Mai 2008 |
080502 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der seit einem Jahr andauernde Machtkampf um die Führung bei der ostdeutschen VNG Verbundnetz Gas erreichte inzwischen sogar den Bundestag: Zwei Abgeordnete der Unionsparteien begehrten von der Bundesregierung Auskunft darüber, ob der Oldenburger Energieversorger EWE nicht gegen die Auflagen der Ministererlaubnis zur Fusion von E.ON und Ruhrgas verstoße, wenn er nun anstelle des geplatzten Konsortialvertrags mit den ostdeutschen Kommunen die Mehrheit an der entlaufenen Quasi-Tochter anstrebe. Außerdem kam das Thema am 7. Mai im Wirtschaftsausschuß des Bundestags zur Sprache.
Den einen Vorstoß unternahm der CDU-Abgeordnete Martin Kolbe, indem er in der Fragestunde des Bundestags am 23. April 2008 Auskunft darüber begehrte, ob die Bundesregierung noch zu den "Vorgaben der Ministererlaubnis" aus dem Jahr 2002 stehe, die eine Weiterführung der VNG als unabhängiges Unternehmen "festgeschrieben" hätten. Staatssekretär Schauerte vom Bundeswirtschaftsministerium bestätigte, daß die Verkaufsauflage seinerzeit so begründet wurde. E.ON habe diese Auflage aber durch die Veräußerung der VNG-Anteile an EWE, ostdeutsche Stadtwerke und einen weiteren Investor (Gaz de France) in den Jahren 2003/2004 vollständig erfüllt. Das Bundeswirtschaftsministerium habe auch entsprechend den Vorgaben der Ministererlaubnis geprüft, ob der von E.ON vorgeschlagene Erwerber EWE zum Zeitpunkt des Erwerbes den Anforderungen an einen strategischen Investor im Sinne der Auflagen entsprach. Es habe diese Frage bejaht und dem Erwerb zugestimmt. "Eine spätere Überprüfung des Vorliegens der Auflagenkriterien ist in der Ministererlaubnis nicht vorgesehen", betonte Schauerte. "Das für die Ministererlaubnis zuständige BMWi sieht die gesamte Auflage als vollständig und abschließend erfüllt an."
Parallel dazu wollte der CDU-Abgeordnete Martin Grund in einer schriftlichen Anfrage wissen, wie die Bundesregierung den "Geist" der Ministererlaubnis zu gewährleisten gedenke, demzufolge die VNG als eigenständiges Unternehmen erhalten bleiben sollte. In seiner Antwort vom 28. April stellte Staatssekretär Otremba vom Bundeswirtschaftsministerium ebenfalls klar, daß die Absichtserklärung zur Erhaltung der VNG als aktiver Wettbewerber auf der Ferngasstufe nicht die EWE betraf, sondern lediglich zur Begründung der Auflagen diente, die E.ON zu erfüllen hatte.
Es gibt demzufolge keine politische Handhabe, um die EWE am Erwerb der VNG-Mehrheit zu hindern. Staatssekretär Schauerte erinnerte in seiner Antwort daran, daß er seinerzeit als CDU-Politiker "alles darangesetzt habe, diese Ministererlaubnis zu verhindern". Nun sehe man, dass sie auch wenig praktikabel und "im doppeltem Sinne ein Fehler" gewesen sei.
Inzwischen kursieren Gerüchte, wonach der strategische Partner, nach dem die EWE derzeit sucht und dem sie möglicherweise sogar ihre Aktienmehrheit überlassen möchte (080203), ausgerechnet der E.ON-Konzern sein könnte, der vor acht Jahren seinen 27,4-Prozent-Anteil an EWE abgeben mußte. Möglicherweise arrangiert sich E.ON dann sogar mit den Minderheitsaktionären Wintershall und Gazprom, die bisher zusammen 21 Prozent an VNG besitzen und als der eigentliche Widersacher der EWE im gegenwärtigen Machtkampf um die Führung des Unternehmens gelten. Schließlich kooperieren beide Seiten schon beim Pipeline-Projekt durch die Ostsee. In diesem Fall hätte allerdings das Bundeskartellamt ein gewichtiges Wort mitzureden. Mit einer nochmaligen Ministererlaubnis zur Aushebelung seines Einspruchs gegen einen Einstieg von E.ON bei EWE wäre unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu rechnen.
