"Deutscher Zuschauer" vom 20. Februar 1847 (Bild zum Vergrößern anklicken)Deutscher Zuschauer(Jan. 1847 - Dez. 1848) |
Das Wochenblatt "Deutscher Zuschauer" war neben der täglich erscheinenden "Mannheimer Abendzeitung" das wichtigste Organ der demokratisch-republikanischen Bewegung. Sein Herausgeber Gustav Struve wurde 1805 in München als Sohn eines russischen Staatsrats geboren, der seit 1917 das Amt des russischen Geschäftsträgers in Karlsruhe versah. Nach einem wechselvollen Leben ließ sich Struve 1832 in Mannheim als Advokat nieder und wurde neben Friedrich Hecker zur bekanntesten Figur der badischen Erhebung in den Jahren 1848/49.
Während Hecker eher ein zündender Redner war, wirkte sein Advokaten-Kollege Struve vor allem als Publizist. Mit gewandter Feder brachte er es zu öffentlicher Geltung und politischem Einfluß. Dabei war er jedoch mehr ein moralisierender als ein intellektueller Rebell. Einige Züge Struves wirkten sogar ausgesprochen skurril, wie die Eingenommenheit von seiner eigenen Person, seine Konversion zum Deutschkatholizismus, sein entschiedenes Vegetariertum und seine Befassung mit Phrenologie.
Gustav Struve (z. Verg. anklicken) |
Als Liberaler mit katholischer Konfession brachte es Struve im Juni 1845 zum Redakteur des "Mannheimer Journals", das damals seine sinkende Auflage durch Anbiederung an den Zeitgeist zu stoppen versuchte. Der Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals nötigte ihn allerdings schon im Dezember 1846 wieder zur Aufgabe dieses Amtes, weil das Blatt unter der neuen Leitung auch den Zensor als aufmerksamen Leser gewonnen hatte und weil es von der Regierung mit dem Entzug der amtlichen Bekanntmachungen bestraft worden war.
Noch vor seinem Rücktritt von der Redaktion des Journals hatte sich Struve mit Heinrich Hoff zusammengetan, um die Herausgabe einer demokratischen Wochenzeitung vorzubereiten. Am 21. November 1846 erschien ein Probeblatt des "Deutschen Zuschauers". Struve erläuterte das Programm: Für die landständische Verfassung, Gewissensfreiheit, Preßfreiheit, Freiheit des Handels und der Schiffahrt, Freiheit der Person, das Recht der Association, Schwurgerichte, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverhandlungen, eine Habeas-corpus-Acte als Schutz vor willkürlichen Verhaftungen und Volksbewaffnung. Zu den "tief gefühlten Bedürfnissen, für deren Befriedigung wir keine Opfer scheuen dürfen", zählte Struve ferner die "Abschaffung aller kastenmäßigen Abschließung zwischen den verschiedenen Ständen und insbesondere Erleichterung der ärmeren Klassen der Gesellschaft".
Ab Januar 1847 kam der "Deutsche Zuschauer" regelmäßig heraus. Schon im gleichen Monat beschwerte sich die Kreisregierung, daß das neue Blatt nicht mit der nötigen Strenge und Umsicht zensiert werde. Im Oktober desselben Jahres erklärte der preußische Gesandte in Frankfurt, der "Deutsche Zuschauer" sei unter den radikalen Zeitungen diejenige, welche die preußische Regierung am schärfsten angreife. Er bemühe sich sogar, die "Mannheimer Abendzeitung" zu übertreffen - und das wollte nun wirklich etwas heißen.
Am 8. April 1848 ließ Struve die Redaktion des "Deutschen Zuschauers" im Stich, um mit Hecker die revolutionäre Erhebung im badischen Oberland vorzubereiten. Verleger Hoff, der zugleich die "Deutsche Volks-Zeitung" herausgegeben hatte, wurde nach dem Scheitern der Erhebung am 29. April verhaftet und ins Gefängnis nach Bruchsal verbracht. Der "Deutsche Zuschauer" konnte jedoch weiter erscheinen, da der gemäßigt-liberale Gemeinderat Carl H. Hoff - höchst widerwillig, aber seinem eingekerkerten Bruder zuliebe - die Verantwortlichkeit übernahm. Carl H. Hoff distanzierte sich dabei ausdrücklich vom Inhalt des Blattes und nannte sich selbst einen "Strohmann". Die Redaktion des Blattes besorgten unterdessen die Redakteure der unterdrückten "Deutschen Volks-Zeitung", E. Pelz, David Sauerländer und Florian Mördes. Alle drei waren in der politischen Szenerie keine Unbekannten. Florian Mördes präsidierte beispielsweise dem demokratischen Verein für Baden und die Pfalz.
Am 11. Mai hob der Großherzog den Kriegszustand wieder auf. Die Revolution schien sich verflüchtigt zu haben. Heckers Volksaufstand war im Sande verlaufen. Die gemäßigt-liberale Bourgeoisie hatte nicht nur nicht mitgezogen, sondern sich sogar auf die andere Seite gestellt. Ihr örtliches Organ beispielsweise, das "Mannheimer Journal", hatte sich indigniert von Hecker und Struve distanziert, in deren Händen das "Banner der nationalen Freiheit" zur "Fahne des blutigen Aufstands" geworden sei.
