PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



Karl R. Popper

Ausgangspunkte - Meine intellektuelle Entwicklung

374 S., DM 28.-, campe paperback 1994


Es gibt wohl keinen anderen Denker - von Max Weber vielleicht abgesehen - der sich bei Wissenschaftlern, Politikern und Managern solcher Beliebtheit erfreut wie Karl Raimund Popper. Sein "kritischer Rationalismus" prägt heute das Selbstverständnis der meisten Wissenschaftler. Das von ihm entworfene Leitbild einer "offenen Gesellschaft" avancierte in den vergangenen Jahrzehnten zum Credo zahlloser Politiker und Vertreter der Wirtschaft.

Zugleich wurde kaum ein anderer so heftig befehdet: Den Propagandisten der östlichen Staatsideologie war Popper schon deshalb suspekt, weil er keine wesentlichen Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus machte, sondern beide unter "Totalitarismus" subsumierte. Der Vorwurf, nur eine "Philosophie des Stückwerks" zu bieten - so der Titel eines Pamphlets, das in der damaligen DDR erschien - wurde ihm in verschiedenerlei Form aber auch von westlicher Seite gemacht. Viele empfanden es sogar als banausenhaft, wie er einen Platon, Aristoteles oder Hegel zu geistigen Ahnen des Totalitarismus stempelte. Besonders verstimmt zeigte sich die "Frankfurter Schule" , die mit Hegel, Marx und Freud gleich das ganze Dreigestirn ihrer Mentoren durch Popper geschmäht sah.

Die Kritik kulminierte Anfang der sechziger Jahre im "Positivismus-Streit", dessen Kontrahenten eigentlich Adorno und Popper waren, der aber stellvertretend vor allem von Jürgen Habermas und Hans Albert geführt wurde. Für die Anhänger der "kritischen Theorie" taugte der "kritische Rationalismus" - trotz der gegensätzlichen Positionen waren die Bezeichnungen der Lager zum Verwechseln ähnlich - allenfalls als Wissenschaftstheorie. Im übrigen hielten sie seinen methodischen Ansatz und geistigen Horizont für zu beschränkt, um dem Anspruch von Philosophie gerecht werden zu können. Popper war für sie der geistige Repräsentant des Justemilieus: Mit süffisantem Unterton pflegten sie ihn als "Sir Popper" zu titulieren, weil die Nobilitierung in ihren Augen der sichtbare Dank des Establishments für geistige Vorspanndienste war.

Das vorliegende Buch ermöglicht es dem Leser, sich ein eigenes Bild von den Stärken und Schwächen der Denkweise Poppers zu machen. Es ist die Paperback-Ausgabe eines schon recht bejahrten Werks, das erstmals 1974 in englischer und 1979 in deutscher Sprache erschien, aber noch immer dieselbe Aktualität beanspruchen kann wie der kritische Rationalismus überhaupt. Der 1994 verstorbene Popper unternimmt darin den Versuch, die Entwicklung seines Denkens in Verbindung mit seinem Lebenslauf darzustellen. Dabei geht es ihm primär um die intellektuelle Entwicklung. Die biographischen Angaben beschränken sich auf die wichtigsten Stationen seines Weges von Österreich über Neuseeland nach England.

Ein Sproß des Wiener Bildungsbürgertums erlernt das Tischlerhandwerk und liest Kant

Popper wurde 1902 in Wien geboren. Sein Vater war ein gutsituierter Rechtsanwalt und Bildungsbürger. Insofern erlebte er die Belle Époque auch persönlich von der angenehmen Seite. Um so härter war der Absturz in das wirtschaftliche und politische Chaos, das der erste Weltkrieg hinterließ. Mit 18 Jahren verließ er das Elternhaus, um dem Vater nicht weiter zur Last zu fallen, der durch die galoppierende Inflation sämtliche Ersparnisse verloren hatte. Er schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch und besuchte gleichzeitig Vorlesungen an der Universität. Neben Geschichte, Psychologie und Philosophie interessierten ihn besonders Mathematik und theoretische Physik. Am Ende entschied er sich für das Studium der Mathematik, weil er glaubte, "in der Mathematik etwas über Wahrheitssuche und Wahrheitskriterien zu erfahren". Mit diesem Ziel studierte er auch sehr früh die Schriften Kants. Während er das Tischlerhandwerk erlernte, bestand er 1924 die Prüfung für die Zulassung als Lehrer an Volksschulen. Da keine Lehrerstelle frei war, wurde er nach Abschluß der Tischlerlehre zunächst Erzieher in einem städtischen Hort für sozial gefährdete Kinder. Nach Wiederaufnahme des Studiums promovierte er 1928 mit einer Arbeit "Zur Methodenfrage der Denkpsychologie" in Philosophie und erhielt 1930 endlich eine Stelle als Lehrer für Mathematik und Physik an Hauptschulen.

