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Strom und Gas in einer HandDie Branchenriesen entdecken ihr "Kerngeschäft" neu |
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Nach der Phase der "Diversifizierung" besannen sich die Stromunternehmen wieder auf ihr Stammgeschäft. Dabei handelte es sich nicht nur um eine neue Management-Mode, sondern um die Konzentration aller Kräfte auf die Energiewirtschaft, deren alte Strukturen durch die Liberalisierung aufgebrochen worden waren. Vor allem den großen Stromkonzernen boten sich lukrative Chancen, wenn sie im In- und Ausland Beteiligungen an bislang selbständigen Unternehmen kauften oder gleich die Mehrheit erwarben. Die Liberalisierung mündete deshalb schnell in eine Oligopolisierung der Energiewirtschaft durch eine Handvoll marktbeherrschender Unternehmen.
Ein weiteres Motiv für den Rückzug aufs Kerngeschäft war die "shareholder value"-Ideologie, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre das Hochtreiben von Aktienkursen und Dividenden zum alleinseligmachenden Prinzip erhob. Nach amerikanischem Vorbild wurden auch in deutschen Großunternehmen die Vorstände und andere leitende Angestellte durch Aktienoptionen an der Kursentwicklung beteiligt. Entsprechend groß war die Verlockung, die Unternehmenspolitik nach den oft sehr fragwürdigen und kurzsichtigen Bewertungen der Börse auszurichten. Wie wenig die Aktienkurse mit tatsächlicher Wertschöpfung zu tun hatten, zeigte die maßlose Überbewertung zahlreicher Internet-Firmen, deren Aktienkapitalisierung die von etablierten Großunternehmen weit übertraf, obwohl sie sich bald darauf als Luftblasen entpuppten.
Vor allem der RWE-Konzern trennte sich nun von solchen Unternehmensbereichen, die zwar durchaus rentabel waren, aber hinter der Profitabilität des Stammgeschäfts zurückblieben: Im März 2001 brachte er seine Tankstellen-Kette DEA in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Shell ein und zog sich ein Jahr später ganz aus diesem Bereich zurück. im Februar 2004 verkaufte er für knapp eine Milliarde Euro die Mehrheit am Bauunternehmen Hochtief, das seit 1926 mit der Geschichte des Konzerns verbunden war. Ein Vierteljahr später stieß er auch die Heidelberger Druckmaschinen AG ab, die seit 1940 zum Konzern gehört hatten. Noch im September desselben Jahres folgte die gesamte Umweltsparte.
Mit der Rückbesinnung auf das Stammgeschäft war eine Erweiterung des Geschäftsfelds "Energie" verbunden, in das nunmehr auch das Gasgeschäft einbezogen wurde. Vorübergehend sah es sogar so aus, als wollten sich die Großkonzerne zusätzlich noch der Versorgung mit Wasser als eines weiteren leitungsgebundenen Mediums bemächtigen.
Für die Verbundunternehmen und Regionalversorger war "Energie" bis dahin ein Synonym für Strom. Lediglich Stadtwerke betätigten sich sowohl im Strom- als auch im Gas- und Wassergeschäft. Bei Strom und Gas waren sie aber nur Verteiler: Den Strom bezogen sie zu hundert Prozent oder größtenteils von Verbundunternehmen und Regionalversorgern. Das Erdgas, das in den sechziger Jahren das Stadtgas aus Steinkohle abzulösen begann, erhielten die Stadtwerke in ähnlicher Weise von Ferngasgesellschaften, die ihrerseits meistens nur Verteilunternehmen waren. In Deutschland gab es keine ergiebigen Erdgasvorkommen. Das Erdgas kam zunächst hauptsächlich aus den Niederlanden und dann in immer größeren Mengen aus Rußland. Den Import besorgte die Ruhrgas AG, die auch als einziges Unternehmen über ein bundesweites Pipeline-Netz verfügte.
