Juli 2015

150705

ENERGIE-CHRONIK


Stadtwerke klagen gegen Subventionen für britische Atomkraftwerke

Zehn Stadtwerke und Ökostromanbieter haben am 15. Juli beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eine Nichtigkeitsklage gegen die EU-Kommission erhoben, weil diese im Oktober 2014 ein mehr als 100 Milliarden Euro umfassendes Subventionspaket für die beiden geplante EPR-Reaktoren des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C genehmigt hat (141020). Sie werfen der Kommission zahlreiche Rechts- und Verfahrensfehler vor.

Das Klagebündnis umfaßt neben dem deutschen Ökostromanbieter Greenpeace Energy die Stadtwerken Aalen, Bietigheim-Bissingen, Schwäbisch Hall, Tübingen, Mühlacker, Bochum und Mainz sowie die Energieversorgung Filstal und die österreichische oekostrom AG. Vertreten wird es von der Kanzlei Becker-Büttner-Held. Diese will die staatliche Förderung von Hinkley Point als rechtswidrige Betriebsbeihilfe anfechten. "Weder hat die Kommission die weitreichenden Folgen ihrer Subventionsgenehmigung ausreichend analysiert, noch hat sie etwa berücksichtigt, daß es für Hinkley Point C keine Ausschreibung gab und auch kein generelles Marktversagen vorlag, welches Beihilfen überhaupt rechtfertigen würde", erklärte BBH-Anwältin Dörte Fouquet.

Aus Sicht der Stadtwerke leidet insbesondere die Wirtschaftlichkeit dezentraler Erzeugungsanlagen unter den geplanten Atomsubventionen. "Wir sehen die Gefahr, daß die europäischen Strommärkte künftig mit hoch subventioniertem Atomstrom geflutet werden könnten und regionale, hocheffiziente und ökologische Stromproduktion aus dem Markt gedrängt wird", meinte der energiewirtschaftliche Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, Achim Kötzle.

Österreich klagt ebenfalls, obwohl Großbritannien mit Vergeltungsmaßnahmen drohte

Die Regierung Österreichs hatte schon unmittelbar nach dem mit knapper Mehrheit gefaßten Beschluß der Kommission eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt (141020). Ende Juni hat sie diese auch förmlich beschlossen und beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Sie wird dabei von Luxemburg unterstützt.

Großbritannien hatte massiven Druck ausgeübt, um die österreichische Regierung an der Einreichung der Klage zu hindern. Am 10. Februar veröffentlichte die Wiener "Kronen Zeitung" eine geheime Depesche der österreichischen Botschaft in London, wonach der britische Premier Cameron alle mitzuständigen Regierungsmitglieder angewiesen habe, in dieser Angelegenheit bei ihren österreichischen Amtskollegen vorstellig zu werden. Außerdem wolle Großbritannien "in Zukunft jede Gelegenheit wahrnehmen, Österreich in Bereichen zu klagen oder zu schaden, die starke innenpolitische Auswirkungen haben". Beispielsweise sei im Zuge "einer systematischen Erarbeitung von Österreich schädigenden Gegenmaßnahmen" geplant, beim EuGH gegen die EU-Richtlinie zur Stromkennzeichnung zu klagen. Diese Richtlinie erlaubt es bisher den österreichischen Betreibern von Wasserkraftwerken, auf Basis ihrer ganz normalen Stromerzeugung sogenannte EECS-Zertifikate auszustellen, die dann in Deutschland und anderen EU-Staaten für die Augenwischerei mit angeblichem "Ökostrom" verwendet werden (siehe Hintergrund).

Bundesregierung mauert und hält Klage für aussichtslos

Die deutsche Regierung ließ dagegen die Ende Juli auslaufende Klagefrist ungenutzt verstreichen. Sie zeigt auch keine Bereitschaft, für Österreich als Streithelfer aufzutreten. Offenbar will sie sich weder mit Großbritannien noch mit Frankreich anlegen: Für die krisengeschüttelte Nuklearindustrie Frankreichs (150703) sind die britischen Atomstrom-Subventionen von großer Bedeutung, da die beiden Blöcke in Hinkley Point C im wesentlichen von ihr finanziert und realisiert werden sollen (131009).

In ihrer vom 16. Juni datierten Antwort auf eine Anfrage der Grünen versicherte die Bundesregierung, daß sie eine EU-Förderung oder einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke entschieden ablehne. Es sei aber ein wichtiger Grundsatz europäischer Energiepolitik, daß jeder Mitgliedstaat letztlich frei über seinen nationalen Energiemix entscheiden könne. Ihre Überprüfung des Beihilfebeschlusses der Kommission vom 8. Oktober 2014 habe ergeben, "daß es – unabhängig von der politischen Bewertung von Kernkraftförderung in der EU – im Beschlußtext selbst keine beihilferechtlichen Aussagen gibt, die nach hiesiger Ansicht so offensichtlich fehlerhaft sind, dass eine Nichtigkeitsklage hinreichend erfolgversprechend wäre".

 

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