Frühe Auseinandersetzung mit Marxismus und Psychoanalyse

Politisch fühlte sich Popper den Sozialisten verbunden. Kurze Zeit sympathisierte er sogar mit der Kommunistischen Partei. Seine Zweifel an den Dogmen des "wissenschaftlichen Sozialismus" verdichteten sich aber bald zu der Überzeugung, daß der Kommunismus eine moderne Religion sei, die sich nur wissenschaftlich kostümiert habe. Bei einem der blutigen Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Polizei, wie sie damals an der Tagesordnung waren, wurde ihm klar, "daß ich als Marxist einen Teil der Verantwortung für die Tragödie trug".

Hinzu kam die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, wie sie in Wien durch Sigmund Freud und Alfred Adler vertreten wurde. Es fiel ihm auf, daß die Vertreter dieser angeblichen Wissenschaft genau wie die Marxisten "imstande waren, jedes erdenkliche Ereignis als eine Verifikation ihrer Theorien zu interpretieren". - Mit dem Unterschied, daß die Unwissenschaftlichkeit der Psychoanalyse leichter zu erkennen war, weil ihre Theorien von vornherein "ebensowenig falsifizierbar wie astrologische Voraussagen" waren. Dagegen habe der Marxismus zunächst beanspruchen können, eine wissenschaftliche Theorie zu sein. Er sei erst zur Pseudo-Wissenschaft geworden, nachdem er in seiner ursprünglichen Gestalt durch den faktischen Gang der Geschichte falsifiziert und deshalb von den Parteiideologen gegen Kritik "immunisiert" worden war.

Alle wissenschaftliche Theorien müssen sich "falsifizieren" lassen

Den Begriff der "Falsifizierung" entwickelte Popper als Kriterium für die Abgrenzung von Wissenschaft gegenüber Pseudo-Wissenschaft und Metaphysik. Er geht davon aus, daß es sinnlos ist, eine wissenschaftliche Theorie "verifizieren" zu wollen, wie dies zur selben Zeit die Anhänger Machs und Wittgensteins im "Wiener Kreis" versuchten. Popper teilt die Auffassung Kants, daß Wissenschaft zwar mit der Realität korrespondiert, aber nicht die Realität als solche widerspiegeln kann. Sie ist vielmehr eine Hervorbringung des Verstandes und muß sich als solche jederzeit von anderen Hervorbringungen des Verstandes in Frage stellen lassen, die dem Objekt der Erkenntnis angemessener sind. Kants Lehre von der Unmöglichkeit, die Dinge an sich zu erkennen, wird bei Popper zur Lehre von dem immer hypothetischen Charakter unserer Theorien. Starken Einfluß hatte dabei die Umwälzung der Physik durch Einsteins Relativitätstheorie, die nicht nur für Popper den Schluß nahelegte, daß Einstein eines Tages genauso relativiert werden könnte wie Newton.

Gegen "Essentialismus" und "Historismus"

Schon früh stieß sich Popper am "Essentialismus", womit er das Überstrapazieren von Worten und Begriffen bezeichnet, als ob die Realität im Begriff statt in der Sache liege. Ein anderes großes Ärgernis ist für ihn der "Historizismus". Damit meint er die Idee eines zwangsläufigen Fortschreitens oder - im allgemeineren Sinne - einer vorherbestimmten Entwicklung. Historizistisch ist für ihn zum Beispiel die "induktive" Auffassung von Wissenschaft, wonach sich durch das Zusammentragen einzelner Bausteine nach Art eines Puzzles allmählich ein objektives Bild der Realität ergibt. Vom Ungeist des Historizismus nähren sich für ihn aber auch politische Heilslehren oder der Avantgarde-Kult in der Kunst.

