September 2014 |
140904 |
ENERGIE-CHRONIK |
Eine Initiative der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz zur "Insolvenzsicherung der Rückstellungen für Stillegung, Abbau und Entsorgung im Atombereich" ist am 19. September im Bundesrat überraschend von der Tagesordnung abgesetzt worden – und zwar ausgerechnet auf Betreiben des rot-grün regierten Landes Nordrhein-Westfalen. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und seine hessische Kollegin Priska Hinz, die den Grünen angehören, führten dies auf den Druck der Energiekonzerne E.ON und RWE zurück, die beide in Nordrhein-Westfalen angesiedelt und politisch gut vernetzt sind. "Düsseldorf hat sich heute zum Cheflobbyist der Atomindustrie erhoben", sagte Hinz. Die Landesregierung habe "offensichtlich auf Intervention der Ministerpräsidentin" die Vertagung durchgesetzt.
Der Entschließungsantrag war von den drei Bundesländern im Juli eingebracht und von allen drei damit befaßten Ausschüssen zur Annahme empfohlen worden. Er forderte die Bundesregierung auf, die von den KKW-Betreibergesellschaften gebildeten Entsorgungs-Rücklagen so abzusichern, daß die Mutterkonzerne auch bei einer Insolvenz der Betreibergesellschaften voll und zeitlich unbegrenzt für alle Entsorgungskosten aufkommen müssen. Ferner sollte die Bundesregierung prüfen, ob die vorhandenen Nuklearrückstellungen überhaupt ausreichend sind und gegebenenfalls eine Erhöhung veranlassen. In diesem Zusammenhang rügte die Entschließung die bisher mangelnde Transparenz der Rückstellungen. Sie verlangte eine "kernkraftwerksscharfe Bilanzierung" sowie eine Differenzierung der Rückstellungen nach den unterschiedlichen Verpflichtungen.
Im früheren Atomforschungszentrum Jülich befinden sich noch immer 152 Castor-Behälter mit Brennelementekugeln aus dem Atomversuchsreaktor Jülich (AVR), der 1998 stillgelegt wurde (140616). Die Atomaufsicht beim Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen will keine weitere Verlängerung der dafür erforderlichen Genehmigung zulassen, nachdem die zuletzt gewährte Frist am 31. Juli abgelaufen ist. Sie hat das Forschungszentrum aufgefordert, bis Ende September ein detailliertes Entsorgungskonzept und die dafür erforderlichen Genehmigungen vorzulegen. Als Begründung nennt sie ein ausstehendes Gutachten über die Erdbebensicherheit des Standorts. Zur Lösung des Problems favorisiert die Atomaufsicht den Export des Atommülls in die USA. Dies wäre jedoch rechtswidrig, wie Greenpeace bereits im Juli kritisierte und am 18. September mit einem entsprechenden Rechtsgutachten belegte. Die Umweltorganisation fordert stattdessen den Neubau eines Zwischenlagers am Standort Jülich, das den Anforderungen an eine sichere Aufbewahrung der Behälter genügt, bis ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle aus den deutschen Kernkraftwerken zur Verfügung steht.
Der Hamburger Anwalt Ulrich Wollenteit, der das Rechtsgutachten erstellte, verweist zunächst auf § 9a des Atomgesetzes, der in Satz 2 die Abgabe von bestrahlten Brennelementen aus kommerziellen Reaktoren zum Zwecke der Wiederaufarbeitung untersagt. Eine solche Wiederaufarbeitung sei jedoch in den USA vorgesehen. Beim AVR Jülich habe es sich – ungeachtet seiner Nachbarschaft zum Atomforschungszentrum und seiner Bezeichnung als "Versuchsreaktor" – um einen von Stromversorgern kommerziell betriebenen Leistungsreaktor gehandelt, der unter dieses Verbot falle. Ferner verweist er auf das Standortauswahlgesetz, das der Bundestag im Juni 2013 beschloß (130601) und das in § 1 Abs. 1 ausdrücklich solche Abkommen mit anderen Staaten untersagt, durch die "eine Verbringung radioaktiver Abfälle einschließlich abgebrannter Brennelemente zum Zweck der Endlagerung außerhalb Deutschlands ermöglicht würde". Überdies würden für den vorgesehenen Transport in die USA die Kriterien nicht erfüllt, die für eine Genehmigung nach § 4 des Atomgesetzes erforderlich sind.
Nach Angaben der Umweltorganisation würde die Abschiebung des Atommülls in die USA eine Milliarde Dollar kosten. "Dieser illegale Atomtransport zeigt die Krise, in der die deutschen Behörden bei der Entsorgung hochradioaktiven Atommülls stecken", meinte Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte bei Greenpeace. Das Bundesumweltministerium müsse jetzt Verantwortung übernehmen und die Spekulationen über einen Export beenden.