Oktober 2004 |
041001 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Auseinandersetzung um den Entwurf für das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verabschiedete die Bundesregierung am 27. Oktober ihre Gegenäußerung zu den umfangreichen Änderungswünschen des Bundesrats (040901). Darin lehnt sie die meisten Änderungsvorschläge ab oder ist allenfalls bereit, diese zu "prüfen". Auch der Forderung nach einer Vorab-Genehmigung der Netznutzungsentgelte durch die Regulierungsbehörde in § 21 wird grundsätzlich widersprochen. Die Bundesregierung kommt den Ländern jedoch insoweit entgegen, als sie die vom Bundesrat verlangte Etablierung einer "Anreizregulierung" im EnWG aufgreift und bis zum Wirksamwerden einer entsprechenden Regelung mit der Vorab-Regulierung der Netzzugangsentgelte einverstanden ist.
In einer am selben Tag veröffentlichten Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums wurde diese Ankündigung dahingehend präzisiert, daß für eine "maximal zweijährige Startphase bis zur Anreizregulierung" die Regulierungsbehörde alle Erhöhungen von Netznutzungsentgelten vorab ("ex ante") genehmigen muß. Anschließend soll die Behörde für längstens fünf Jahre "feste Vorgaben für die Netzentgelte setzen", um einen "Anreiz zur Effizienzerhöhung des Netzbetriebs" zu schaffen. Ferner will die Bundesregierung die Regulierungsbehörde anweisen, "sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes alle nach dem 1. August 2004 erhöhten Entgelte nachträglich ('ex post') zu überprüfen".
Bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs zum neuen EnWG am 28. Oktober trug Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) diese geplanten Änderungen auch dem Bundestag vor und äußerte die Hoffnung, damit die ablehnende Haltung des Bundesrats überwinden zu können. Die Opposition aus Union und FDP kritisierte unter anderem die geplante Finanzierung der Regulierungsbehörde durch die Netzbetreiber in § 92 und die den Verbraucherverbänden eingeräumte Klagemöglichkeit bei Rechtsverstößen in § 32 Abs. 2. Der CDU-Abgeordnete Rolf Bietmann beanstandete die mangelnde Präzision des Gesetzentwurfs: Wesentliche Regelungen, die in den Gesetzestext selber gehörten, würden Verordnungen überlassen und so am Parlament vorbei der Regierung übertragen.
Die erste Lesung des Regierungsentwurfs für das neue Energiewirtschaftsgesetz war zunächst für den 21. Oktober angesetzt worden. Sie wurde dann aber abgesagt und auf den 28. Oktober vertagt - anscheinend deshalb, weil die Bundesregierung sich hinsichtlich der "Anreizregulierung" und der ihr vorausgehenden befristeten Vorab-Genehmigung der Netznutzungsentgelte noch nicht einig geworden war.
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hatte die Forderung des Bundesrats nach einer Vorab-Genehmigung zunächst pauschal zurückgewiesen. Mit seinem Einlenken kam er auch Wünschen des grünen Koalitionspartners entgegen. Im Bundestag scheint die Neuregelung über die Regierungsparteien hinaus konsensfähig zu sein. Es bleibt indessen abzuwarten, ob der Bundesrat sich mit diesem Zugeständnis zufrieden geben und auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichten wird. Zum einen ist die "ex ante"-Regulierung erklärtermaßen nur für eine "Übergangs- und Startphase der Regulierung" vorgesehen. Zum anderen ist vorerst noch unklar, wie die von der Bundesregierung geplante "Anreizregulierung" im Detail aussehen soll und was sie tatsächlich bewirken würde.
Anscheinend ließ sich die Bundesregierung bei ihrem Konzept der "Anreizregulierung" von einem Papier inspirieren, das die Energie Baden-Württemberg (EnBW) am 9. September vorgelegt hatte. Die EnBW schlug darin vor, daß die vom Regulierer ermittelten individuellen Kosten eines Netzbetreibers zunächst auf fünf Jahre festgeschrieben werden. Der Netzbetreiber soll so zu Kostensenkungen stimuliert werden, die er als Gewinn behalten darf. Nach Ablauf der fünf Jahre erfolgt eine erneute Festsetzung der Höchstgrenze der Einnahme, wobei sich der Regulierer jedoch an den Kosten vergleichbarer Netzbetreiber orientiert. Der neu entstandene Branchendurchschnitt würde im Regelfall unter den alten Kosten liegen und so eine Senkung der Netznutzungsentgelte bewirken.
Die EnBW begrüßte am 27. Oktober ausdrücklich die neue Auffassung des Bundeskabinetts, zu der ihr Regulierungsmodell "wichtige Anstöße" gegeben habe. Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) sprach dagegen von "Regelungen, die tief in die Wirtschaftsordnung eingreifen und dem Regulator zu Lasten von Rechts- und Versorgungssicherheit freie Hand zur Investitionslenkung geben würden".
Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium auch die Referentenentwürfe zur Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) und Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) vorgelegt. Beide Verordnungen flankieren den Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) kritisierte die Netzentgeltverordnung, weil sie die "Beachtung der Nettosubstanzerhaltung", wie sie in § 21 Abs. 2 des EnWG-Entwurfs vorgesehen ist, faktisch aushöhle. Ähnlich äußerte sich der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme verlangt, das Prinzip der Nettosubstanzerhaltung gänzlich aus dem EnWG zu streichen und durch die Methode der Realkapitalerhaltung zu ersetzen (040901).
Während noch immer ungewiß ist, wann das neue Energiewirtschaftsgesetz tatsächlich in Kraft treten kann, hat die EU-Kommission am 13. Oktober achtzehn EU-Staaten, darunter Deutschland, wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinien zur Öffnung der europäischen Märkte für Strom und Gas (030601) abgemahnt. Die anderen Länder sind Belgien, Estland, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Spanien und Tschechien. Gemäß den beiden Richtlinien müßten seit dem 1. Juli 2004 die Industriekunden und ab 1. Juli 2007 auch die Haushaltskunden ihre Stromversorger frei wählen können. Tatsächlich fehlt es aber in den meisten EU-Staaten bisher an der Umsetzung dieser Vorgaben in nationales Recht.
Die Kommission verwies in diesem Zusammenhang darauf,
daß die tatsächliche Liberalisierung nicht an der Umsetzung
der Richtlinien in nationales Recht gemessen werde, sondern anhand von
Indikatoren wie der Zahl der Lieferantenwechsel.