Apropos Kunst: Hier vertritt Popper sehr dezidierte Auffassungen, die auch seine Anhänger sicher nicht durchweg teilen, die aber doch etwas Erfrischendes haben. So bekennt er freimütig, zwar ein großer Liebhaber der klassischen Musik zu sein, aber schon mit Wagner und Richard Strauss nichts anfangen zu können. Die objektive Art, wie sich Bach "als Diener seines Werks" verstehe, ist ihm lieber als die subjektive Expressivität Beethovens. Jenseits von Bruckner und Brahms erlahmt sein Interesse gänzlich. Eine Zeitlang war er allerdings von Mahler beindruckt, der wiederum Schönberg verteidigte, was ihn bewog, einem "Verein für musikalische Privataufführungen" beizutreten, um die Musik solcher Avantgardisten wie Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern endlich besser zu verstehen. Am Ende bestätigte sich für ihn dadurch aber nur die "Erkenntnis der geistigen Armut und der zerstörerischen Kraft historizistischer Ideen in der Musik und in der Kunst überhaupt".

Sympathievolle Distanz zum "Wiener Kreis"

Mit dem "Wiener Kreis" hatte Popper keine direkte Berührung, obwohl er sich intensiv mit dem logischen Positivismus auseinandersetzte und seine eigene Theorie antithetisch dazu entwickelte. Den "Tractatus" Wittgensteins und die Schriften Rudolf Carnaps hatte er bereits gelesen, bevor er 1926 oder 1927 erstmals von der Existenz des Kreises hörte. Er hält dessen Mitglieder für "erkenntnistheoretische Idealisten". Mit einer gewissen Koketterie bekennt er, daß er sich schuldig fühle am Tod des logischen Positivismus. Gleichwohl habe ihn mit diesem Zirkel immer die "aufklärerische Haltung" verbunden. In Bertrand Russell sieht er den "geistigen Vater" des Wiener Kreises und "größten Philosophen seit Kant". Die Wertschätzung war wohl beiderseitig: Poppers erstes Buch über "Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie" erschien auf Veranlassung von Moritz Schlick 1933 in einer Reihe, in der vor allem Vertreter des Wiener Kreises publizierten. Noch lange wurde Popper deshalb vielfach für einen logischen Positivisten gehalten - oder bestenfalls für einen Abtrünnigen dieser Schule, der die "Verifizierbarkeit" durch die "Falsifizierbarkeit" ersetzte (die Falsifizierbarkeit ist für Popper aber kein Sinnkriterium wie die Verifizierbarkeit für den Wiener Kreis, sondern dient lediglich der Abgrenzung von wissenschaftlichen gegenüber pseudo-wissenschaftlichen Theorien).

Flucht vor den Nazis nach Neuseeland

Während der logische Positivismus des Wiener Kreises Furore machte, blieb Poppers Variante des "Neopositivismus" vorerst unbeachtet. Seine Theorie entwickelte er quasi als Privatgelehrter neben dem Beruf als Hauptschullehrer. Das änderte sich erst durch zwei einschneidende Ereignisse: Die Machtergreifung des Nationalsozialismus und die veränderte weltpolitische Situation nach dem zweiten Weltkrieg.

Schon von 1929 an rechnete Popper mit dem Aufstieg Hitlers und der Annexion Österreichs. Ebenso klar schien ihm, daß Österreichs Sozialdemokraten die Niederlage nicht verhindern konnten. Mitte der dreißiger Jahre weilte er zweimal für längere Zeit in England, wobei er zum erstenmal Friedrich August von Hayek begegnete, der zuvor Direktor des Instituts für Konjunkturforschung in Wien gewesen war und nun an der London School of Economics and Political Science (LSE) unterrichtete. Man wäre in England bereit gewesen, ihn notdürftig in Cambridge unterzubringen, um ihn vor dem Zugriff der Nazis zu retten (Popper war nicht nur ein Gegner der Nazis, sondern auch jüdischer Abstammung). Weihnachten 1936 erhielt er dann aber ein Telegramm mit dem Angebot einer regulären Anstellung in Neuseeland, worauf er und seine Frau sofort die Koffer packten. Ab Frühjahr 1937 war er Dozent für Philosophie an der Universität von Christchurch in Neuseeland.