Verbittert notierte der "Deutsche Zuschauer" am Tag nach dem Scheitern des Aufstands:
Daß die Halben, die sogenannten Liberalen nicht ferner Arm in Arm mit dem eigentlichen Fortschritt gehen werden, war vorauszusehen, aber daß sie mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen zum gemeinsamen Feind übergehen, daß sie, um in ihrem Mittagsschläfchen ungestört zu sein, die Weltgeschichte aufhalten wollen und gegen ihre eigenen Principien Sturm laufen, ist ein Verrath... Die alte Reaction ist in die Grube gefahren, aber an deren Stelle ist eine neue Tyrannei getreten, die ihren Regierungsantritt mit Verrath besiegelt.
Streit um den "Deutschen Zuschauer" im Herbst 1848 (zum Vergrößern anklicken) |
Wirtschaftlich war es schlecht um den "Deutschen Zuschauer" bestellt, seitdem Hoff im Gefängnis saß. Der Verleger und Drucker hatte sein Vermögen den Gläubigern abtreten müssen. Struve weilte fernab im Schweizer Exil. Ein Teil der Aktionäre, die das Geld zur Herausgabe des Zuschauers vorgeschossen hatten, trat darauf erneut zusammen und beschloß, das Blatt auf neue Beine zu stellen. Ab 8. Juli erschien die "Neue Folge des Deutschen Zuschauers". Die ersten beiden Nummern wurden bei Hähner, die weiteren wieder bei Heinrich Hoff gedruckt.
Struve in seinem Schweizer Exil reagierte gekränkt. Er fühlte sich ausgebootet. Die neuen Herausgeber hatten ihm zwanzig Gulden pro Nummer für beliebige Mitarbeit angeboten. Struve bestand aber darauf, daß ihm die Aktionäre der Zeitung, die selber bereits erhebliche finanzielle Opfer gebracht hatten, auch noch das von Hoff geschuldete Geld zahlten, und daß er außerdem das Recht haben sollte, die Mitglieder der Redaktion zu ernennen. Dann brachte er, ohne auf weitere Angebote zu reagieren, ab 21. Juli in Basel eine eigene Fortsetzung des "Deutschen Zuschauers" heraus.
Der Baseler Zuschauer erschien noch bis in den September. Dann unternahm Struve seinen unüberlegten Putschversuch: Am 21. September proklamierte er in Lörrach die "deutsche Republik". Karl Blind, ein Mitarbeiter der Mannheimer Abendzeitung, stand ihm als "Schriftführer der provisorischen Regierung Deutschlands" zur Seite. Mannheim war zum Sitz der provisorischen Regierung ausersehen. Badische Truppen bereiteten dem Aufstand jedoch sehr schnell ein Ende. Struve wurde gefangen genommen und nach Rastatt gebracht. Im März folgenden Jahres verurteilte ihn das Gericht in Freiburg zu fünf Jahren und vier Monaten Gefängnis wegen Hochverrats.
Die "Neue Folge des Deutschen Zuschauers" in Mannheim erschien noch bis zum 29. September 1848. In der letzten Nummer teilte die Redaktion mit, das Blatt gehe nun wieder in den Besitz von Heinrich Hoff über, der nach sechseinhalb Monaten Untersuchungshaft freigekommen war. Die Ankündigung Hoffs, er werde das Blatt voraussichtlich im April folgenden Jahres wieder aufleben lassen, scheint sich nicht erfüllt zu haben.
Der "Deutsche Zuschauer" erstand noch zweimal, nachdem Struve im Mai 1849 aus dem Gefängnis befreit worden war. Den ersten Versuch unternahm Struve im Juni in Neustadt in der Pfalz. "Die Probenummer war kaum erschienen, als die Preußen einrückten", notierte Friedrich Engels. Struve flüchtete über die Schweiz, Frankreich und England nach den USA. Dort ließ er dann den "Deutschen Zuschauer" nochmals vom 1. Juli 1851 bis zum 1. April 1852 in New York erscheinen.
Struve wurde wegen seiner Teilnahme am Pfälzer Aufstand in Bayern zum Tode verurteilt. Erst 1863, nach Erlaß einer Amnestie, durfte er nach Deutschland zurückkehren. Er starb sieben Jahre später in Wien. Heinrich Hoff, auf den in der Heimat zwanzig Jahre Zuchthaus warteten, starb im Mai 1852 einsam in einem New Yorker Spital. Zu den Personen, die wegen "beharrlicher Landesflüchtigkeit" durch Beschluß des Stadtamtes vom 12. März 1850 das Staatsbürgerrecht aberkannt wurde, gehörten ferner Jean Pierre Grohe, Karl Blind und der Schuhmachermeister Jakob Rothweiler, der dem "Deutschen Zuschauer" zeitweilig als Sitzredakteur gedient hatte.