Mai 2017 |
170510 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auf den spanischen Staat kommen Forderungen in Milliardenhöhe zu, weil er vor mehr als zwei Jahrzehnten die sogenannte Energie-Charta unterzeichnet hat. Am 4. Mai bewilligte das Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington (ICSID) einer in Luxemburg registrierten Tochter der Vermögensverwaltung Eiser Infrastructure einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 128 Millionen Euro plus Zinsen. Mit dieser Summe soll das Unternehmen einen Ausgleich dafür erhalten, daß seine Rendite-Erwartungen beim Bau von drei solarthermischen Kraftwerken nicht aufgingen, nachdem die spanische Regierung die ursprünglich vorgesehenen Vergütungen für die Stromeinspeisung radikal zusammengestrichen hatte. Die Kosten des Schiedsverfahrens belaufen sich auf knapp eine Million Euro. Davon sind etwa 580.000 Euro das Honorar für die drei Anwälte, die als Schiedsrichter fungierten.
Die Eiser Infrastructure Ltd. ist eine weltweit agierende Vermögensverwaltung mit Sitz in Großbritannien. Sie hat ihren Angaben zufolge insgesamt 935 Millionen Euro in die solarthermischen Anlagen investiert, die bei Ciudad Real sowie bei Badajoz mit einer Leistung von jeweils 50 MW errichtet wurden und Ende 2012 in Betrieb gingen. Ihr Geschäftspartner ist dabei die spanische Elecnor-Gruppe. Als Ersatz für die entgangenen Vergütungen wollte sie mehr als 300 Millionen Euro haben.
Es handelt sich um die erste Klage gegen die Streichung der spanischen Solarvergütungen, über die vom ICSID-Schiedsgericht entschieden wurde. Da noch 26 ähnliche gelagerte Verfahren in Washington anhängig sind, wird der Entscheidung grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Falls ICSID den anderen Klägern im Schnitt dieselbe Entschädigung zubilligt, ergibt sich für den spanischen Staat eine Belastung von drei bis vier Milliarden Euro.
Bisher lag nur die Entscheidung eines Schiedsgerichts der Stockholmer Handelskammer vor, das im Januar 2016 die Klage von zwei Unternehmen abgewiesen hatte. Es ging dabei um die noch relativ bescheidenen Abstriche an der Solarförderung, die zum Jahresende 2010 von der Regierung Zapatero vorgenommen wurden. Nach Einschätzung des globalisierungskritischen Transnational Institute Amsterdam waren die klagenden Unternehmen Briefkastenfirmen, die von spanischen Hintermännern in Luxemburg und den Niederlanden gegründet wurden, um als ausländischer Investor gegenüber dem Staat auftreten zu können. Das war aber nicht der Grund, weshalb das Schiedsgericht die Klage zurückwies (160203).
Die beiden aufeinanderfolgenden Regierungen unter dem Sozialisten Zapatero und dem Konservativen Rajoy hatten die Solar-Subventionen nicht ohne Not zusammengestrichen. Es handelte sich vielmehr um eine von vielen einschneidenden Maßnahmen, mit denen der durch die Finanzkrise zerrüttete Staatshaushalt wieder einigermaßen ins Lot gebracht werden sollte. Der spanische Verfassungsgerichtshof hat die Kürzungen im Januar 2016 für rechtens erklärt. Mehre hunderttausend spanische Kleinanleger, die insgesamt Milliarden in die Solarstromproduktion investierten, müssen sich deshalb mit ihren Verlusten abfinden und haben keine Chance vor den Gerichten.
Ausländische Firmen können sich dagegen auf die Investitionsschutzbestimmungen der Energie-Charta berufen, die in ihrem Artikel 13 in jedem Fall eine Entschädigung vorschreibt, falls die Investition des ausländischen Unternehmens durch "eine Maßnahme gleicher Wirkung wie Verstaatlichung oder Enteignung" angetastet werden sollte. Das Washingtoner Schiedsgericht geht allerdings nicht so weit, in der Streichung der Solarsubventionen eine enteignungsähnliche Maßnahme zu sehen. Es begründet seine Entscheidung vielmehr mit Artikel 10 Satz 1 der Charta, wonach jeder der Vertragsstaaten verpflichtet ist, "stabile, gerechte, günstige und transparente Bedingungen für Investoren anderer Vertragsparteien" zu schaffen und deren Investitionen "stets eine faire und gerechte Behandlung zu gewähren. Weiter heißt es da: "Diese Investitionen genießen auch auf Dauer Schutz und Sicherheit, und keine Vertragspartei darf deren Verwaltung, Aufrechterhaltung, Verwendung, Nutzung oder Veräußerung in irgendeiner Weise durch unangemessene oder diskriminierende Maßnahmen behindern."
Diese und andere Formulierungen der Energie-Charta waren ursprünglich einmal dazu gedacht, die Investitionen westlicher Firmen in Rußland vor Enteignungen und anderen Formen staatlicher Willkür zu schützen. Das speziell zu diesem Zweck konzipierte Vertragswerk entstand zu Anfang der neunziger Jahre in der Jelzin-Ära. Der neue Kreml-Herrscher Putin weigerte sich dann aber, es ratifizieren zu lassen, weshalb es zunächst in Bedeutungslosigkeit versank. Erst gut ein Jahrzehnt später wurde es von international agierenden Konzerne neu entdeckt, um Schadenersatzklagen auch gegenüber Vertragsstaaten mit intakter Rechtsordnung anstrengen zu können. Voraussetzung dafür ist lediglich, daß die als Kläger auftretenden Kapitalinteresssen ihren formalen Sitz nicht in dem Staat haben, in dem sie sich diskriminiert fühlen. An die Stelle der nationalen Rechtsprechung oder auch des Europäischen Gerichtshofs tritt dann die private Sonderjustiz eines hinter verschlossenen Türen tagenden Schiedskomitees. (Siehe Hintergrund, Oktober 2016).