In der Gaswirtschaft wurde die importierende Ferngasstufe im wesentlichen von der Ruhrgas AG sowie von Wingas, BEB, VNG und Thyssengas beherrscht. Außerdem gab es etwa 30 regionale Gasversorger und rund 700 lokale Endverteiler. Die Netze von Ruhrgas, BEB, VNG und Thyssengas deckten sie sich weitgehend mit den ehemaligen Demarkationsgebieten. Dagegen verlief das Netz der Wintershall-Tochter Wingas teilweise parallel zu den Netzen der vier Konkurrenten. Dies lag daran, daß mit dem Aufbau des Wingas-Netzes erst in den neunziger Jahren begonnen worden war, als die Liberalisierung des Energiemarktes den Demarkationsverträgen ein Ende bereitet hatte und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten neue energiewirtschaftliche Perspektiven eröffnete.
Der BASF-Konzern nutzte damals damals die Situation, um über seine Tochter Wintershall in den Erdgasimport einzusteigen und ein eigenes, nach strategischen Gesichtspunkten angelegtes Ferngasnetz aufzubauen. Gemeinsam mit dem russischen Lieferanten Gazprom setzte BASF/Wintershall die Ruhrgas AG unter Druck: Diese verfügte zwar im Osten Deutschlands über das Sagen bei der Verbundnetz Gas (VNG), war aber zur Versorgung dieses Ferngasnetzes auf die Belieferung durch die neue Erdgashandelsgesellschaft WIEH angewiesen, die der BASF-Konzern und Gazprom gegründet hatten. Erst ab Herbst 1992 konnte die Ruhrgas auch von Westen her ins ostdeutsche Netz einspeisen. Dennoch blieb die ostdeutsche Gasversorgung von russischer Belieferung abhängig. Noch Anfang 1994 kam es zu einem erneuten Aufflammen des "Gaskriegs", wobei die WIEH die von ihr geforderten Preiserhöhungen mit der Drohung durchsetzte, andernfalls die Belieferung einzustellen. Kurz darauf arrangierten sich die beiden Gasmonopolisten, indem sie über Demarkationsverträge ihre jeweiligen Einflußsphären absteckten. Seit 1998 verfügte die Ruhrgas AG über eine direkte Beteiligung an Gazprom, die ihr einen Sitz im Aufsichtsrat des russischen Gaslieferanten sicherte.
Im Sommer 2001 begann der neue E.ON-Konzern - der erst vor einem Jahr aus der Verschmelzung der beiden Konzerne Veba und Viag mit ihren Stromversorgern PreussenElektra und Bayernwerk entstanden war - zielstrebig mit dem Erwerb der Mehrheit an der Ruhrgas AG. In einem ersten Schritt überließ er die Traditionsmarke Aral der britischen BP, um im Gegenzug größter Anteilseigner bei der Ruhrgas zu werden. Von dieser Position aus betrieb er den Erwerb der Mehrheit. Anfang 2002 untersagte jedoch das Bundeskartellamt die geplante Übernahme, weil sie sowohl im Gas- als auch im Strombereich zur Verstärkung marktbeherrschender Stellungen führen würde.
Das Veto des Bundeskartellamts war zu erwarten gewesen. E.ON verfügte aber anscheinend über die Zusage der Bundesregierung, das Veto durch eine Sondererlaubnis des Bundeswirtschaftsministers außer Kraft zu setzen. Einspruch aus Brüssel war nicht zu befürchten, da E.ON mehr als zwei Drittel seines Umsatzes im Inland machte und deshalb nicht der Fusionskontrolle der EU unterlag. Der amtierende Minister Werner Müller war auch sichtlich bereit, dem E.ON-Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis zu entsprechen. Da er als ehemaliger Veba-Manager selber auf der Pensionsliste des E.ON-Konzerns stand, delegierte die Entscheidung aber vorsichtshalber an seinen Staatssekretär Alfred Tacke. Im Juli 2002 erteilte Tacke die beantragte Ministererlaubnis, obwohl inzwischen auch die Monopolkommission in einem Gutachten entschieden vor der Fusion gewarnt hatte.
