Juni 2012 |
120611 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Electricité de France (EDF) muß steuerliche Erleichterungen im Wert von 1,2 Milliarden Euro, die ihr der französische Staat 1997 gewährte, nicht zurückzahlen. Dies entschied am 5. Juni auch die zweite Instanz des Gerichtshofs der Europäischen Union, nachdem am 15. Dezember 2009 bereits die erste Instanz so entschieden hatte (091215). Die EU-Kommission hatte gegen diese Entscheidung im Februar 2010 Beschwerde eingelegt.
Die Kommission hielt die 1997 gewährte Hilfestellung schon deshalb für eine verbotene Beihilfe, weil sie in Form eines Steuerverzichts erfolgte. Der französische Staat habe deshalb nicht als Eigentümer der EDF, sondern als Träger öffentlicher Belange gehandelt. Schließlich stehe einem privaten Kapitalgeber eine solche Maßnahme nicht zur Verfügung.
Diese Sichtweise teilt der Europäische Gerichtshof indessen nicht. Nach seiner Feststellung hat der französische Staat, der damals noch alleiniger Eigentümer der EDF war, wie ein privater Anteilseigner gehandelt. Daß er die Finanzspritze in Form eines Steuerverzichts anstelle einer Kapitalhilfe gewährte, sei dagegen nebensächlich.
Die EU-Kommission hatte im Oktober 2003 eine förmliche Untersuchung der Begünstigungen für die EDF eingeleitet, um eine Umstrukturierung und teilweise Privatisierung des Staatsunternehmens zu erzwingen (021007). Dabei war sie auf den Steuerverzicht aus dem Jahr 1997 gestoßen, den sie auf 888,89 Millionen Euro veranschlagte. Da sie darin eine verbotene Beihilfe sah, verlangte sie im Dezember 2003 von der EDF die Rückzahlung dieser Summe einschließlich Zinsen, was 1,217 Milliarden Euro ergab (031203). Die EDF überwies das Geld daraufhin dem Staat, bekam es aber nach dem erstinstanzlichen Urteil des Europäischen Gerichtshof wieder zurück und darf es nun endgültig behalten.
Die EDF war 1997 noch ein staatlicher Eigenbetrieb, bei dem der Staat als Eigentümer wie als Träger öffentlicher Belange fungierte. Diese Doppelrolle kam auch erklärtermaßen in der Idee des "service public" zum Ausdruck, den die EDF und die französische Regierung eine Zeitlang den Brüsseler Liberalisierungsvorstellungen entgegenzusetzen versuchten (010613, 030707). Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß der staatliche Alleineigentümer seine Finanzhilfe für die EDF durch Steuerverzicht statt durch direkte Zahlung gewährte. Die französische Regierung konnte 1997 noch nicht ahnen, daß die EU-Kommission diesen formalen Aspekt fünf Jahre später zur Einleitung eines Beihilfe-Verfahrens nutzen würde, um ihre Kampagne für den "service public" zu torpedieren.
Erst aufgrund der verschärften Entflechtungs-Vorschriften für den EU-Binnenmarkt (030601) erhielt die EDF formal einen privatrechtlichen Status als Aktiengesellschaft. Die gesetzliche Grundlage bildeten das Energiegesetz vom August 2004 (040604) und zwei Dekrete vom November desselben Jahres (041105). Im Oktober 2005 wurde mit der Teilprivatisierung begonnen (051016). Laut Gesetz hat der Staat aber mit 70 Prozent der Haupteigentümer des Unternehmens zu bleiben. Derzeit gehört die EDF noch immer zu knapp 85 Prozent dem französischen Staat. Die Berufung des EDF-Generaldirektors erfolgt durch den Staatschef höchstpersönlich, nachdem Nationalversammlung, Senat und Ministerrrat konsultiert worden sind (091017)