Interessante Details zur Vorgeschichte des aktuellen Streits um VNG veröffentlichte am 20. Mai die "Frankfurter Allgemeine": Demnach unterzeichneten die Vorstandsvorsitzenden von EWE und VNG, Werner Brinker und Klaus Ewald Holst, am 27. Mai 2004 eine Absichtserklärung zur Bildung einer neuen Energie-Holding mit Sitz in Potsdam. Unter dem gemeinsamen Dach sollte VNG das gesamte Erdgasgeschäft der EWE übernehmen und dafür dieser alle Strom-, Fernwärme- und Telekommunikationsaktivitäten überlassen. Es wurden sogar Holding-Beauftragte eingesetzt und paritätisch besetzte Arbeitsgruppen, um das Projekt spätestens bis 2006 zu verwirklichen. Auch die wechselseitige Entsendung von Vorständen in die Führungsgremien gehörte zu diesem Konzept. Weshalb es dann doch nicht zur Verwirklichung dieser geheimgehaltenen Absichtserklärung kam und stattdessen ein offener Machtkampf um die Führung der VNG entbrannte, bleibt vorläufig unklar. Nach Angaben des Blattes sagte ein EWE-Sprecher dazu, die Aktionäre seines Unternehmens hätten die Pläne abgelehnt, da deren "Umsetzung an bestimmte Bedingungen gebunden war, die nach Unterzeichnung nicht eingetreten sind".
Der VNG-Vorstandsvorsitzende Holst bestätigte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (21.5.) die früheren Pläne für eine "fünfte Kraft" am deutschen Energiemarkt. Er behauptete sogar, die Bundesregierung habe die Fusion von E.ON und Ruhrgas nur deshalb freigegeben, weil er dieses Modell gemeinsam mit EWE-Chef Brinker vorgeschlagen und damit die Zustimmung der ostdeutschen Ministerpräsidenten gefunden habe. Holsts Sichtweise der Dinge liegt auf der Linie der Anfragen der beiden CDU-Abgeordneten im Bundestag und dürfte ein erneuter Versuch sein, politischen Beistand zur Abwehr der EWE-Offensive zu gewinnen. "Jetzt geht es ohne die Mitwirkung der Politik nicht mehr weiter", sagte er wörtlich der Zeitung.
Die im Juli 2002 erteilte Ministererlaubnis verpflichtete E.ON unter anderem, sich völlig aus der ostdeutschen VNG zurückziehen und auch die bisher 27,4 Prozent betragende Beteiligung an der EWE zu verkaufen. Die bisherige Ruhrgas-Beteiligung von 36,84 Prozent mußte bis zu einem Anteil von zehn Prozent vorrangig den ostdeutschen Stadtwerken oder der VNG selber zum Kauf angeboten werden. Der restliche Anteil von 26,84 Prozent (einschließlich der bisherigen E.ON-Beteiligung von 5,26 Prozent) mußte an unabhängige Käufer veräußert werden (020701).
Es dauerte indessen bis Ende 2003, ehe der E.ON-Konzern seine insgesamt 42,11 Prozent betragenden Beteiligung an VNG verkaufen konnte, wobei die EWE den Großteil übernahm und insgesamt knapp 48 Prozent hielt. Über einen Konsortialvertrag mit elf ostdeutschen Kommunen, die insgesamt 25,79 Prozent an der VNG besaßen, sicherte sich EWE überdies die unternehmerische Führung und konnte bis zum offenen Konflikt mit den Konsortialpartnern die VNG in ihrer Bilanz konsolidieren (070808).
Nachdem die Stadtwerke Jena sich bereiterklärt haben, ihre Mini-Beteiligung von 1,04 Prozent an der VNG der EWE zu überlassen (080409), braucht die EWE nur noch die Verkaufsbereitschaft eines weiteren Mitglieds des Stadtwerke-Kosortiums, um in den Besitz der Mehrheit zu gelangen. Die anderen der elf ostdeutschen Stadtwerke versuchen inzwischen, den drohenden Verlust ihrer Sperrminorität mit gerichtlichen Schritten zu verhindern. Die VNG Verbundnetz Gas Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH (VNG VuB), in der sie ihre Beteiligungen an der VNG bündeln, hat beim Landgericht Gera Klage gegen die Stadtwerke Jena erhoben, weil diese das Vorkaufsrecht der anderen Konsortialpartner verletzen würden.