Zum Vollzug der Ministererlaubnis kam es indessen vorläufig nicht, da das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Staatssekretär "gravierende Verfahrensfehler" bescheinigte. Das Verfahren wurde deshalb neu aufgerollt, und im September 2002 genehmigte das Bundeswirtschaftsministerium die geplante Fusion mit einer leichten Verschärfung der Auflagen erneut. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah allerdings keinen Anlaß, das Vollzugsverbot für die Fusion aufzuheben, zumal auch die nachgeholte Anhörung "nicht ordnungsgemäß und dem Gesetz entsprechend durchgeführt worden" sei. So zeichnete sich ein langwieriger Rechtsstreit ab, in dem der E.ON-Konzern und seine politischen Helfer schlechte Karten hatten, während die klagenden Konkurrenten hoffen durften, die Fusion mit juristischen Mitteln zu verhindern.
In dieser Situation beschritt der E.ON-Konzern den Weg einer außergerichtlichen Einigung, indem er den klagenden Konkurrenten millionenschwere Zugeständnisse machte und so ihren Widerstand abkaufte. Am 31. Januar 2003 zogen alle neun Unternehmen, die gegen die Ministererlaubnis geklagt hatten, ihre Klagen zurück, und noch am selben Tag konnte E.ON die Übernahme der Ruhrgas AG vollziehen.
Der genaue Umfang der Gegenleistungen, die E.ON den neun Unternehmen zusicherte, um die Ruhrgas AG doch noch übernehmen zu können, wurde nie bekannt. E.ON bezifferte sie pauschal mit 90 Millionen Euro, was vermutlich stark untertrieben war bzw. dem tatsächlichen Gewicht der Zugeständnisse nicht gerecht wurde. Zum Beispiel war der EnBW die Überlassung einer 15-Prozent-Beteiligung an der Mannheimer MVV Energie eingeräumt worden, womit diese eine gute Basis für den weiteren Ausbau dieser Beteiligung und die Einbindung der MVV in die Strategie der EnBW gehabt hätte. Das Bundeskartellamt erlaubte deshalb die Abgabe der 15-Prozent-Beteiligung an die EnBW Ende 2004 nur unter der Bedingung, daß diese keinen Sitz im Aufsichtsrat erhielt und auf den Erwerb weiterer Anteile aus dem Streubesitz verzichtete.
Die Monopolkommission verfolgte mit Entsetzen, wie E.ON mit politischer Unterstützung zum "Platzhirsch" des deutschen Marktes aufrückte, der sowohl bei Strom als auch bei Gas an der Quelle saß und über bundesweite Transportnetze zur Belieferung von Weiterverteilern und Endkunden verfügte. Daran änderten auch die Auflagen nichts, die mit der Ministererlaubnis verbunden waren (Rückzug von E.ON aus den regionalen Ferngasgesellschaften VNG und Bayerngas, den Regionalversorgern EWE und swb sowie Gelsenwasser). In ihrem 15. Hauptgutachten, das sie im Juli 2004 veröffentlichte, kritisierte die Monopolkommission mit ungewöhnlicher Deutlichkeit und Schärfe die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD): Es sei eine falsche Vorstellung, über die Begünstigung "nationaler Champions" die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt stärken zu wollen. Vielmehr führe dies notwendigerweise zu einer Belastung der Wettbewerbsfähigkeit anderer Unternehmen innerhalb des nationalen Marktes. Die Monopolkommission betrachte die Entwicklung der Marktstrukturen in der Elektrizitätswirtschaft insgesamt "mit großer Sorge".
