedelt. Er nahm den Auftrag aber ernst und spürte mit wissenschaftlicher Akribie den Ursachen nach, die für die mangelnde Qualität des politischen Personals verantwortlich sein könnten. Besonders ertragreich war dabei seine Heimatstadt Köln: Hier fand Scheuch die meisten Beispiele für die Vergabe von Pfründen an verdiente Parteifunktionäre und für die parteiübergreifende Selbstbedienungsmentalität einer politischen Klasse, die mehr am eigenen Wohlergehen als am Gemeinwohl interessiert war.

"Cliquen, Klüngel und Karrieren" wurde ein Bestseller

Als die Studie Ende 1991 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gab es zunächst viel Beifall. "Es laufen zu viele Luschen in der Politik herum", befand etwa der damalige Finanzexperte der Landes-CDU, Harmut Schauerte. Auf den Schlips getreten fühlte sich dagegen der Kölner CDU-Vorsitzende Axel Rodert. Er hielt es für "verleumderisch", dass die örtliche Partei unter seiner Führung mit der in Köln dominierenden SPD geklüngelt haben könnte. Die Kölner SPD schmähte ihrerseits die Studie als "scheinwissenschaftlich". Zu der angedrohten Klage gegen Scheuch kam es allerdings nicht. Stattdessen wurde innerhalb der CDU so heftig geklüngelt, dass die Wirtschaftsvereinigung die weitere Verbreitung des Papiers stoppte. Dieser Schuss ging indessen nach hinten los, weil der Text nun nach Art eines Samisdat-Papiers inner- und außerhalb der CDU in zahllosen Kopien vervielfältigt wurde und erst recht mediale Aufmerksamkeit erregte. "Ein bißchen Köln ist überall" überschrieb beispielsweise "Die Zeit" Anfang 1992 einen Artikel. Genau so wollte Scheuch seine Beispiele aus der Domstadt auch verstanden wissen. Deshalb übernahm er diese Überschrift für eines der Kapitel seines Buches "Cliquen, Klüngel und Karrieren", das im selben Jahr bei Rowohlt herauskam und zu einem Bestseller wurde.

Mit der Größe der Städte wächst die Fülle lukrativer Posten

In der Tat sind die Kölner Zustände kein Einzelfall. Ähnliche Verfilzungen lassen sich auch in Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, Essen oder Mannheim feststellen. Das Problem wächst mit der Größe der Städte, weil dadurch die Fülle lukrativer Posten steigt, über deren Besetzung die Kommunalpolitiker zumindest mitentscheiden können. Dieser Zugriff auf personalpolitische Entscheidungen ist an sich noch nichts Schlechtes. Er könnte sogar bessere Lösungen ermöglichen als in der sogenannten freien Wirtschaft, die bestenfalls dem Profitprinzip verpfllichtet ist, aber selbst unter diesem Aspekt oft jämmerliche Fehlbesetzungen zustande bringt. Die Kommunalwirtschaft ist hingegen nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet, sondern auf eine möglichst preisgünstige und umfassende Versorgung der Bürger mit Dienstleistungen wie Strom-, Gas- und Wasserversorgung, öffentlichen Nahverkehrsmitteln oder Müllbeseitigung. Zumindest sollte es so sein.

Traumhafte Gehälter für Chefs von Müllabfuhr, Bädern oder Verkehrsbetrieben

Aber leider gibt es riesige Unterschiede zwischen Ideal und Wirklichkeit. Zum Beispiel ist nicht einzusehen, weshalb die von Finanznöten geplante Stadt Dortmund bei ihrer Müllabfuhr gleich drei Geschäftsführer haben muß, die zusammen 800.000 Euro an Gehalt beziehen, während die Stadt Stuttgart, deren Müllabfuhr eine vergleichbare Größe hat, mit einem einzigen Chef auskommt, der hinzu mit 125.000 Euro weniger als die Hälfte dessen verdient, was ein einziger der Dortmund Müll-Manager bekommt. Oder wenn die hochverschuldete Stadt Essen dem Chef ihrer Müllentsorgung ein Gehalt von über 300.000 Euro inklusive Pensionsansprüchen gewährt. Oder wenn in Köln der Chef der städtischen Bäder im Jahr knapp 230.000 Euro bezieht, während seine Kollegin von den gleichgroßen Bäderbetrieben in Stuttgart nur gut 85.000 Euro bekommt. Oder wenn die Vorstandsmitglieder der Kölner Verkehrsbetriebe jährlich im Schnitt 385.000 Euro bekommen, wogegen sich die Vorstände in Hamburg mit gut hunderttausend Euro weniger begnügen. (141107)

Die übliche Schutzbehauptung für die üppige Versorgung verdienter Parteimitglieder lautet, dass in der kommunalen Wirtschaft ähnliche hohe Gehälter für Spitzenmanager gezahlt werden müßten wie in der privaten Wirtschaft, weil sonst keine geeigneten Fachkräfte zu bekommen seien. Es wird also ein Posten, der in der Tat mit einem geeigneten Fachmann bzw. einer Fachfrau zu besetzen wäre, primär an einen Parteifreund, Sympathisanten oder sonstigen Günstling vergeben, der andernfalls darben müßte. Und dann wird auch noch behauptet, das hohe Gehalt sei notwendig, um eine qualifizierte Besetzung gewährleisten. So wird selbst dem Unfähigsten allein durch die Tatsache seiner Berufung nachträglich die nötige Qualifikation bescheinigt.

