Februar 2011

110204

ENERGIE-CHRONIK


 

Schon bisher hat die EU ihr Ziel verfehlt, durch Wettbewerb für sinkende Preise zu sorgen. Die Kosten für den Netzausbau werden die Strom- und Gaspreise noch mehr in die Höhe treiben. Die hier dargestellten Eurostat-Durchschnittspreise für alle 27 EU-Staaten seit 2005 enthalten keine Steuern und sonstigen staatlichen Belastungen, die in Deutschland etwa zwei Fünftel des Haushaltsstrompreises ausmachen. Sie verdeutlichen so die Veränderung jener Preisbestandteile, die ausschließlich durch Erzeugung, Vertrieb und Netz bedingt sind. Zum Beispiel sieht man, daß der seit Ende 2008 erfolgte Rückgang der Strom-Großhandelspreise lediglich an die Industrie in größerem Umfang weitergegeben wurde, aber nicht bei den Haushalten ankam. Das Auf und Ab der Gaspreise ist dagegen hauptsächlich auf deren willkürliche Koppelung an den Ölpreis zurückzuführen.

Verbraucher werden mit 200 Milliarden für neue Strom- und Gasleitungen belastet

Die EU-Staaten wollen den Verbrauchern bis 2020 rund eine Billion Euro abverlangen, um den Ausbau der Energie-Infrastruktur zu finanzieren. Am 4. Februar billigten die Staats- und Regierungschefs grundsätzlich die diesbezüglichen Vorstellungen, wie sie die EU-Kommission in dem vom 19. November datierten Papier "Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach - ein Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz" entwickelt hat (101104). Etwa die Hälfte der Summe soll für den Ausbau der Strom- und Gasnetz einschließlich verbesserte Speicher- und Steuerungsmöglichkeiten ausgegeben werden. Davon entfallen wiederum 200 Milliarden Euro auf den Bau von Strom- und Gastransportleitungen.

Der Ratsbeschluß ist - wie üblich - sehr schwammig formuliert und enthält keine konkreten Angaben zu den Kosten. Diese ergeben sich erst indirekt durch die Bezugnahme auf das Papier der Kommission. Sehr deutlich bringt der Beschluß aber zum Ausdruck, daß die von der Kommission veranschlagten Summen von den europäischen Verbrauchern über die Strom- und Gaspreise aufgebracht werden sollen. Wörtlich heißt es: "Ein Großteil des erheblichen Finanzierungsaufwands für Infrastrukturinvestitionen muß vom Markt bereitgestellt werden, wobei die Kosten über die Tarife gedeckt werden." Für den Rest der Projekte, der sich nicht auf diese Weise "über den Markt" bzw. die weitere Erhöhung von Strom- und Gaspreisen finanzieren läßt, werde "in beschränktem Ausmaß eine Finanzierung aus öffentlichen Mitteln erforderlich sein". Das heißt, daß die Bürger der EU auch als Steuerzahler für den Billionen-Plan der Kommission aufkommen müssen.

Technisch notwendiger Netzausbau wird mit Stromhandel vermengt

Die EU-Kommission begründet ihre Billionen-Forderung mit einem bunten Strauß an Argumenten, wobei viel von integriertem Binnenmarkt, ungehindertem Wettbewerb, Kostensenkungen, Förderung der Erneuerbaren, Klimaschutzzielen und Energieeinsparung die Rede ist. Indessen kann sie damit nicht verdecken, daß den Verbrauchern insgesamt ein enormer weiterer Kostenanstieg bevorsteht und der Stromverbrauch weiter zunehmen wird, während die gesteckten Klimaschutzziele höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden.

Die von der Kommission vorgelegten Papiere vermengen ferner - sicher nicht unabsichtlich - einen tatsächlich notwendigen Stromnetzausbau, wie er aus Gründen der Versorgungssicherheit erforderlich wird, mit dem Bau von solchen "Stromautobahnen", die lediglich oder hauptsächlich einem vermehrten Stromhandel und der grenzüberschreitenden Nutzung von (Kern-) Kraftwerkskapazitäten dienen sollen. Technisch notwendige Netzausbauten ergeben sich derzeit vor allem aus der verbrauchsfernen und fluktuierenden Einspeisung von Windkraftanlagen. Der Anschluß der baltischen Staaten an das westeuropäische Verbundnetz läßt sich ebenfalls netztechnisch begründen. Je nach Kapazität der Verbindungen wird damit aber auch der Stromtransport aus neuen Kernkraftwerken im Baltikum, aus Finnland oder aus dem russischen Teil Ostpreußens nach Westen möglich (100102).

"Ein Scheitern können wir uns nicht leisten"

Die Liberalisierung des europäischen Strommarkts war bisher ein einziges Fiasko, soweit sie angeblich zu Preissenkungen durch Wettbewerb führen sollte. Die Umstellung der Stromproduktion auf erneuerbare Energien und die hoch gesteckten Klimaschutzziele der EU treiben die Strompreise noch mehr in die Höhe. Der EU-Kommission scheint bewußt zu sein, daß sie damit den Bogen allmählich überspannt und die Zumutungen nicht endlos steigern kann. In dem vom 15. Dezember 2010 datierten Papier "Energie 2020 - Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie" schlägt sie deshalb einleitend einen ungewöhnlich beschwörend-dramatischem Ton an: "Ein Scheitern können wir uns nicht leisten. Es wird Jahrzehnte dauern, unsere Energiesysteme auf einen sichereren und nachhaltigeren Weg zu bringen."

"EU muß ihre Führungsrolle im Bereich der Kernenergie behalten"

Um ein Scheitern ihrer Politik zu verhindern, setzt die Kommission nicht zuletzt auf den Ausbau der Kernenergie. In dem jetzt gefaßten Ratsbeschluß und dem Infrastruktur-Papier der Kommission wird dieses Thema zwar nicht angesprochen. In dem fast gleichzeitig beschlossenen Papier "Energie 2020" heißt es jedoch sehr deutlich:

"Der Beitrag der Kernenergie, auf die ungefähr ein Drittel des in der EU erzeugten und zwei Drittel des CO2-frei erzeugten Stroms entfallen, muss offen und objektiv beurteilt werden. Sämtliche Bestimmungen des Euratom-Vertrags müssen streng angewandt werden, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit. Angesichts des erstarkten Interesses an dieser Form der Stromerzeugung in Europa und weltweit muss die Forschung im Bereich der Technologien für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und deren sichere Anwendung fortgeführt werden. Ebenso muss die längerfristige Zukunft durch die Entwicklung von Kernspaltungssystemen der nächsten Generation (größere Nachhaltigkeit und Kraft-Wärme-Kopplung) und durch die Kernfusion (ITER) vorbereitet werden."

An anderer Stelle ihres Papiers fordert die Kommission: "Die EU muss weiterhin weltweit führend sein bei der Entwicklung von Systemen für sichere Kernkraft, für den Transport radioaktiver Stoffe und für die Entsorgung nuklearer Abfälle." Unterer anderem müsse "eine stärkere Harmonisierung der Kraftwerkskonstruktion" erreicht werden. "Alle diese Maßnahmen sollten es der EU ermöglichen, ihre Führungsrolle im Bereich der sicheren Kernenergie zu behalten, und sollten zur verantwortungsbewussten Nutzung der Kernenergie weltweit beitragen."

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