Der deutsche Strommarkt werde von E.ON, RWE, Vattenfall Europe und EnBW dominiert,
hieß es weiter. Die vier Verbundunternehmen verfügten über achtzig
Prozent der inländischen Erzeugungskapazitäten und zahlreiche Beteiligungen
an regionalen Weiterverteilern und Stadtwerken. Dadurch fielen auch die Stadtwerke
als unabhängige Nachfrager auf dem Großhandelsmarkt weitgehend aus. Auf
der Großhandelsebene herrsche ein "wettbewerbsloses Oligopol".
Im europäischen Vergleich liege Deutschland mit den Nettostrompreisen mittlerweile
wieder an der Spitze. Der Anstieg der Endverbraucherpreise sei - neben zusätzlichen
staatlichen Belastungen - vor allem auf die deutlich angestiegenen Großhandelspreise
zurückzuführen. Der annähernd gleichzeitig zu beobachtende Anstieg
der Strompreise in Verbindung mit der Stillegung von Erzeugungskapazitäten seit
dem Jahr 2001 lasse darauf schließen, "daß die Phase kurzfristigen Preiswettbewerbs
beendet und einem abgestimmten Verhalten zwischen den Oligopolmitgliedern gewichen
ist". Die Verbundunternehmen würden inzwischen auf Wettbewerbsvorstöße
in das Liefergebiet der jeweils anderen Verbundunternehmen verzichten und sich darauf
beschränken, ihre traditionellen Absatzgebiete zu beliefern. Im Ergebnis ihrer
Beteiligungspolitik auf regionaler und lokaler Ebene entstünden "Marktstrukturen,
die den rechtlich abgeschotteten Gebietsmonopolen vor der Liberalisierung ähneln".
Der RWE-Konzern erweiterte sein Geschäftsfeld ebenfalls zielstrebig um Gas. Im Sommer 2003 vereinigte er das Strom- und Gasgeschäft in einer einheitlichen Vertriebsgesellschaft, die in neudeutscher Sprachmanier als "RWE Energy" firmierte. Vorausgegangen war ein schwerer Konflikt mit den kommunalen Aktionären der bisherigen RWE Gas, die auf einer höheren Gegenleistung für die Einbringung des Unternehmens in den neuen Einheitsvertrieb bestanden hatten.Die Beilegung des Konflikts ließ sich der neue Vorstandsvorsitzende Harry Roels etwa 1,4 Milliarden Euro kosten.
Mit dem Ausbau seiner Beteiligungen an Stadtwerken erweiterte der RWE-Konzern auch und vor allem die Vertriebsmöglichkeiten für Gas. Anfang 2003 war er an etwa hundert Stadtwerken beteiligt. In der Regel genügte schon eine vom Bundeskartellamt tolerierte Minderheitsbeteiligung bis zu zwanzig Prozent, um sich die Stadtwerke als Kunden zu sichern.
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) übernahm 2002 die Mehrheit an der Gasversorgung Süddeutschland GmbH (GVS), die über ihr 1881 Kilometer langes Fernnetz Baden-Württemberg und das angrenzende Ausland mit Erdgas versorgt. Bis dahin befand sich die 1961 gegründete GVS im Eigentum von Land und Kommunen. Sie versorgt rund 750 Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg mit Erdgas und ist der viertgrößte deutsche Gasversorger.
Zusätzlich sicherte sich die EnBW 2004 die Gasversorgung Sachsen Ost (Gaso). Der Einstieg in die ostdeutsche Gasverteilung kam mit Hilfe des E.ON-Konzerns zustande. Anscheinend handelte es sich um eine der geheimen Gegenleistungen für die Zustimmung der EnBW zur Fusion von E.ON und Ruhrgas, die nunmehr eingelöst wurde.
