Juli 2004 |
040702 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundeskabinett verabschiedete am 28. Juli den Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, das eigentlich schon zum 1. Juli 2004 hätte in Kraft treten müssen, um den EU-Richtlinien zur Öffnung der europäischen Binnenmarkte für Strom und Gas zu genügen (040603). Die wichtigste Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage besteht darin, daß künftig auch in Deutschland die rund 1700 Betreiber von Strom- und Gasnetzen einer staatlichen Aufsicht unterliegen. Diese wird von der bisherigen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) unter der neuen Bezeichnung "Bundesregulierungsbehörde für Elektrizität, Gas, Telekommunikation und Post" wahrgenommen. Allerdings unterliegen die von den Netzbetreibern erhobenen Entgelte nur nachträglich ("ex post") der Überprüfung durch die Regulierungsbehörde. Entsprechend den EU-Vorgaben wird ferner den vertikal integrierten Stromversorgern eine rechtliche Entflechtung des Netz- und Vertriebsbereichs auferlegt. Damit sollen die Diskriminierung von Konkurrenten durch überhöhte Netzkosten und Quersubventionierungen innerhalb des eigenen Konzerns verhindert werden. Eine weitere Neuerung ist die Verpflichtung der Stromversorger, Rechnungen und Werbematerialien mit einem Herkunftsnachweis des gelieferten Stroms zu versehen.
Das neue Energiewirtschaftsgesetz und das Gesetz über die Regulierungsbehörde sind eingebettet in ein insgesamt fünf Artikel umfassendes "Zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts", das einschließlich der Begründung 154 Seiten zählt. Allein das Energiewirtschaftsgesetz nimmt davon 63 Seiten in Anspruch. Mit insgesamt 118 Paragraphen übertrifft es den Umfang des derzeit gültigen Gesetzes (19 Paragraphen) um ein vielfaches. Die Entflechtung wird in den Paragraphen 6 bis 8, die Regulierung in den Paragraphen 11 bis 35 und die Stromkennzeichnung in Paragraph 42 geregelt. Vom ersten inoffiziellen Textentwurf weicht die jetzt vorgelegte Fassung unter anderem darin ab, daß Paragraph 21 die Regulierungsbehörde zur Durchführung eines sogenannten Vergleichsverfahrens ermächtigt: Wenn sich dabei herausstellt, dass die Entgelte, Erlöse oder Kosten einzelner Netzbetreiber deutlich höher liegen als die von vergleichbaren Netzbetreibern, so wird von Amts wegen vermutet, "dass sie einer energiewirtschaftlich rationellen Betriebsführung nicht entsprechen". Der Netzbetreiber hat somit zu beweisen, daß diese Vermutung nicht den Tatsachen entspricht. Den Verbraucherverbänden wird in den Paragraphen 31 und 66 das Recht eingeräumt, ein Mißbrauchsverfahren bei der Regulierungsbehörde zu beantragen. Dem Bundesumweltministerium ist es gelungen, sich in Paragraph 49 ein gewisses Mitsprachrecht bei den Erneuerbaren Energien zu sichern. Nicht durchgedrungen ist der grüne Koalitionspartner dagegen mit der Forderung, In Paragraph 3 des Gesetzes über die Regulierungsbehörde die Zahl der Vizepräsidenten von zwei auf drei zu erhöhen.
Das Gesetz soll nun Anfang 2005 in Kraft treten, doch wird bereits mit weiteren Verzögerungen bis Mitte 2005 gerechnet. Die von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) durchgesetzte "ex post"-Kontrolle durch die Regulierungsbehörde stößt auf den Widerstand mehrerer Länder, die eine "ex ante"-Kontrolle für unerläßlich halten, um überhöhte Netzentgelte zu verhindern. Da das Gesetz der Zustimmung der Ländervertretung bedarf, ist eine Einigung erst im Vermittlungsausschuß zu erwarten.
Zeitgleich mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz sollen Verordnungen in Kraft treten, die den Netzzugang und die Preisfindung für die Netzentgelte regeln. Beide Verordnungstexte befinden sich noch in Arbeit.
Der Gesetzentwurf wurde sowohl von den Stromversorgern als auch von den Stromverbrauchern kritisiert. Nach Meinung des Verbands der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) enthält er "immer noch eine Fülle von vagen, teilweise widersprüchlichen Vorgaben". Außerdem mißfällt dem Branchenverband die vorgesehene Beteiligung der Netzbetreiber an der Finanzierung der Regulierungsbehörde. Nach Ansicht des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) zielt der Gesetzentwurf auf eine "massive Senkung der Netznutzungsentgelte", was zur Verringerung der Investitionen in die Netze und damit zu einer "potentiellen Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit" führen würde. Die Vorsitzende des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Edda Müller, wiederholte ihre scharfe Kritik an der "verfehlten" Energiepolitik der Bundesregierung und bekräftigte ihre Auffassung, daß die Kompetenzen der Regulierungsbehörde zu gering seien, um wirksam gegen überhöhte Netznutzungsentgelte vorzugehen (040703). Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Bunds der Energieverbraucher, Aribert Peters.