Juli 2009 |
090701 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks Krümmel nach einem insgesamt zwei Jahre dauernden Stillstand geriet Anfang Juli zu einem einzigartigen Desaster, das sogar kernkraftfreundliche Kreise gegen den Betreiber Vattenfall aufbrachte, da es die Risiken der Nukleartechnik wieder einmal zu belegen schien und damit im beginnenden Bundestagswahlkampf die Position der Ausstiegsbefürworter stärkte. Die Betriebsstörungen, die zur erneuten Abschaltung des Reaktors führten, betrafen allerdings nicht den nuklearen Teil, sondern Transformatoren und andere konventionelle Technik. Insofern konnte auch nicht von einem "Störfall" oder auch nur von einer "Störung" im Sinne der INES-Skala die Rede sein. Eher beiläufig wurde anschließend ein beschädigtes Brennelement entdeckt.
Um eine Wiederholung des Fiaskos zu verhindern, will Vattenfall nun die beiden Transformatoren, die das Kernkraftwerkwerk Krümmel mit dem Höchstspannungsnetz verbinden, komplett ersetzen. Die Beschaffung und der Austausch der Trafos würden aber mindestens mehrere Monate in Anspruch nehmen, sagte der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europa, Tuomo Hatakka. Das Kernkraftwerk werde deshalb bis auf weiteres nicht wieder ans Netz gehen.
Das Kernkraftwerk Krümmel hatte am 16. Juni bei dem für die Atomaufsicht zuständigen Sozialministerium in Kiel die Betriebsbereitschaft gemeldet und die Zustimmung zum Wiederanfahren beantragt. Am 19. Juni kam die Genehmigung, worauf der Reaktor unverzüglich hochgefahren wurde und am 24. Juni seine volle Leistung erreichte. "In den vergangenen zwei Jahren wurden rund 200 technische Änderungen zur Anlagenverbesserung und -instandsetzung durchgeführt", teilte der Betreiber Vattenfall aus diesem Anlaß mit. Auch Organisation und Verwaltung des Kernkraftwerks seien "optimiert" worden.
Mit dieser "Optimierung" war es aber wohl nicht weit her, wie sich bald herausstellte. Zunächst wurde am Reaktorschutzsystem an einer von rund 300 Zeitüberwachungsbaugruppen ein Defekt festgestellt und mit "INES null" eingestuft. Am Nachmittag des 1. Juli versagte dann ein Transformator, der Strom für den Eigenbedarf des Kernkraftwerks lieferte, weil ein Ventil zum Druckausgleichsbehälter des Trafos fehlerhaft eingestellt war. Als Folge schaltete sich die Turbine mit dem Generator automatisch ab und der Reaktor reduzierte seine Leistung auf 15 Prozent. Erst abends konnte der Turbosatz wieder mit verringerter Leistung ans Netz gehen. Es dauerte zwei Tage, bis der Eigentransformator repariert war und der Generator wieder seine volle Leistung abgeben konnte.
Diese Pannen waren indessen nur ein Vorspiel: Am 4. Juli, um 12.02 Uhr, trat in einem der beiden Transformatoren, die den vom Kraftwerk erzeugten Strom ins 380-kV-Netz einspeisen, ein Kurzschluß auf. Damit wiederholte sich der Defekt, der vor zwei Jahren am anderen Transformator aufgetreten war und zu dem zweijährigen Stillstand des Kernkraftwerks geführt hatte. Er betraf nun den damals unversehrt gebliebenen Transformator gleicher Bauart, der inzwischen von Sachverständigen untersucht und zur Wiederinbetriebnahme freigegeben worden war. Wie vor zwei Jahren kam es durch den Kurzschluß auch jetzt automatisch zu einer Schnellabschaltung des Reaktors. Zugleich trennte sich das Kernkraftwerk vom Netz und schaltete auf Fremdstromversorgung zur Deckung seines Eigenbedarfs um. In Hamburg kam es dadurch zu einem Spannungseinbruch und Störungen der Stromversorgung. Unter anderem fielen die meisten Ampelanlagen aus.
Im Unterschied zum Kurzschluß vor zwei Jahren geriet der Trafo dieses Mal nicht in Brand, was eine genauere Untersuchung der Schadensursache ermöglicht. Eine erste Überprüfung ergab, dass eine vorgesehene Überwachungseinrichtung, die sogenannte Teilentladungsmessung, nicht vor dem Wiederanfahren des Kraftwerks installiert worden war. Der Kraftwerksleiter Hans-Dieter Lucht übernahm dafür die Verantwortung und wurde seines Postens enthoben.