Als einziger der vier großen Konzerne beschränkte sich die Vattenfall Europe weiterhin auf den Strombereich. Dies lag an der Entstehungsgeschichte dieses Konzerns, der zwar von der früheren Veag die Großkraftwerke und das Transportnetz sowie von der LAUBAG die Braunkohlengruben im gesamten Bereich der früheren DDR übernommen hatte, aber mit Ausnahme von Berlin, Hamburg und Westmecklenburg über keinen direkten Zugang zu Endkunden verfügte. Und auch in diesen drei Gebieten lag die Gasversorgung in anderen Händen: In Hamburg hatten die HEW, die wenig später im Vattenfall-Konzern aufgingen, bis 2002 die Mehrheit am Versorger Hein Gas besessen, sie dann aber dem E.ON-Konzern im Tausch für dessen Beteiligung an der Bewag überlassen. In der Hauptstadt Berlin oblag die Gasversorgung der ehemals kommunalen Gasag, an der die E.ON-Tochter Thüga mit 36,85 Prozent das dickste Aktienpaket hielt, während sich in den Rest die Gaz de France (GDF) und Vattenfall mit jeweils 31,575 Prozent teilten.
Aus der Hinterlassenschaft der früheren großstädtischen Versorger HEW und Bewag verfügte Vattenfall jedoch über etliche Kraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung und ein ausgedehntes Fernwärme-Netz. Da Fernwärme hauptsächlich mit Öl und Gas konkurriert, wäre es für ihn wohl auch wenig attraktiv gewesen, seine Endkunden in Berlin und Hamburg zusätzlich mit Gas beliefern zu wollen.
Der niedersächsische Regionalversorger EWE profitierte von den Auflagen, die mit der Ministererlaubnis zur Übernahme der Ruhrgas verbunden war: Ende 2003 übernahm er sowohl die E.ON-Beteiligung an den früheren Bremer Stadtwerken (swb AG) als auch den größten Teil des E.ON-Pakets an der ostdeutschen Verbundnetz Gas (VNG). Zusätzlich zum eigenen Erdgas-Geschäft mit einem Versorgungsnetz von 52400 Kilometer Länge erlangte EWE damit die unternehmerische Führung beim ostdeutschen Transportnetzbetreiber und rivalisierte mit der Mannheimer MVV Energie um den ersten Platz in der Regionalliga der größten deutschen Energieunternehmen. Der Eigenanteil von EWE an VNG blieb zwar mit rund 48 Prozent unterhalb der Mehrheit. Der neue Hauptaktionär hatte aber mit anderen kommunalen Aktionären einen Konsortialvertrag geschlossen, der den Beteiligten insgesamt rund 74 Prozent und damit das unternehmerische Sagen sicherte.
Im Mai 2007 entbrannte dann aber ein offener Machtkampf: Der von der Hauptversammlung soeben neu gewählte Aufsichtsrat kippte seinen bisherigen Vorsitzenden Werner Brinker aus dem Amt, obwohl dieser als Chef des Regionalversorgers EWE den Hauptaktionär vertrat. Ermöglicht wurde dies durch eine Allianz der Minderheitseigentümer Wintershall (15,79 Prozent) und Gazprom (5,26 Prozent) mit den Vertretern der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat. Auch der Konsortialvertrag bewahrte EWE nicht vor der Palastrevolution, denn die kommunalen Partner versagten ihr den Beistand. Brinker äußerte die Vermutung, daß die russische Gazprom gemeinsam mit der BASF-Tochter Wintershall und dem VNG-Management seine Abwahl betrieben habe. Nach seiner Einschätzung gab es "eine klare Koalition zwischen Kassel, Moskau und Leipzig".
Ein paar Jahre lang verfolgten die beiden größten deutschen Stromkonzerne sogar die Ausdehnung ihres Geschäfts auf die Wasserversorgung. E.ON übernahm im Jahr 2000 mit der Gelsenwasser AG eines der größten deutschen Unternehmen für die Trinkwasserversorgung, das auch in Polen, Ungarn und Tschechien präsent war. RWE erwarb 1999 eine Beteiligung an den Berliner Wasserbetrieben, kaufte im folgenden Jahr für über sieben Milliarden Euro den britischen Wasserversorger Thames Water und übernahm 2001 den größten Wasserversorger der USA.
