Kartellbehörden wollen verstärkt gegen
überhöhte Netznutzungsentgelte vorgehen
Das Bundeskartellamt und die Landeskartellbehörden
wollen künftig verstärkt gegen "mißbräuchliche Praktiken"
der Betreiber von Stromnetzen vorgehen. Wie das Bundeskartellamt am 24.4.
mitteilte, stützen sie sich dabei auf das Papier, das eine gemeinsame
Arbeitsgruppe erstellt hat (001016 und 010203).
Der vom 19. April datierte Bericht umfaßt insgesamt 72 Seiten und
wird auf der Internet-Seite des Bundeskartellamts zum Herunterladen
angeboten.
Der Bericht soll die Rechtssicherheit für die
Marktteilnehmer verbessern. Nach Feststellung der Arbeitsgruppe ist eine
flächendeckende Überprüfung der Netznutzungsentgelte und
Behinderungspraktiken der ca. 800 Netzbetreiber ohne personelle Verstärkung
derzeit nicht möglich. Der Bericht soll deshalb als Basis für
ein einheitliches und arbeitsteiliges Vorgehen dienen, um in Musterverfahren
einzelne Streitfragen der Netznutzung gerichtlich klären zu lassen.
Die Kartellbehörden erwarten, daß sich die Mehrzahl der Unternehmen
an ihrer Rechtsauffassung orientieren.
Zur Verbändevereinbarung II (991201) wird in dem Bericht festgestellt, daß sie keine rechtliche
Bindungswirkung habe: Selbst für die Mitglieder der beteiligten Verbände
habe sie "nicht mehr als Empfehlungscharakter".
Grundsätzlich sehen die Kartellbehörden
die Gefahr, daß integrierte Versorger ihre Netznutzungsentgelte möglichst
hoch kalkulieren, um andere Stromanbieter zu diskriminieren. Mit den Gewinnen
aus den überhöhten Netznutzungsentgelten könnten sie die
rechnerischen Verluste im Vertriebsbereich leicht wieder ausgleichen.
Im einzelnen benennt der Bericht der Arbeitsgruppe
folgende Konfliktpunkte, um die es zu Musterprozessen mit Netzbetreibern
kommen könnte:
-
Wechselgebühren: Sie sind nach Auffassung
der Kartellbehörden in erster Linie am "Behinderungsverbot" zu messen.
Soweit dem Netzbetreiber tatsächlich eine Mehrbelastung durch den
Kundenwechsel entsteht, darf er diese nicht einseitig dem wechselnden Kunden
aufbürden. Vielmehr muß das Interesse der nicht wechselnden
Kunden hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einem unbeschränkten
Wettbewerb sowie den Interessen der wechselnden Kunden zurückstehen.
-
Abschluß von Netznutzungsverträgen:
Es ist kartellrechtswidrig, wenn der Netzbetreiber auf dem separaten Abschluß
von Netznutzungsverträgen mit Endkunden besteht. Die Wettbewerber
werden dadurch ungerechtfertigt benachteiligt, weil sie ihren Kunden kein
umfassendes - d.h. die Netznutzungsentgelte miteinschließendes -
Stromlieferungsangebot machen können. Besonders groß werde die
"Abschreckung", wenn der Netzbetreiber die wechselwilligen Kunden auch
noch mit unüberschaubaren, komplizierten Vertragstexten konfrontiere.
-
Kritisch sehen die Kartellbehörden auch sogenannte
Doppelverträge,
wie sie neuerdings das RWE und die Stadtwerke Münster vereinbart haben
(010312). Bei diesen Doppelverträgen erbringt der Netzbetreiber
die Leistung "Netznutzung" gegenüber dem Händler, der den Kunden
mit Strom beliefert. Der Lieferant hat dadurch die Möglichkeit, ein
"Alles-inbegriffen-Angebot" vorzulegen. Der Netznutzungsvertrag mit dem
Kunden ruht unterdessen, um nach Ende der Belieferung wiederaufzuleben.
Nach Meinung der Kartellbehörden wird mit dieser juristischen Konstruktion
dem Kunden "das Insolvenzrisiko des Händlers über das gebührende
Maß vor Augen geführt". Er werde "zum Vertragspartner des Netznutzungsvertrags
für einen Eventualfall gemacht, ohne daß er den Umfang seiner
Rechte und Pflichten genau kennt". In jedem Fall sei es kartellrechtswidrig,
wenn Lieferanten und Kunden keine andere Wahl bleibt als der Abschluß
solcher Doppelverträge.
-
Regelenergie: Hier halten es die Kartellbehörden
für ungerechtfertigt, daß gemäß Verbändevereinbarung
II den Bilanzkreisen ein zusätzlicher Regelleistungspreis in Rechnung
gestellt wird, sobald ihre Einspeisungen unter das sogenannte Toleranzband
(plus/minus fünf Prozent des Sollwerts) absinken. Die Netzbetreiber
hätten dadurch unbegründete Mehrerlöse, da ihre tatsächlichen
Kosten für die Bereitstellung von Regelleistung aufgrund des Durchmischungseffektes
sämtlicher Mehr- und Mindereinspeisungen im Netz geringer seien und
sogar gegen Null tendieren könnten. Besonders behindernd sei diese
Praxis für kleine Händler, die nur wenig Kunden zu einem Bilanzkreis
zusammenfassen können.
-
Weiterhin wird beanstandet, daß die Netzbetreiber
einen Einspeisungs-Überschuß deutlich unter dem Marktpreis vergüten,
während sie Fehlmengen deutlich über dem Marktpreis verrechnen.
Stromhändler hätten dadurch von vornherein eine höhere Kostenbasis
als integrierte Netzbetreiber/Lieferanten, mit denen sie konkurrieren.
-
Lastprofile: Hier stellen die Kartellbehörden
den Zuschlag in Frage, der bei der Anwendung synthetischer Lastprofile
berechnet wird. Der Zuschlag stelle "eine pauschale Belastung für
die Netznutzer dar, ohne daß der Mehraufwand für die Netzbetreiber
bereits konkret bezifferbar ist".
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Schwachlast-Strom: Nach Ansicht der Kartellbehörden
sind die Netzbetreiber verpflichtet, auch Dritten die Belieferung von Kunden
mit verbilligtem Schwachlast-Strom für Nachtspeicherheizungen u.ä.
zu ermöglichen. Das Gebot der Gleichbehandlung werde hier derzeit
sichtlich nicht erfüllt, da die Stromhändler für alle Lieferungen
- unabhängig von der Tageszeit und der Versorgungslage - dieselben
Netznutzungsentgelte zahlen müssen.
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Konzessionsabgabe: Ein Verstoß gegen das
Gebot der Gleichbehandlung sehen die Behörden darin, daß Stromhändlern
hier genau jene Konzessionsabgabe berechnet wird, die am Standort des Kunden
erhoben wird, während ansonsten in den Strompreisen der integrierten
Versorgungsunternehmen die Konzessionsabgabe regelmäßig als
Mischsatz enthalten ist, der sich aus den unterschiedlichen Konzessionsabgaben
innerhalb des Versorgungsgebiets ergibt.
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KWK-Gesetz: Bei der Überwälzung der
Belastungen aus dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) wird nach
Ansicht der Kartellbehörden der in § 3 Abs. 1 KWKG genannte Begriff
"Mehraufwendungen" von den Netzbetreibern zu weit ausgelegt.