Bei der Reaktorschnellabschaltung traten nach Angaben von Vattenfall "einzelne technische Abweichungen" auf: Bei einem der 205 Steuerstäbe habe der elektrische Antrieb nicht wie vorgesehen funktioniert. Beim Reaktorwasser-Reinigungssystem sei die Kühlung für etwa vier Stunden ausgefallen. Außerdem habe sich bei Messungen der Aktivität des Reaktorwassers herausgestellt, daß einer der insgesamt 80.000 Brennstäbe in den 840 Brennelementen beschädigt war. Alle diese Abweichungen hätten aber mit der Schnellabschaltung nichts zu tun gehabt und seien auch sonst nicht sicherheitsrelevant gewesen.
Zum technischen Fiasko kam erneut eine Kommunikationspanne: Nach der Reaktorschnellabschaltung um 12.02 Uhr wurde um 12.20 zunächst die Polizei im benachbarten Geesthacht verständigt, die fünf Minuten später am Werkstor erschien, um nähere Informationen einzuholen. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium als zuständige Aufsichtsbehörde wurde dagegen erst um 13.35 telefonisch und um 14.15 per Fax unterrichtet. Unterdessen hatte das Sozialministerium bereits über die Polizei bzw. das Innenministerium von der Schnellabschaltung erfahren und gab um 14.02 eine erste Pressemitteilung heraus – noch vor dem Betreiber Vattenfall, der erstmals um 14.27 Uhr mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit trat.
Am 24. Juli kam es auch im Kernkraftwerk Emsland bei Lingen zu einer Schnellabschaltung des Reaktors, weil die Überwachungseinrichtung eines Transformators nicht richtig funktionierte. Der Betreiber RWE stellte zunächst das Wiederanfahren der Anlage für den 29. Juli in Aussicht. Das Bundesumweltministerium intervenierte jedoch und verpflichtete die niedersächsische Atomaufsicht, die Wiederinbetriebnahme nur mit seiner Zustimmung zu erlauben. Die Reparatur der Überwachungseinrichtung reiche nicht aus. Nach dem selbsttätigen Abschalten des Transformators habe die Anlage nämlich nicht, wie im Sicherheitskonzept vorgesehen, mit einer schrittweisen Reduzierung der Leistung und einem damit verbundenen schonenden Abfahren des nuklearen Teils der Anlage reagiert. Vielmehr hätten aus bisher ungeklärten Gründen unterschiedliche Füllstände in den Dampferzeugern zur Auslösung von Reaktorschutzsignalen und damit zu einer Reaktorschnellabschaltung geführt. Gemäß den Sicherheitsanforderungen sollten solche Schnellabschaltungen aber möglichst vermieden werden, da davon weitere Sicherheitsprobleme ausgehen könnten. Vor dem Wiederanfahren sei es deshalb unbedingt erforderlich, die Ursachen der Reaktorschnellabschaltung zu klären.
Mögliche Probleme mit einem Transformator veranlaßten die Energie Baden-Württemberg (EnBW) am 24. Juli zur Abschaltung von Block 2 des Kernkraftwerks Philippsburg, der erst am 22. Juli nach der Jahresrevision wieder ans Netz gegangen war. Betriebliche Messungen hatten zuvor Hinweise ergeben, dass die Isolationseigenschaft des Trafo-Öls vermindert sein könnte. Die Entnahme der erforderlichen Ölproben wäre im Leistungsbetrieb nicht möglich gewesen. Nachdem die Auswertung der Ölproben ergab, daß diese den vorgegebenen Normen und Richtwerten entsprachen, ging der Block am 26. Juli wieder ans Netz.
In Biblis stehen vorerst beide Blöcke still, nachdem Block B am 23. Januar und Block A am 27. Februar zur Durchführung der jährlichen Revision abgefahren wurden. Die Inspektion ergab bei beiden Blöcken seitdem eine ganze Reihe von meldepflichtigen Unregelmäßigkeiten. Offenbar zögert der Betreiber RWE so kurz vor den Bundestagswahlen mit einer Wiederinbetriebnahme, da weitere Pannen dann eine fatale Öffentlichkeitswirkung haben könnten. Mit dem CDU-geführten hessischen Umweltministerium wurde im Juli vereinbart, in Biblis B schon jetzt die Nachrüstung der sogenannten Sumpfsiebe vorzunehmen, die erst für die nächste Revision geplant war. Hintergrund der Nachrüstung sind Befürchtungen, daß abgelöstes Isolationsmaterial die Sumpfsiebe verstopfen und dadurch die Kühlung des Reaktorkerns ausfallen könnte.