Zunächst sah es ganz danach aus, als würde Wasser neben Strom und Gas zum dritten Standbein der großen Energiekonzerne. "Unter Experten gilt Wasser als Öl des 21. Jahrhunderts", schrieb im August 2001 das "Handelsblatt". Im selben Monat kündigten die Hamburger Wasserwerke aus Protest ihre Mitgliedschaft im Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), weil der Verband zu einem Instrument der Energiekonzerne geworden sei, die nach günstigeren Rahmenbedingungen für den weiteren Einstieg in die Wasserversorgung strebten.
Nach der Übernahme von Thames Water und American Water Works konnte sich der RWE-Konzern rühmen, weltweit der drittgrößte Wasserversorger zu sein. Zusätzlich entwickelte er unter seinem Vorstandsvorsitzenden Dietmar Kuhnt ein Dachmarken-Konzept für Strom, Erdgas, Wasser, Entsorgung und andere Dienstleistungen, das er unter dem Motto "One Group. Multi Utilities" auch dem deutschen Publikum nahezubringen vesuchte. Das Konzept war nicht nur sprachlich konfus: Es ging von der irrigen Annahme aus, daß sich die "Utility" Wasser genauso liberalisieren und in eine sprudelnde Einnahmequelle verwandeln lasse wie die leitungsgebundenen Energien Strom und Gas.
Indessen zeigte sich bald, daß die politischen Instanzen nicht bereit waren, die Preiswürdigkeit des Lebensmittels Wasser dem kurzfristigen Gewinnkalkül privater Unternehmen zu opfern. Zum Beispiel benötigte Thames Water rund fünf Milliarden Euro, um bis 2010 das marode Londoner Wassernetz zu sanieren. Die Regulierungsbehörde kürzte aber die beantragten Wasserpreiserhöhungen von 38 auf 22 Prozent. Damit wäre normalerweise noch immer eine gute Rendite verbunden gewesen. Der RWE-Konzern hatte Thames Water jedoch überteuert und auf Pump gekauft. Deshalb konnte er nun nicht einmal die Kapitalkosten verdienen. Das Wassergeschäft wurde so zum Klotz am Bein und belastete den Kurs der RWE-Aktien, anstatt ihn zu beflügeln.
Nachdem es bei RWE zu Gewinneinbrüchen kam, die ganz wesentlich mit dem Einstieg ins Wassergeschäft zu tun hatten, verabschiedete sich der neue Vorstandsvorsitzende Harry Roels auf leisen Sohlen vom "Multi Utility"-Konzept seines Vorgängers. Mit dem 2004 erfolgten Verkauf der Baufirma Hochtief und der "Heidelberger Druckmaschinen" setzte er zunächst die Konzentration aufs Kerngeschäft fort, wie sie bereits Kuhnt betrieben hatte. Zugleich verkaufte er aber auch die gesamte Umweltsparte, die ein tragender Pfeiler des "Multi Utility"-Konzepts gewesen war. Ende 2005 begann er außerdem mit dem Verkauf der gesamten Wassersparte und der RWE Solutions AG, unter deren Dach bisher energienahe Dienstleistungen und Produkte wie die Solarzellen-Produktion angesiedelt waren.
Auch E.ON zog sich wieder aus dem Wassergeschäft zurück: Der Verkauf der Gelsenwasser AG gehörte ohnehin zu den Auflagen, von denen die Ministererlaubnis zur Übernahme der Ruhrgas AG abhängig gemacht worden war. Indessen war es gar nicht so einfach, den Wasserversorger innerhalb der gesetzten Frist wieder loszuwerden. Im Juni 2003 schied RWE aus dem Bieterverfahren aus und signalisierte damit sein Desinteresse am Ausbau dieses Geschäftszweigs. Schließlich übernahmen die Stadtwerke Dortmund und Bochum die E.ON-Mehrheitsbeteiligung an Gelsenwasser.