Die "Offene Gesellschaft" entstand als Versuch, einen Beitrag zum zweiten Weltkrieg zu leisten

Während dieser Lehrtätigkeit am anderen Ende der Welt schrieb Popper sein berühmtes Buch über "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" . Den Anstoß dazu gab 1938 der Einfall Hitlers in Österreich. Die Basis bildete ein Vortrag über "Das Elend des Historizismus", den er zuvor in England in Hayeks Seminar an der LSE gehalten hatte. Als er diesen Vortrag bearbeitete, um ihn in Buchform zu bringen, entstand aus einer Erweiterung des zehnten Kapitels als zweites Manuskript die "Offene Gesellschaft". Der ursprüngliche Titel lautete "Falsche Propheten: Platon - Hegel - Marx" (er diente später als Untertitel für den zweiten Teil der zweibändigen Ausgabe). Beide Manuskripte waren der "Versuch, einen Beitrag zum Krieg zu leisten".

Friedrich A. Hayek ermöglichte die Veröffentlichung und verhalf Popper zur Rückkehr nach Europa

Allerdings gelang es ihm zunächst nicht, einen Verleger zu finden. Als er 1943 das mehrfach umgearbeitete Manuskript der "Offenen Gesellschaft" in die Vereinigten Staaten schickte, bescheinigte ihm ein Professor der Harvard-Universität ausdrücklich, daß es schon wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber Aristoteles nicht zur Veröffentlichung tauge. Von neuseeländischer Seite wurde er ermahnt, sich gefälligst seinen Pflichten als Dozent zu widmen, anstatt seine Zeit auf derartige Dinge zu verwenden. Popper war zutiefst deprimiert. Erst als es ihm gelang, über seinen Freund Ernst Gombrich Kontakt zu Hayek in London aufzunehmen, bewog dieser den Verleger von Hayeks englischen Büchern, die "Offene Gesellschaft" herauszubringen. "Mir war, als hätten die beiden mir das Leben gerettet", bekennt Popper in dem vorliegenden Buch, "und dieses Gefühl habe ich noch heute".

Noch größer wurde seine Dankbarkeit, als ihm Hayek 1945 eine außerordentliche Professur an der LSE anbot und so die Rückkehr nach Europa ermöglichte: "Ich hatte das Gefühl, Hayek habe mir ein zweites Mal das Leben gerettet."

Ein legendärer Disput mit Wittgenstein

Ein Jahr später kam es bei einem Vortrag in Cambridge zu einer legendär gewordenen Auseinandersetzung mit Wittgenstein, die sogar mit einem Feuerhaken ausgetragen worden sein soll. Popper stellt klar, daß der Feuerhaken rein rhetorisch ihren Disput bereichert habe, daß aber Wittgenstein tatsächlich wütend aus dem Saal gestürzt sei und die Tür hinter sich zugeworfen habe...

Erst jetzt begann Popper mit seinem Werk allmählich Anerkennung zu finden. 1949 wurde er Professor der Logik und der wissenschaftlichen Methode an der Universität London. Er diskutierte viel und gern mit anderen Wissenschaftlern, vor allem Physikern wie Erwin Schrödinger, Arthur March oder Wolfgang Pauli. 1950 kam es zu einer Begegnung mit Einstein. So rigoros, wie er Platon, Hegel und Marx als falsche Propheten abkanzelte oder Bach über Beethoven stellte, widersprach er mitunter naturwissenschaftlichen Theorien, auch wenn sie allgemein anerkannt waren. Zum Beispiel hielt er nichts von Boltzmanns Theorie, daß durch den Entropiesatz der Thermodynamik zugleich der "Zeitpfeil" determiniert werde. Ebenso widersprach er Schrödingers Ansicht, daß negative Entropie das charakteristische Merkmal des Lebens darstelle. Die Atomphysik, wie sie von Bohr, Pauli und Heisenberg vertreten wurde, erschien ihm gar als "ein Bollwerk der subjektivistischen Philosophie".