Höhe des Gehalts besagt noch nichts über Qualifikation

Die Kommunalwirtschaft untergräbt ihren Zweck und ihre Legitimation, wenn sie sich auf solche neoliberalen Denkmuster einläßt. Es stimmt schon mal grundsätzlich nicht, dass die Qualifikation sich in der Höhe des Gehalts widerspiegeln muss. Auch und gerade in der Privatwirtschaft verhält es sich oft eher umgekehrt. Im staatlichen Bereich folgen die Bezüge und Pensionen auch nur sehr bedingt der Fachkunde und den tatsächlich erbrachten Leistungen der Beamten oder Angestellten. Zum Beispiel ist das Gehalt der Bundeskanzlerin deutlich geringer als das von vielen Sparkassen-Chefs. Es wäre auch Unsinn, sich von einer höheren Dotierung dieses nun wirklich wichtigen Postens eine bessere Besetzung zu erhoffen. Umgekehrt wäre es aber sehr wohl nötig, bei den Einkünften vieler Sparkassen-Manager kräftige Abstriche vorzunehmen. Wenn beispielsweise die Sparkasse der Provinzstadt Leverkusen ihren Geschäftsführer mit sage und schreibe einer halben Million Euro honoriert und den übrigen Vorständen durchschnittlich 380.000 Euro zukommen läßt, müßte das eigentlich jeden Bürger auf die Barrikaden treiben und die verantwortlichen Kommunalpolitiker schleunigst abwählen lassen.

Eigenbetriebe wurden zu GmbH, um Konzessionsabgaben kassieren zu können

Begünstigt wurden Parteifilz und Korruption durch die juristische Privatisierung von kommunalen Dienstleistungen. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind aus den ehemals städtischen Eigenbetrieben meistens privatrechtliche GmbH geworden, die unter dem Dach einer Holding hundertprozentig oder zumindest größtenteils den jeweiligen Kommunen gehören. Die Kommunen können auf diese Weise per Quersubventionierung die Verluste bei den Verkehrsbetrieben mit den Gewinnen aus dem Stromgeschäft ausgleichen. Nicht zuletzt dürfen sie von ihren privatrechtlich organisierten Strom- und Gasversorgern Konzessionsabgaben verlangen, was Eigenbetrieben nicht möglich ist.

Stadtwerke Köln umfassen ein halbes Hundert Firmen

Neben der regulären Stadtverwaltung entstehen so immer größere Bereiche, die nicht mehr von Dezernenten oder anders bezeichneten kommunalen Wahlbeamten geleitet werden, sondern von Geschäftsführern mit mehr oder weniger hoch dotierten Verträgen. Der Soziologe Scheuch hat dies in dem erwähnten Buch am Beispiel der Stadtwerke Köln verdeutlicht, die seiner Darstellung zufolge damals aus etwa 18 privatrechtlich organisierten Firmen mit 7.000 Beschäftigten bestanden, während die reguläre Stadtverwaltung 24.000 Bedienste hatte. Heute umfasst die Stadtwerke Köln GmbH fast ein halbes Hundert vollkonsolidierte Firmen mit 12.430 Beschäftigten, während bei der Stadtverwaltung die Zahl der Bediensteten auf rund 17.000 zurückgegangen ist. Hinzu kommen zahlreiche Töchter der konsolidierten Firmen und Beteiligungen an anderen Unternehmen. Die Stadtwerke Köln GmbH sind trotz ihrer 120 Beschäftigten im wesentlichen eine juristische Konstruktion. Mangels operativen Geschäfts brauchten sie bisher nicht einmal einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Die im Handelsregister genannten Geschäftsführer waren durchweg Manager von Tochterunternehmen, die diese Funktion nebenamtlich ausübten. Auch in der Öffentlichkeit sind die Stadtwerke namentlich praktisch nicht mehr präsent, denn hier kennt man sie nur als Rheinenergie AG, Kölner Verkehrsbetriebe AG, Telekommunikationsunternehmen NetCologne oder Heizkosten-Ableser Brunata.

Stadträte nicken nur noch ab, was der Klüngel beschließt

Schon damals, so schrieb Scheuch, habe der Stadtrat, der die Stadtwerke über den Aufsichtsrat kontrollieren soll, weitgehend den Überblick über die Vorgänge in den vielen Gesellschaften verloren. Wichtige Fragen würden von ganz kleinen Klüngelkreisen ausgehandelt, zu denen vor allem die Fraktionsvorsitzenden gehören, ohne dass die Mehrheit der Ratsmitglieder davon etwas erfährt. Diese darf dann nur noch das Ergebnis abnicken. – Ungefähr so, wie das jetzt geschehen ist, als eine parteiübergreifende Klüngelrunde im "Ständigen Ausschuss" des Aufsichtsrats der Kölner Stadtwerke die Berufung eines hauptamtlichen Geschäftsführers mit einer Dotierung von bis zu 500.000 Euro beschloss, obwohl dieser Posten eigentlich überflüssig und nur als Pfründe für den ausscheidenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Börschel gedacht war. Zum Glück beging die Kölner Kamarilla den Fehler, den maßgeschneiderten Posten auch noch freihändig vergeben zu wollen und die Oberbürgermeisterin zu brüskieren. Wenn sie ein förmliches Ausschreibungsverfahren vorgeschaltet und sich auch sonst ein bißchen geschickter angestellt hätte, wäre die Kommunalwirtschaft wahrscheinlich um einen hochbezahlten Frühstücksdirektor reicher geworden.