Wachsende Anerkennung

Insofern eher ein Außenseiter, entsprach Popper mit den Vorstellungen, wie er sie in der "Offenen Gesellschaft" entwickelte, um so mehr den Bedürfnissen einer Gesellschaft, die nach geistigen Leitbildern in der Konfrontation mit Stalin und dessen Nachfolgern suchte. Im Unterschied zur intellektuell armseligen Ideologie des Nationalsozialismus gab sich der "Marxismus-Leninismus" als Wissenschaft aus. Scheinbar hielt er auch das Erbe von Marx und Engels, die trotz aller Irrtümer gewiß keine Kleingeister waren, in hohen Ehren. Poppers "kritischer Rationalismus" kam da wie gerufen, um die kommunistische Ideologie in ihrer wissenschaftlichen Fadenscheinigkeit zu entblößen. 1964 wurde der ehemalige Emigrant, dessen Buch anfangs niemand drucken wollte, von der englischen Königin als "Sir" in den Adelsstand erhoben.

In der Bundesrepublik kursierte der kritische Rationalismus zunächst unter liberalen Geistern, denen der Klerikalismus der Adenauer-Ära mit seiner Ideologie vom "christlichen Abendland" sauer aufstieß. Er trug insofern durchaus keinen konservativen Charakter (wie etwa Jost Hermand behauptet hat), sondern wies eine starke Affinität zu "progressiven" Strömungen auf. Sein wichtigster deutscher Repräsentant, der Mannheimer Philosoph Hans Albert, gehörte beispielsweise zu den Gründungsmitgliedern eines "Republikanischen Clubs", der 1967 in Mannheim nach dem Vorbild Westberlins und anderer Städte als Plattform der "außerparlamentarischen Opposition" ins Leben gerufen wurde. Erst später trennten sich die Wege der "liberalen Scheißer", wie sie nunmehr beschimpft wurden, von jenem Teil der APO, der den Marsch in dogmatische Verhärtung und Engstirnigkeit antrat. Ein ähnliches Schicksal ereilte Poppers alten Widersacher Adorno, der mit seiner "kritischen Theorie" die APO noch wesentlich mehr beeinflußt hatte und sich wie der Zauberlehrling gefühlt haben muß, als randalierende Studenten seine eigene Vorlesung sprengten...

Aber das sind Dinge, die der Leser selbst wissen sollte. Poppers intellektuelle Autobiographie endet im Grunde mit den fünfziger Jahren. Sogar den Positivismus-Streit würdigt er keines einzigen Wortes, obwohl er das Buch erst in den siebziger Jahren abschloß und für die deutsche Fassung später den Text sogar etwas verändert hat. Ob es sich um demonstrative Mißachtung handelt?

Gegenüber der "Frankfurter Schule" mit ihrer oft sehr fragwürdigen Wortakrobatik aus Hegelscher Dialektik, marxistischer Gesellschaftskritik und psychoanalytischer Seelenlehre wirkt der kritische Rationalismus jedenfalls recht solide. Und er bleibt weiterhin ein probates Mittel, um des Kaisers neue Kleider zu entzaubern, wenn sich irgendwo Ideologie ins Gewand von Wissenschaft wirft. Von den beiden notorischen Hauptgegnern Poppers ist bisher nur der "wissenschaftliche Sozialismus" gründlich entblättert. Dagegen genießt die Psychoanalyse noch immer eine erstaunliche Reputation, obwohl sie intellektuell wesentlich dürftiger ist und - wie Popper schon vor vielen Jahrzehnten feststellte - den wissenschaftlichen Gehalt von Sterndeuterei hat.

Andererseits wird man es niemandem verdenken können, wenn er sich in Poppers Gedankenwelt, wie sie dieses Buch eindrucksvoll vor Augen führt, nicht so recht heimisch fühlen kann. Es geht eben doch ein bißchen eng zu in dieser philosophischen Welt, die gerade von Kant bis Bertrand Russell reicht. Wer in Platon, Hegel oder Marx mehr sieht als die geistigen Ahnen totalitärer Ideologien, wird Poppers Denkweise vielleicht schätzen, sich aber nicht mit ihr bescheiden wollen.

(PB 8/96/*leu)